Philipp Stölzl im Gespräch über „Goethe“ und die Kunst des Filmemachens

"Kino ist ja ein suggestives Medium und du kannst die Leute ein bisschen verführen, Menschen wie Goethe näher zu kommen", sagte Philipp Stölzl uns über seinen gerade angelaufenen Film "Goethe".
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Von 16. November 2010

„Die Essenz von Kino ist eine Geschichte, die einen berührt, bewegt, unterhält, einen ein bisschen klüger macht; das muss der Film alles leisten.“ Das sagte Philipp Stölzl über seinen gerade angelaufenen Film Goethe und er sprach auch über sein Unverständnis über die Trennung von E- und U-Musik, sein liberales Elternhaus und seinen berühmten Vater, der ihn nie eingeengt hat.

Epoch Times: Herr Stölzl, seit dem Kinostart von „Goethe“ sind drei Wochen vergangen. Wie ist die Resonanz in Deutschland?

Philipp Stölzl: Soweit ganz gut. Wir haben 420.000 Zuschauer nach der dritten Woche. Der Film hält sich gut aufgrund einer guten Mund-zu-Mund-Propaganda. Der Verleih hat gerade noch mehr Kopien rausgeschickt, also glauben sie daran, dass der Film sich auch die nächsten Wochen gut halten wird. Mir schreiben lustigerweise sehr alte und ganz junge Leute, dass ihnen der Film gut gefallen hat. Der Film spricht bildungsbürgerliche Leute genauso an wie auch Teenies. Der Film hat eine sehr breite Resonanz.

Epoch Times: Auf der Webseite von Goethe hat der Verleih Warner Brothers auch einen Schüler-Wettbewerb ausgeschrieben. Soll dieser Film neben dem Unterhaltungswert auch einen Bildungsauftrag erfüllen?

Philipp Stölzl, Regisseur, bei der Premiere von „Goethe“.Philipp Stölzl, Regisseur, bei der Premiere von „Goethe“.Foto: Getty Images

Stölzl: Ach, Bildungsauftrag klingt so knöchern nach Staatskino. Man macht eigentlich die Filme, die man selbst gern im Kino sehen wollen würde. Ich glaube jeder Film, den ich mache wollen würde, hätte eine Art emotionalen Bildungsauftrag. Man möchte, dass die Leute etwas aus dem Kino mitnehmen – im Kopf, im Herzen und im Bauch oder so. Die Essenz von Kino ist eine Geschichte, die einen berührt, bewegt, unterhält, einen ein bisschen klüger macht; das muss der Film alles leisten.

Für die reine Bildung kann ich auch auf Wikipedia gehen, dann kann ich es dort nachlesen und gut. Das ist glaube ich nicht die Aufgabe von Kino. Wir haben natürlich beim Machen des Films schon versucht, die ganze Welt, in der wir uns bewegen, zu zeigen – was haben die Leute an? Wie sahen die Städte aus? Was bewegt den jungen Dichter? – So an der Schwelle: Wo geht es überhaupt hin im Leben? Was für ein Geist schlummert da? – Das sind ja alles Dinge, die mit Goethe zu tun haben, bei allen Freiheiten, die der Film sich sonst nimmt.

Der Typ auf dem Denkmal

Der Film soll auf intelligente Weise unterhalten. Reine Unterhaltung würde mich nicht dazu bewegen, dass ich mich drei Jahre meines Lebens da hineinbegebe, es muss schon mehr sein. Aber die Bildung kommt am Ende des Tages eher als „mitgeliefert“ an. Zuerst mal willst du ins Kino gehen und eineinhalb Stunden miterleben, mitfiebern, ob sie sich kriegen, mit traurig sein mit Lotte usw.. Und am Ende komme ich raus und habe auch etwas über Goethe erfahren, was ich noch nicht wusste. Den Typen auf dem Denkmal mal als Menschen erlebt. Darum geht es doch. Wenn der Goethe-Film auf diese Weise auch ein bisschen Bildung vermittelt, finde ich das sehr schön.

Epoch Times: Was verbindet Sie persönlich mit der Person Goethe?

