China: Wenn der Körper zum Marktplatz für Transplantationsorgane wird

Titelbild
Falun Gong-Praktizierende meditieren in einem Geschäftszentrum von Sydney, Australien. Auf diese Weise wollen sie auf die Verfolgung von Falun Gong in China hinweisenFoto: ANOEK DE GROOT/AFP/Getty Images
Von 1. Oktober 2014

Wir veröffentlichen ein aktuelles Essay von Torsten Trey über die Grenzen der Humanität aus dem Buch „Die großen Themen unserer Zeit Autoren im Dialog 2014: Ist die Humanität am Ende?“ Herausgegeben von  Johann-Friedrich Huffmann. Es behandelt das Thema: "Wenn der Körper zum Marktplatz für Transplantationsorgane wird"

Prolog

Die Menschenwürde ist unantastbar. Sie ist untrennbar mit dem Menschsein verbunden. Wie unvergleichlich wertvoll die Menschenwürde ist, zeigt sich oft erst dann, wenn man sie verliert. Wenn man mit Erhabenheit deklariert, dass die Menschenwürde unantastbar ist, ist man natürlich auch schockiert, wenn nicht nur die Menschenwürde, sondern auch der physische Körper angetastet wird.

Wir sind schon daran gewöhnt, von Menschenrechtsverletzungen zu hören. Was diesem Modewort aber zugrunde liegt, ist viel mehr als nur ein juristischer Begriff. Es beschreibt die Entmenschlichung eines verfolgten Menschen. Wird nicht mit der Verletzung der grundlegenden Rechte des Menschseins nicht nur die Menschenwürde des Verfolgten verletzt, sondern auch die des Zuschauers? Wie können wir unsere eigene Menschenwürde noch wertschätzen, wenn wir tatenlos zusehen, wie eben diese der Menschheit innewohnende Menschenwürde bei anderen verletzt wird?

Entmenschlichung von Gewissensgefangenen in China – Der Mensch wird zum Rohstofflager für Organe

Die Folgen der Entmenschlichung und Ächtung von Andersdenkenden und den daraus resultierenden Verlust der „unantastbaren Würde des Menschen“ sehen wir im heutigen China am Beispiel von Falun Gong. Wie gravierend die Verletzung der Menschenwürde dort ist, sieht man daran, dass es heutzutage schon sehr viel an Mut bedarf, um über China und Tabuthemen wie z.B. die Verfolgung von Falun Gong zu schreiben. Die von China auferlegte Selbstzensur erstickt die Berichterstattung über dieses Thema üblicherweise bereits im Keim. Doch sind wir es der Menschenwürde schuldig, dem Druck zur (Selbst-) Zensur nicht zu folgen. Die Menschenwürde ist universell und kann weder durch Landesgrenzen noch durch Zensur beschränkt werden.

Die Meditationspraxis Falun Gong ist heutzutage der größte Test für die Menschenwürde in China. In den letzten 22 Jahren ist Falun Gong dort durch ein Wechselbad der Extreme gegangen, von größter Beliebtheit in ganz China zu brutaler, landesweiter Verfolgung. Wie kaum ein anderes Beispiel in der heutigen Zeit eignet es sich dazu zu beschreiben, wohin Entmenschlichung von Andersdenkenden führen kann.

Die Geschichte von Falun Gong lässt sich kurz zusammenfassen: Nach seiner Erstvorstellung im Jahre 1992 wurde es mehrfach ausgezeichnet und hat rasch an Popularität gewonnen. Das Sportministerium Chinas warb im Fernsehen für Falun Gong und lobte die positiven Effekte auf die Gesundheit. Innerhalb von sieben Jahren haben etwa 70 bis 100 Millionen Chinesen Falun Gong praktiziert. Falun Gong-Praktizierende waren in der chinesischen Bevölkerung dafür bekannt, dass sie freundlich und hilfsbereit sind. Da es sich bei Falun Gong um eine Selbstkultivierungsmethode handelt, bei der jeder bestrebt ist, sich selbst zu verbessern und zu kultivieren, mischen sich Falun Gong-Praktizierende auch nicht in politische Fragen ein.

Am 20. Juli 1999 begann eine beispiellose Verfolgung

Im Juli 1999 wandelten sich dann die Zeichen und die einst gelobte Selbstkultivierungsmethode wurde über Nacht ohne Grund und im Widerspruch zur chinesischen Verfassung verboten und verfolgt. Seit nunmehr 15 Jahren werden Falun Gong-Praktizierende in China und durch chinesische Botschaften und Studentenvereinigungen auch außerhalb Chinas in der einen oder anderen Weise verfolgt.

So besteht die Verfolgung von Falun Gong auf der einen Seite aus Umerziehungs- und Arbeitslagern, Gefängnis, Folter und Organraub; auf der anderen Seite aus Propaganda- und Medienlügen, die von westlichen Medien teils aus Unwissenheit oder teils aus Selbstzensur, um künftige Journalisten-Visa nicht zu gefährden, übernommen wurden. Das Thema Falun Gong wird zur Tabuzone erklärt und es wird nur spärlich oder gar nicht über Falun Gong berichtet. Die Verfolgung nimmt nicht nur einen zentralen Bestandteil der chinesischen Innen- und Außenpolitik ein, sondern verschlingt auch Unsummen des chinesischen Staatshaushaltes.

Das Thema Menschenrechtsverletzung wird auch im juristischen Bereich deutlich. Rechtsanwälte werden in China inhaftiert, wenn sie den ungeschriebenen Gesetzen der Schauverhandlungen nicht folgen und diejenigen verteidigen, die durch das Einparteiensystem bereits vor Beginn der Gerichtsverhandlung geächtet wurden. Von einem Rechtsstaat kann keine Rede sein. Was zählt, ist die Parteirichtlinie. Wer das nicht einhält, wird zum Feind erklärt. Die Entmenschlichung findet im Gerichtshof statt.

Das ist die Realität in China, die Selbstkultivierungsschule von Falun Gong soll zum Schweigen gebracht werdenDas ist die Realität in China, die Selbstkultivierungsschule von Falun Gong soll zum Schweigen gebracht werdenFoto: MIKE CLARKE/AFP/Getty Images

Im Falle von Falun Gong heißt das, dass seit 1999 Arbeitslager, Umerziehungslager und Folter zur Normalität geworden sind. Die Verfolgung von Falun Gong forderte bald auch die ersten Todesopfer durch Folter, welche auf Anordnung von Jiang Zemin propagandawirksam als „Selbstmorde“ umdeklariert wurden. Die Realität wird den Anforderungen des Einparteiensystems untergeordnet. Realität in China verliert den Bezug zur wirklichen Realität. Realität in China ist, was die Partei als solche festlegt und das zieht sich vom Buchhalter im Kleinbetrieb, über Massenmedien bis hin zu den Gerichtshöfen.

Die Realität außerhalb Chinas ist dann jedoch eine andere als die innerhalb Chinas und das trifft auch auf den Begriff der Menschenwürde zu. Im heutigen China ist die Menschenwürde ein leerer Begriff und für viele Chinesen ist es oft auch unklar, was man im Westen unter Ethik und Menschenwürde versteht. Wenn nun aber der Respekt für die Würde des Menschen nicht Bestandteil der Realität in China ist, dann muss man sich fragen: Wohin führt das?

Ein Blick in die Medizin zeigt es auf: In China werden traditionellerweise keine Organe für Transplantationen gespendet. Das ist tief in der Bevölkerung verankert. Daher besteht in China ein großer Mangel an Spenderorganen für Transplantationen. Um Organe für Transplantationen bereitzustellen, erlaubt ein Gesetz seit 1984 die Organentnahme an exekutierten Gefangenen in China. Es war dann ein kleiner Schritt, Organe nicht nur von exekutierten Gefangenen, sondern auch von Gewissensgefangenen, wie z.B. Uighuren, Tibetern und Falun Gong-Praktizierenden zu entnehmen.

