Der Olympia-Medaillenwahn in China

Titelbild
Die Olympischen Spiele in Peking beginnen.Foto: Getty Images
Von 2. August 2012

 

„Dabei sein ist alles“, das bekannte Motto der Olympischen Spiele scheint in der Praxis nicht für jeden Teilnehmer zu gelten. Während deutsche Sportler jede Medaille als Sieg feiern, verbeugte sich ein chinesischer Olympionike zur Entschuldigung vor seinem Volk, weil er „nur“ eine silberne Medaille errungen hatte.

Am zweiten Tag der Olympischen Spiele hat Wu Jingbiao im Finale der Gewichtsheber bis 56 kg das letzte Gewicht von 161 kg nicht geschafft. Damit hat er, der chinesischen Webseite sohu.com zufolge,  „eine einkalkulierte Goldmedaille der chinesischen Gewichthebermannschaft verloren“. Als er von der Wettkampffläche herunterkam, brach er zusammen. Er verbeugte er sich dreimal in Richtung der Kamera des chinesischen Staatsfernsehens CCTV und sagte weinend: „Ich habe mich als unwürdig gegenüber meinem Vaterland und meinem Team erwiesen! […] Es tut mir leid!“.

Warum Wu Jingbiao zusammenbrach, nachdem er „nur“ eine Silbermedaille hatte, dieser Frage ging sohu.com nach. Hauptgrund sei der starke innere und äußere Druck, unter dem chinesische Athleten stehen. Die chinesischsprachige Epoch Times, Dajiyuan, ist der Meinung, dass eine Goldmedaille oft die einzige Chance für viele chinesische Sportler sei, später ein wirtschaftliches Auskommen zu finden.

Patriotismus und Goldmedaillen

Außerdem ist China möglicherweise weltweit das einzige Land, in dem Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen derart eng mit dem Nationalstolz verbunden sind. In der Propaganda der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) wird den Chinesen immer wieder eingetrichtert, dass die Ausländer die Chinesen vor über einhundert Jahre als „Kranke in Ostasien“ bezeichnet haben. Jede Goldmedaille chinesischer Sportler bei den Olympischen Spielen wurde in China als Sieg der Chinesen über diese historische Demütigung und Leistungsnachweis der KPCh dargestellt, als ob die KPCh gerade dabei wäre, mit heldenhaftem Einsatz gegen die gegenwärtige Verachtung anderer Länder gegenüber China zu kämpfen.

Dieser gezielt verstärkte Minderwertigkeitskomplex führt auch dazu, dass Chinesen den zweiten Sieger als ersten Verlierer sehen. Eine Silbermedaille ist also nahezu bedeutungslos. Dadurch entsteht ein großer Druck auf viele chinesische Sportler.

Ein solcher Leistungsdruck ist für Nichtchinesen wahrscheinlich kaum vorstellbar. Sohu.com zitierte eine Aussage von Xiao Tian, dem Vize-Direktor der General Administration für Sport in China. Er habe am Tag der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London gesagt, dass das Volk ihnen die Pest an den Hals wünschen würde, wenn die Anzahl der Goldmedaillen gegenüber 2008 nur ein bisschen geringer werde. In Foren zum Thema Olympische Spiele auf baidu.com meinte „simaguangpogang“, dass er Beiträge im Internet gelesen habe, in denen die chinesischen Silber-und Bronzemedaillenträger beschimpft worden seien.

Manche  Internetnutzer zeigen durch ihre Äußerungen, dass sie sogar nicht in der Lage sind,  sich vorzustellen, dass Menschen in anderen Ländern keinen so großen Wert auf olympisches Gold legen wie die Chinesen. Ein Baidu-Benutzer schrieb beispielsweise zum Thema Wu Jingbiao, dass die Sportler bei Olympia nicht sich selbst, sondern ihr Vaterland repräsentieren und dass Sportler anderer Länder zwar bei Silber- und Bronzemedaillen lächeln, sich aber innerlich traurig fühlen.

Aber die Tränen und die Entschuldigung von Wu Jingbiao regen zurzeit auch viele Chinesen zum Umdenken an. Die Webseite xmnn.cn meinte dazu „Es ist ein Schock, das entspricht nicht dem Geist der Olympischen Spiele!“. In einem Artikel auf der Webseite finance.jrj.com.cn wurde gesagt, dass Patriotismus und Goldmedaillen-Wahn nicht gleichgesetzt werden und dass Sport eben Sport bleiben sollte.

Auch im Internet tauchen kritische Stimmen zum herrschenden Goldmedaillen-Wahn in China auf. Die Zeitung Jinling Wanbao zitierte Meinungen über den Zusammenbruch von Wu aus dem chinesischen Internet. „yuboey“ habe gemeint, dass die Chinesen mit ihrem Ehrgeiz sich selbst und andere quälen. „Haawin“ habe kritisiert, dass nur Goldmedaillenträger in China gelobt werden. „Leidameng“ meinte, dass die Sportler zu sehr belastet sind. Sie sollten eigentlich während der Olympischen Spiele ihre Fähigkeiten zu zeigen. Er fragte sich, warum ihnen die Pflicht übertragen werde, die Ehre des Vaterlands zu bewahren.

Der traurige Schicksaal der chinesischen Sportler

In China gehören die Sportler normalerweise keinem Verein an, sondern stehen im Dienst des Staates und unter der Führung der Generalverwaltung für Sport. Ein komplexes System wurde aufgebaut, um Spitzensportler zu fördern. Viele Kinder besuchen bereits im Alter von nur fünf oder sechs Jahren eine Kindersportschule. Dort trainieren sie hart für ein spezielles Gebiet. Nur mit sehr guten Leistungen kommen sie weiter zu einer Sportschule. Als Ergänzung zu solchen Sportschulen gibt es in jeder Provinz noch Sportmannschaften. Berufssportler, die keine Spitzenleistungen vorweisen, werden entlassen, nachdem sie etwa 20 Jahre alt sind.

Dajiyuan erklärte, dass viele von ihnen große Schwierigkeiten haben, eine Arbeit zu finden, da sie nichts anderes als ihren Sport gelernt haben. Nach Angaben der Zeitung „Wu Han Wan Bao“ gebe es zurzeit etwa 50.000 registrierte Sportler in China. Jährlich werden mindestens 3.000 Sportler entlassen und 40 Prozent von ihnen sind direkt arbeitslos. Nach Angaben der Zeitung „Beijing Chen Bao“ gebe es in China etwa 30.000 entlassene Sportler und 80 Prozent von ihnen benötigten aufgrund Armut oder Verletzungen dringend Hilfe von der Gesellschaft.

Ob Wu Jingbiao in vier Jahre noch einmal an den Olympischen Spielen teilnehmen kann, ist fraglich. Dajiyuan berichtete, dass die chinesischen Sportler nur mit einer Goldmedaille bei den Olympischen Spielen eine gute Aussicht für ihr späteres Leben haben können. Dabei beschrieb Dajiyuan das Beispiel von Cai Li, einem ehemaligen Gewichtheber aus der Provinz Liaoning. Er hatte mehr als 40 nationale Turniere und über 20 asiatische Turniere gewonnen. Nach seiner Sportlerkarriere hatte er für etwa 100 Euro Monatslohn als Wachmann eines Gebäudes gearbeitet bis er im Alter von 33 an einer Lungenerkrankung starb.

 



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion