Berliner Philharmoniker Saisoneröffnung: Simon Rattle dirigiert russische Meisterwerke

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Berliner PhilharmonieFoto: Getty Images
Von 31. August 2014

Sir Simon Rattle präsentierte seine fast 100 mitwirkenden Instrumentalisten in vollendeter Klangkultur zum Auftakt der Konzertsaison 2014/2015 in der voll besetzten Berliner Philharmonie. Die russischen Meisterwerke von Rachmaninow und Strawinsky entfalteten unter seiner Stabführung ihren impressionistischen Klangzauber.

In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bank, die nunmehr 25 Jahre lang Kooperationspartner des Weltspitzenorchesters ist, wurde dieser Spätsommerabend in der Herbert-von-Karajan-Straße 1 zu einem denkwürdigen Erlebnis. Viele bemühten sich vergeblich um eine Karte.  

Rachmaninows  Symphonische Tänze – ein zeichenhaft wirkendes Programm

Zu Beginn das letzte Werk des russischen Pianisten und Komponisten Sergej Rachmaninow (1873 – 1943) „Symphonische Tänze op. 45“, das am 3. Januar 1941 in Philadelphia unter der Leitung von Eugene Ormandy, dem das 35-minütige Opus gewidmet ist, uraufgeführt wurde. Die Berliner Philharmoniker hatten dieses impressionistisch anmutende Klanggemälde und selten aufgeführte Werk erstmalig im November 2010 unter Simon Rattle in Berlin ihrem Publikum präsentiert.

Als Sergej Rachmaninow im Jahr 1909 seine erste Amerika-Tournee unternahm, wurde er begeistert gefeiert und ahnte nicht, dass die USA zehn Jahre später seine zweite Heimat werden würden, über die er zuvor an seine Cousine Ssoja Pribitkowa schrieb: „In diesem verfluchten Land gibt es nichts als Amerikaner, die überall ihrem ewigen business nachgehen, einen von allen Seiten bedrängen und unentwegt antreiben. Mein ständiges Gebet: Gott, gib mir Kraft und Geduld. Alle Leute sind nett und freundlich zu mir, aber das alles langweilt mich entsetzlich, und ich habe das Gefühl, dass mein Charakter hier ganz verdorben wird.“

Sergej Rachmaninow führte in Amerika das Leben eines anerkannten Großmeisters des Klaviers, der Gäste in sein Haus in Huntington auf Long Island einlud, um ihnen gemeinsam mit Wladimir Horowitz Symphonische Tänze für Klavierduo vorzuspielen. Sein „letzter Funke”, wie er sie liebevoll nannte, war denn auch ein ganz persönliches Werk, eine Rückschau auf sein eigenes Leben in den Farben romantischer Stimmungsmalerei, wie sie im ursprünglich geplanten Titel „Fantastische Tänze“ zum Ausdruck kommt. Die Untertitel der drei Sätze – Mittag, Abenddämmerung und Nacht in den Tonarten c-moll, g-moll, d-moll – scheinen dagegen nicht nur von der pessimistischen Lebenseinstellung des Komponisten, sondern auch von dem sich verdüsternden Horizont der Epoche inspiriert zu sein.

Die Orchesterbesetzung ist sehr groß, zur üblichen Instrumentierung mit dreifachem Holz kommt ein Altsaxophon (einer der wenigen Fälle eines Saxophons in der klassischen Musik), stark erweitertes Schlagwerk (3 Pauken, Tamburin, Triangel, Kleine und Große Trommel, Becken, Tamtam, Glockenspiel, 3 Glocken), Klavier und eine Harfe.  

Eine Reihe von musikalischen Zitaten oder zitathaften Anklängen durchzieht das Werk. Durch sie schlägt der erste Tanz die Brücke zurück zu Rachmaninows Jugend: zu der Oper „Das goldene Hähnchen“ von Rimsky-Korsakow und zu seiner eigenen, bei der Uraufführung durchgefallenen 1. Symphonie. Der marschartige Hauptteil scheint – in seiner an Bartók gemahnenden Motorik – die Kraft der Jugend zu verkörpern, deren Verlust der Mittelteil in zarter, träumerischer Melancholie beklagt. Förmlich aus der Stille des Nichts entlockt Simon Rattle die zauberhaftesten Töne, die sich zu einem filigranen Klangteppich miteinander verknüpfen.

Ein Zeugnis von der seelischen Angst vor Krieg und Zerstörung

Der zweite Satz „Andante von moto“, im Tempo eines Walzers zu spielen, entfaltet sich in wechselnden Klangbildern zu einer belebten Ballszene. Man spürt es förmlich, als ob Rachmaninow mit dem Titel „Abenddämmerung“ den Untergang seiner eigenen Zeit beschwor, den er mit dem Krieg gekommen sah.

Im dritten und letzten Satz „Lento assai – Allegro vivace“ wird Rachmaninows Opus 45 „Die Nacht des Todes“ zu einem Totentanz. Das gregorianische „Dies irae“ (Tag des Zorns) – vom Komponisten bereits in der 1. Symphonie, der Toteninsel und der Paganini-Rhapsodie verwendet –offenbart sich teils in einer Tarantella, teils als Cantus firmus in fahlem Licht. Bis zur wilden Raserei steigert sich der Totentanz.

Die Antwort auf dieses Szenario des Grauens gibt etwa 30 Takte vor Schluss eine andere liturgische Melodie: das altrussische „Gelobt sei der Herr“. Rachmaninow schrieb darüber „Alliluya“ in die Partitur – ein unmissverständlicher Hinweis auf seine persönliche Erlösungserwartung, die den Zyklus zu einem triumphalen Abschluss führt.

Die Berliner Philharmoniker lassen unübertroffen und meisterhaft eine Klangkathedrale entstehen, die für den Zuhörer nach einer guten halben Stunde die Programmpause zwingend erforderlich macht.

Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow, der Hüne von 1,98 Metern Körperlänge und leidenschaftliche Kettenraucher, starb wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag am 28. März 1943 im kalifornischen Beverly Hills. Sein letztes großes musikalisches Vermächtnis gibt Zeugnis von der seelischen Angst vor Krieg und Zerstörung.

Gerade in der aktuellen Weltlage mit einer Fülle von fast unbeherrschbaren Krisenherden könnte das vor 70 Jahren entstandene symphonische Klangdrama Rachmaninows Mahnung für die Menschen von heute sein. Den Berliner Philharmonikern und seinem Chefdirigenten müssen wir sehr dankbar sein für dieses geradezu zeichenhaft wirkende Programm zur Eröffnung der neuen Konzertsaison.

L’Oiseau de Feu – der Feuervogel von Strawinsky

Nach der Pause  die mit Spannung erwartete vollständige Orchesterfassung des Ballett-Märchens „L’Oiseau de Feu“. Das Publikum war außer sich, als Igor Strawinsky am 25. Juni 1910 in der Pariser Oper auf der Bühne stand – nicht vor Entsetzen wie bei „Le sacre du printemps“, sondern vor Begeisterung. Mehrmals wurde der 28-Jährige nach der Uraufführung des Balletts „Der Feuervogel“ auf die Bühne zurückgerufen.

Der dramatische und lebhafte Rhythmus des „Loiseau de feu“ machte Strawinsky, der zur Weltpremiere erstmals in der französischen Hauptstadt weilte, über Nacht berühmt und zum Ballettkomponisten par excellence. Der 1882 in Lomonossow geborene Igor Fjodorowitsch Strawinsky war ein Schüler von Rimsky-Korsakow (u.a. Komponist von „Scheherazade“) geriet durch einen glücklichen Zufall an den Auftrag, das Volkmärchen „Der Feuervogel“ zu vertonen. Daraus wurde ein farbenreiches Klang-Kaleidoskop von zuvor nie gehörten Orchestereffekten mit durchdringender Rhythmuskraft.

Ein Raum poetischer Magie unter Simon Rattle

Simon Rattle führt mit liebevollem Einfühlungsvermögen sein Orchester und lässt den Zuhörer die Gefangenschaft des Zaubervogels spüren. Großartig die geheimnisvollen, sehr leisen Klänge zu Beginn, Paukenschläge und Trommelwirbel, gefolgt von flirrenden Melodiebögen (Holzbläser, 3 Harfen, Celesta, Xylofon und Streicher-Tremoli.  Alles verwandelt sich in einen Raum poetischer Magie. Künstler und Zuhörer verschmelzen fast zu einer Einheit. In einem erlösenden Freudenrausch endet das berühmte Ballett-Werk, das Simon Rattle auswendig und mit einzigartiger Präzision und Sicherheit dirigiert, sodass ihm das große Orchester mit Dankbarkeit zu folgen scheint.

Als Zugabe: Intermezzo aus „Manon Lescaut“ von Puccini

Als Zugabe des denkwürdigen Abends das fünfminütige Intermezzo aus der Oper „Manon Lescaut“ von Giacomo Puccini. Phantastisch dieses emotional-lyrische Tondrama, ergreifend der Dialog zwischen Violine und Cello.

Mit dieser Oper, 1893 von Arturo Toscanini in Turin uraufgeführt, wurde Puccini weltberühmt. Bei den Osterfestspielen im April 2014 in Baden-Baden hatte Simon Rattle „Manon Lescaut“ in einer Koproduktion mit der Metropolitan Opera New York und den Berliner Philharmonikern aufgeführt; viele werden sich an die Live-Übertragung in ARTE erinnern – ein musikalisches Highlight im Jahr 2014.

Zu Beginn der neuen Berliner Saison das glanzvolle Programm mit den Werken von Rachmaninow und Strawinsky, das heute, am 31. August 2014, die diesjährigen Salzburger Festspiele feierlich beenden wird. Diesmal werden nicht die Wiener, sondern die Berliner Philharmoniker auf österreichischem Terrain ihr meisterhaftes Können den Zuhörern als finales musikalisches Präsent zurücklassen.

Fotoausstellung von Cordula Groth im Foyer der Philharmonie

Wenige Stunden vor Beginn des Berliner Konzerts eröffnete Cordula Groth im Foyer der Philharmonie ihre beeindruckende Fotoausstellung.

Fast 25 Jahre lang hat die bis heute aktive Fotografin, Ehefrau des ehemaligen und langjährigen Solo-Trompeters Konradin Groth, die Berliner Philharmoniker auf vielen Reisen begleiten können; dabei sind wunderschöne Schwarz-Weiß-Fotos entstanden, die unter dem Motto „Klang im Sucher“ bis zum 30. Oktober im Foyer der Philharmonie hängen werden.

Herbert von Karajan und der Zigaretten rauchende Helmut Schmidt, die leidenschaftlichen Dirigenten Leonard Bernstein, Zubin Mehta, George Solti, Simon Rattle, Daniel Barenboim; der in sich hineinhorchende Carlo Maria Giulini; der konzentriert-meditative Claudio Abbado, der im Yoga-Kopfstand im Alter von 66 Jahren dirigierende Yehudi Menuhin u.v.a.; als neuestes Bild Tugan Sokhiev, der Chefdirigent des DSO, bei einer Probe mit den Berliner Philharmonikern 2014 .

Fotografische Einblicke in das Seelenleben berühmter Künstler. Ein besonderes Erlebnis, das die Besucher in den kommenden zwei Monaten im Foyer empfängt, es lohnt sich stehenzubleiben.



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