Gewaltprävention durch Kampfsport

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Foto: Steffen Andritzke/The Epoch Times
Epoch Times9. November 2009

Seine Augen wirken aufmerksam und hellwach. „Einen Kaffee für Sie?“ – und fast zeitgleich mit der Antwort gibt er dem freundlichen jungen Mann hinter dem Tresen ein Zeichen. Der Kaffee kommt prompt und man hat den Eindruck, dass ihm nichts in seinem Gym entgeht und er alles zu jeder Zeit fest im Griff hat. Olaf Jessen, A-Trainer im Boxen und Fitnessfachwirt, ist Mitbegründer von Box-out. Zusammen mit Christian Görisch (ebenfalls A-Trainer im Boxen und Dipl. Sportwissenschaftler) entwickelte er dieses Konzept, um mit olympischem Boxen bei Kindern und Jugendlichen soziales Lernen und sportmotorische Fähigkeiten zu fördern. Doch über allem steht das Vermitteln von Werten wie Respekt und Achtung seinen Mitmenschen gegenüber, einschließlich der Gewaltprävention, die in unserer heutigen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt. Mittlerweile ist er mit seinem Team an über 30 Hamburger Schulen tätig – Tendenz steigend. Die Epoch Times sprach mir ihm über das Erfolgsprojekt.

Epoch Times: Herr Jessen, wie ist das gemeint, „Gewaltprävention durch Kampfsport“?

Olaf Jessen: Ganz einfach: den Kinder werden Grenzen gesteckt und die Erfahrungen und Emotionen, die sie hier beim Boxen mit ihren Partnern erleben, werden kanalisiert. Dabei begreifen die Kinder durch das Training, dass eine Ursache immer eine Reaktion bei dem Partner auslöst.

Wir haben zum Beispiel viele Kinder, die zum Boxen kommen und dann plözlich eine Anerkennung für ihre Leistung bekommen, die sie vorher nie bekommen haben. Ich meine, das wirkt vielleicht auf den ersten Blick sogar etwas lächerlich, wenn ich hier von einem kleinen, dünnen Jungen erzähle, der vielleicht noch nicht einmal so gut aussieht wie die anderen… Aber wenn der sich bei uns hier durchbeißt, haben die anderen automatisch Respekt vor ihm.

Ein anderes Beispiel sind Kinder, die total in sich gekehrt sind und gemobbt werden, die aber in unserer Gruppe über sich hinauswachsen, weil sie im Grunde genommen viel besser sind als die, die immer so stark tun. Oder beim Liegestützwettbewerb kann es sein, dass einer, der groß und kräftig aussieht, vielleicht nur fünf Liegestützen schafft; ein anderer, der klein und schmächtig aussieht, macht aber zehn. Auch dadurch wird gegenseitiger Respekt entstehen.

Auf einmal helfen die sich sogar untereinander: „Ey, lass den mal, das ist mein Sportsfreund“. Die Entwicklung dieser Kinder mitzuerleben ist einfach gigantisch. Wir haben auch noch ein ganz anderes Beispiel aus Bergedorf. Dort hat Christian, der Mitinitiator, eine Lehrerin ein halbes Jahr mittrainiert. Die hatte immer die Aufsicht auf dem Schulhof. Ein halbes Jahr früher war sie nur die Lehrerin und sie wurde nicht respektiert – danach haben die Schüler die Lehrerin auf dem Schulhof sogar unterstützt: „Ey, die is‘ eine von uns, die ist klasse – mach das mal lieber, was sie dir sagt”. Das Verhältnis von Schülern zu Lehrern wurde viel besser, denn das schweißt doch zusammen. Was ich damit sagen will, ist, eine Meßbarkeit ist doch da!

Epoch Times: Was würden Sie denen entgegnen, die sagen, jetzt bilden die auch noch Schläger aus?

Jessen: Das ist nur ein Argument von denjenigen, die sich mit der Materie nicht befasst haben – das ist sehr oberflächlich. Einer der weiß, dass er stark ist, braucht es nicht nach außen durch Aggressionen zu zeigen. Das ist wie bei einem kleinen Hund: Je kleiner er ist, um so aggressiver kann er sein; je größer und stabiler er ist, um so ruhiger wird er. Das ist mit den Kindern auch so. Je mehr sie merken, was für Möglichkeiten sie hätten, desto ruhiger werden sie.