Ein geheimer Organpool

Nach dem Beginn der Verfolgung von Falun Gong im Jahre 1999 wurde diese Organbeschaffungsmethode vermehrt auf Falun Gong ausgeweitet. Millionen von verfolgten Falun Gong-Praktizierenden waren auf diese Weise der Gefahr ausgesetzt, in den geheim gehaltenen Organpool eingestuft zu werden. Organe wurden dann nach Bedarf kurzfristig und ohne Zustimmung der inhaftierten Falun Gong-Praktizierenden entnommen.

Sie wurden in den Arbeitslagern und Umerziehungslagern systematisch medizinisch untersucht. Kostspielige Blut- und Urintests, Ultraschalluntersuchungen und Röntgenaufnahmen wurden routinemäßig an inhaftierten Praktizierenden durchgeführt. Wenn man über 15 Jahre Millionen von Euros in die medizinische Diagnostik von Zwangsarbeitern und Gewissensgefangene investiert hat, dann mag man sich fragen, wo sich die Kosten wieder amortisieren.

Anstatt sie zu Tode zu foltern, wurden Falun Gong-Praktizierende nun zur profitablen Einnahmequelle für Transplantationsorgane. Chinesische Krankenhäuser haben nach 1999 begonnen, Transplantationen im Internet anzubieten. Dies geschah, ohne dass China ein öffentliches Organspendeprogramm hatte. Der Handel florierte: Die Ware: Organe; Lieferzeit: 1 bis 4 Wochen; Kostenpunkt: eine Niere für 60.000 US-Dollar, eine Leber für 100.000 US-Dollar.

Im Herbst 2013 haben Reporter des ‚Spiegel‘ eine Niere über eine chinesische Vermittlungsstelle kaufen wollen und mehr als 300.000 US-Dollar für eine Niere aus China bieten müssen. Von 1999 bis 2006 ist die Zahl der Transplantationszentren in China von 150 auf 600 angestiegen und man mag sich fragen, woher man die Zuversicht genommen hat, dass man ohne öffentliches Organspendeprogramm langfristig ein kontinuierliches Organangebot haben würde.

Die Transplantationszahlen in China sind nach 1999 unerwartet dramatisch angestiegen: von 2.000 bis 3.000 (vor 1999) auf über 15.000 (2005). Man fragt sich, woher stammten die Organe für diese Transplantationen? Hinter diesen abstrakten Zahlen verbirgt sich eine grausame Wirklichkeit: Gewissensgefangene in China werden je nach Bedarf für Transplantationsorgane getötet. Ohne Gerichtsurteil, ohne Straftat, ohne Zustimmung zur Organspende. Die traurige Wahrheit ist, dass die beteiligten Ärzte in China die Transplantationsmedizin ins Absurde geführt haben: Man kann Menschen nicht durch Transplantationen heilen, indem man andere Menschen dafür tötet.

Die Menschenwürde ist unantastbar und ungeteilt

Warum man nicht tatenlos zuschauen darf, wenn andere Menschen ihrer Menschenrechte beraubt werden

Eine nähere Betrachtung von Falun Gong gibt Aufschluss darüber, inwieweit die Verfolgung von Falun Gong sich auch direkt auf uns bezieht. Wenn man sich die Frage stellt, was hat das alles mit mir zu tun, wird man feststellen: sehr viel.

Falun Gong ist eine Selbstkultivierungsmethode. Sie orientiert sich an buddhistischen Werten. Diese Prinzipien sind im Falun Gong Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht. Man wird wohl mehr oder weniger darin übereinstimmen, dass diese drei Prinzipien auf der ganzen Welt als lobens- und erstrebenswert angesehen werden. Unerklärlicherweise wird Falun Gong nun aber eben wegen dieser guten Werte in China verfolgt. Die Verfolgung von Falun Gong ist jedoch nicht nur gegen Falun Gong gerichtet, die Verfolgung von Falun Gong ist auch gegen das Gute in der Menschheit gerichtet.

Wahrhaftigkeit ist sicherlich der Staatsfeind Nr. 1 in China, besonders dann, wenn ein Land weitestgehend durch Korruption regiert wird, intellektueller Diebstahl und Raubkopieren gang und gäbe sind und die Medienfreiheit sogar bis zur selbstnegierenden Selbstzensur entartet ist.

Barmherzigkeit ist sicherlich auch der Staatsfeind Nr. 1, wenn in vielen gesellschaftlichen Schichten die Idee des Klassenkampfes noch gegenwärtig ist und wenn hinter harmonischen, diplomatischen Worten die Bevölkerung auf eine hart durchgreifende Außen- und Innenpolitik eingestimmt wird.

Nachsicht ist sicherlich auch der Staatsfeind Nr. 1, wenn keine regimekritischen Stimmen toleriert werden und jedes Abweichen von der Kommunistischen Partei mit brutaler Gewalt und Unnachgiebigkeit beantwortet wird.

Mit anderen Worten, die unbegründete und irrationale Verfolgung von Falun Gong und seiner drei Prinzipien ist auch ein Feldzug gegen das Gute im Menschen, gegen das Fundament der Menschenwürde und gegen Werte, die schlichtweg die Eckpfeiler der Humanität sind.

Wenn die freie Ausübung von Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht mit Folter und im Extremfall mit Organraub an lebenden Gefangenen beantwortet wird, sind dann die Menschen, die zwar nicht Falun Gong ausüben, aber durchaus nach Ehrlichkeit, Güte und Toleranz streben, nicht auch in Gefahr? Wenn das chinesische Einparteiensystem pausenlos im Kampf gegen die drei Staatsfeinde Nr. 1 steht, wann wird dann unsere eigene Menschenwürde außerhalb Chinas genauso angetastet, wie es gegenwärtig im Fall von Falun Gong ist? Die Antwort ist schockierend: schon jetzt.

Man kann im humanitären Sinne die Menschenwürde nicht durch Landesgrenzen beschränken. Die Menschenwürde ist universell. Der Organraub an lebenden Gefangenen in China hat die Grenzen der Humanität überschritten. Die Regierung in Peking stellt die Gewissensgefangenen vor die Wahl, entweder physisch oder spirituell zu sterben. Diese Wahl ist menschenunwürdig. Jeder sollte sich fragen, wann wird man selbst vor diese Wahl gestellt. Tatenlos zuzuschauen, wie andere vor diese menschenunwürdige Wahl gestellt sind, ist nichts anderes, als bereits die eigene Menschenwürde aufzugeben.

Wir erschaffen uns unsere Realität jeden Tag neu. Wenn uns unsere Menschenwürde und Menschenrechte lieb sind, dann müssen wir sie auch jeden Tag pflegen, sonst gehen sie uns verloren wie eine ungewässerte Pflanze. Falun Gong-Praktizierende haben eben genau das seit 15 Jahren getan. Falun Gong-Praktizierende haben in den letzten 15 Jahren mehr für die Würde des Menschen, für die Menschheit und die Humanität getan als die Einparteienregierung in Peking. Vielleicht ist es nun an uns, aktiv zu werden und uns für das Gute im Menschen einzusetzen. Das sind wir uns selbst schuldig. Mit dem Organraub von lebenden Gewissensgefangenen ist eine Grenze überschritten worden. Es ist nun an der Zeit, dass wir die unantastbare Würde des Menschen verteidigen.

Dr. med. Torsten Trey hat in Deutschland als Arzt praktiziert und war im Jahr 2007 Mitgründer der Nichtregierungsorganisation „Doctors Against Forced Organ Harvesting“ (DAFOH) (www.dafoh.org). Derzeit ist er Vorsitzender von DAFOH und engagiert sich für die Beendigung der illegalen Organentnahmen und die Förderung ethischer Standards in der Medizin.

DAFOH ist eine internationale Organisation, die von Ärzten verschiedener Fachrichtungen gegründet wurde und in Washington ihren Sitz hat. Das Ziel von DAFOH ist, alle illegalen Praktiken von Organhandel zu stoppen in China und in anderen Ländern.

Lesen Sie auch: EU-Resolution Organraub in China muss sofort enden

Johann Friedrich Huffmann

Die großen Themen unserer Zeit Autoren im Dialog 2014:

Ist die Humanität am Ende?

Erschienen am 8. August 2014

336 Seiten; Verlag: Frieling & Huffmann

ISBN-10: 382803229X

10,00 Euro



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