Stölzl: Viel zu viel, um es in einem Satz auszudrücken. Ich kenne mich mit Goethe ganz gut aus – zwangsläufig durch den Film, aber auch schon vorher. Ich komme vom Theater. Ich habe oft Faust gesehen, Stella gesehen, Tasso, alle Goethe … kenne ich alles sehr gut. Selbst Faust als Oper mal gemacht – als Regisseur. Werther natürlich gelesen. Lotte in Weimar von Thomas Mann gelesen, Italienische Reise gelesen. Da kommt man nicht drum herum.

Der Mann ist eine eigene Welt. Es gibt viel Literatur, Zeitzeugenberichte, wie „heute bei Johann Goethe zu Besuch gewesen, gemeinsam musiziert. Eine sehr für sich einnehmende Persönlichkeit“ und so. Da bekommt man das Bild von einem sehr schönen jungen Mann, der die Leute irgendwie fasziniert hat; aber auch im vollen Bewusstsein des eigenen Talents; jemand, der ganz sensibel war, vielleicht auch ein bisschen ein großes Selbstbewusstsein hatte.

Das Sturm-und-Drang-Gefühl

Lustigerweise ist dem Film von Kritikern vorgeworfen worden, dass man zu frei mit den Fakten umgeht. Aber ich habe mit Leuten gesprochen, die sich sehr gut mit Goethe auskennen. Da ist große Begeisterung; man sagt, das ist total nah dran, an dem, was man sich so denkt über den jungen Goethe. Und eine Geschichte frei fiktional zu erzählen, ist total in Goethes Sinne. Mich interessiert am Film, dass er dieses Sturm-und-Drang-Gefühl, das Goethe innewohnt, einfängt und im Kino ein Bild findet, welches emotional wahrhaftig ist.

Alexander Fehling als Goethe.Alexander Fehling als Goethe.Foto: Warner Brothers

Epoch Times: Was ist die Heutigkeit von Goethe?

Stölzl: Ich sträube mich immer gegen diese Frage nach der Heutigkeit. Das wird bei Operninszenierungen auch immer gefragt: Was ist heutig an der Fledermaus? Oder was ist heutig an was weiß ich irgendwelcher Fassung. Ich glaube es sind die Themen, die im Goethe-Film drinstecken.

Wie schaffe ich es überhaupt für mich selbst, das Leben zu greifen, meinen Weg zu finden? Wie wachse ich eigentlich durch die Erfahrung einer unglücklichen Liebe? Wie fühlt es sich an, der Rausch dieser Verliebtheit, in dem ich mich noch nicht traue, bis zum Letzten zu gehen? Wie fühlt sich die Entscheidung an, die diese Lotte fällt: Ich entscheide mich gegen eine innerlich brennende Emotion, innerlich doch wissend, was für mich richtig ist im Leben.

Und in letzter Konsequenz natürlich auch: Wie wird aus Leben Literatur, aus Leben Kunst, wie schafft Leiden Kreativität? Das sind natürlich lauter Themen, die keinen Alterungsprozess haben. Jede einzelne dieser Szenen kannst du heute auch finden. Ich glaube, das ist mit ein Grund, warum die Leute aus dem Kino kommen und sagen: Der Film hat sich so lebendig und heutig angefühlt. Obwohl die komische Perücken haben und nur reiten und die Sprache so ein bisschen gewunden ist, habe ich das Gefühl gehabt, ich habe echte Menschen gesehen. Das liegt natürlich auch daran, dass die Schauspieler das schön und frisch und lebendig machen. Aber es liegt auch daran, dass die Konflikte, die die Figuren haben, wir heute genauso wiederfinden.

Epoch Times: Die Lotte in dem Buch hatte ich nicht in Erinnerung, dass sie so humorvoll ist oder so schlagkräftig. Haben Sie eine Prise Humor dazu getan? War das Ihre Vorstellung oder Ihr Wunschbild?

Stölzl: Nee es geht, … ja, ich glaube das Frauenbild, also wie Männer Frauen sehen wollen, aber wie Frauen auch sich selber sehen wollen oder sein wollen, hat sich einfach stark geändert. Also wenn man den Werther liest, muss man sich halt immer vor Augen halten, dass sozusagen die Rolle der Frauen in der Gesellschaft einfach eine total andere war. Das ist ja bei Werther der zentrale Moment, diese Anmut des Brotschneidens, das ist so dieser Biedermeier-Erotiktraum, diese Anmut und das Schleifchen.

Miriam Stein als Lotte.Miriam Stein als Lotte.Foto: Warner Brothers

Epoch Times: Ja, das stand im Buch.