Die Werte wie Disziplin und Respekt, die wir übers Boxen vermitteln, finden sich dann auch im alltäglichen Umgang wieder. Unsere Erfolge sind ja meßbar – und, mal ganz nebenbei, das funktioniert nicht nur mit dem Boxen. Aber im Moment ist Boxen der beste Zugang zu den Kindern, eben weil sie Boxen lernen wollen. Boxen ist einfach das Mittel zum Zweck.

Außerdem arbeiten wir sehr eng mit dem Weißen Ring zusammen. Das sieht so aus, dass nach einem Training Leute vom Weißen Ring kommen und die Kinder durch Vorträge sensibilisiert werden, was überhaupt alles passieren kann, wenn sie Gewalt ausüben und dass sie das dann ihr ganzes Leben lang verfolgt. Das muß den Kindern ganz klar werden.

Der Weiße Ring ist für uns ein sehr guter und zuverlässiger Kooperationspartner, das ist ein ganz wichtiger Schlüssel bei unserer Arbeit. Hinzu kommt, dass Christian Görisch eine Hausaufgabenbetreuung organisiert hat. Das macht er mit ehrenamtlichen Lehrern, Studenten und den Schulen zusammen. Er ist der Koordinator des Projektes „Boxen, Bildung, Perspektive“, welches sich genau auch um solche Dinge kümmert.

Epoch Times: Gibt es Rückmeldungen von Lehrern, ob sich die Disziplin oder die Konzentration der Schüler verbessert hat?

Jessen: Na klar gibt es Rückmeldungen! Gerade deshalb haben wir ja immer mehr Schulen. Also das ist allein schon ein Zeichen. Die Lehrer und Schulleiter treffen sich ja auch untereinander und berichten sich gegenseitig über uns. Das ist doch erkennbar und auch der Erfolg unseres Projektes. Ich will damit nicht sagen, dass wir eine Allzweckwaffe sind, die alles regeln kann – das ist Quatsch – aber die Meßbarkeit ist da, sonst hätten wir nicht so viel Erfolg und Zulauf. Es ist definitiv so, dass sich die Situation durch unsere Arbeit auf den Schulhöfen entspannt.

Epoch Times: Mittlerweile haben Sie zwölf Mitarbeiter und sind an über 30 Schulen tätig. Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung?

Jessen: Grundsätzlich ist die Entwicklung von Box-out sehr positiv zu sehen. Das zeigen die Ergebnisse unserer Arbeit und das große Interesse der Schulen. Das ist aber nicht nur Gesabbel und Gedröhne – das wurde auch wissenschaftlich durch die Hamburger Universität mit Prof. Dr. Braumann und durch die Universität Kassel nachgewiesen. Ein weiteres Indiz für das Vertrauen, das man in unsere Arbeit setzt, ist, dass die Handwerkskammer uns 50 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt hat, um aus dem Box-out Jugendliche herauszufiltern, die so die Möglichkeit bekommen, in die Ausbildung zu gehen.

Leider hat das aber in den politischen Kreisen noch nicht die Wirkung erzielt, die man erwarten würde. Man hält sich da noch sehr bedeckt. Mittlerweile wird es immer schwieriger für uns, diese Größe und das Konzept aufrecht zu erhalten. Deswegen würde es auch Sinn machen, sich mit der Politik an einen Tisch zu setzen, um sich zu überlegen, wie man Box-out von seiten des Senats unterstützen könnte.

Plötzlich kommt sein elfjähriger Sohn an den Tisch und sagt, dass die Tischtennisplatte kaputt gegangen ist. Olaf Jessen gibt kurze und klare Anweisungen und knufft ihn dabei liebevoll in die Seite. Blitzschnell stiebitzt der Kleine den Keks von der Untertasse seines Vaters, grinst schelmisch und trollt sich, um die Tischtennisplatte in Ordnung zu bringen. Ohne Diskussionen. Er hat es verstanden und das gleich beim ersten Mal. Wie richtige Kampfsportler eben. „Wissen Sie“, sagt Jessen zum Schluss, „Christian und ich haben auch selbst Kinder. Christian ist in Wilhelmsburg aufgewachsen und ich in der Nähe vom Kiez. Glauben Sie mir, wir wissen wie das Leben funktioniert, und auch ich war nicht immer nur ein Musterknabe. Aber ich habe eine Chance bekommen – eben eine Chance durch den Sport!“

Das Interview führte Steffen Andritzke.

Foto: Steffen Andritzke/The Epoch Times


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