Stölzl: Und das ist ja so die Schüchternheit … Ich glaube, damit die nächste Geschichte dann halt auch wirklich tragisch ist und das etwas bedeutet, dass sie nicht zusammenkommen, musst du das Gefühl haben: „Da begegnen sich zwei Leute auf Augenhöhe.“ Ich glaub, so ein reines Hascherl würde so ein heutiges Publikum nicht interessieren, ich glaube, dafür hat sich einfach viel zu viel geändert.

Es gibt bestimmte Punkte, wo man eben sozusagen einen Modernisierungsgriff ansetzen muss. Es gibt ja eine Liebesszene oder Sexszene da drin, die war ganz sicher auch nicht so. Also ich meine das ist ja eine Zeit, wo man sofort schwanger wird, es die Syphilis gab und so weiter und so fort, also ganz sicher haben die nicht miteinander geschlafen. Aber auch da fällt die Entscheidung, wie erzähle ich meine Figuren so heutig und lebendig, dass ich sie sofort greifen kann.

Lotte statt Lena?

Epoch Times: Ich nehme es so wahr, dass die heutige Jugend ihre Identität eher in Leuten wie Lena oder in Fußballspielern sucht. Der Film regt vielleicht dazu an, die Identität in diesen alten deutschen bekannten Künstlern zu suchen. Haben Sie beim Filmemachen daran gedacht oder ist das eher ein Nebenprodukt?

Stölzl: Nee, ich glaube es geht darum: Hier ist ein Angebot für dich, etwas zu lesen, etwas anzuschauen, ein Stück Musik zu hören. Jeden Morgen, wenn ich meine Kinder zur Schule fahre, die sind ja noch klein, dann sagen die: „Papa, nicht die Opernmusik anmachen.“ Ich sage dann: „Wieso, Opernmusik ist doch schön.“ „Nein, da wird gekreischt.“ Dann mache ich sie zum Spaß an, dann machen sie einen irrsinnigen Rabatz, dann muss ich immer umschalten und dann hören sie immer: „Uffa uffa uffa.“ Ich hoffe, vielleicht gibt es irgendwann den Moment, wo sie sagen: „Ach, lass doch mal hören.“

Alexander Fehling als Goethe "ohne die komische Würde".Alexander Fehling als Goethe "ohne die komische Würde".Foto: Warner Brothers

Die komische Würde

Es ist so viel Kulturgut draußen, das Problem ist immer: Das Kulturgut hat so eine komische Würde, wovon viele junge Leute Abstand nehmen: Oah, langweiliges Ölgemälde, langweilige alte Musik. Es braucht dann immer jemanden, der ein bisschen die Tür aufsperrt und sagt: Guck mal genauer hin.

Kino ist ja ein suggestives Medium und du kannst die Leute ein bisschen verführen, Menschen wie Goethe näher zu kommen. Und dann kommst du aus dem Kino und denkst: Ach, den Werther, den habe ich doch auch zu Hause liegen, lese ich den doch mal.

U statt E und umgekehrt

Epoch Times: Sie haben sich so viel mit Musik beschäftigt, auch mit moderner Popmusik. Wuchsen Sie zweigleisig auf oder gab es da irgendwann einen Wandel, dass Sie als junger Mensch irgendwann auch die klassische Musik und klassische Literatur für sich entdeckt haben?

Stölzl: Die Frage habe ich mir eigentlich noch nie gestellt. In meiner Kindheit und Jugend hatten wir natürlich einen Vinyl-Plattenspieler. Mein Vater hatte natürlich alle Beatles-Platten, er hat aber auch alle Wagner-Ouvertüren von Furtwängler gespielt. Im Bücherregal war neben Tim und Struppi auch die große Rembrandt-Monografie.

Manchmal fragen mich die Leute: „Ja, du hast doch diesen übermächtigen Vater. Musstest du dich da nicht lösen?“ Das war aber nicht der Fall. Was das betrifft, war das eine sehr liberale Jugend. Mein Vater spielt zwanzig Instrumente. Als ich ganz klein war, hat er Dixieland-Musik auf Flößen gemacht auf der Isar.

Es gab immer alles gleichzeitig. Ich verstehe immer nicht, dass die Leute so zwischen E(rnst) und U(nterhaltung) trennen; dass sie sagen: Die Oper muss aber so sein und Pop-Musik muss soundso sein. Das sind immer so komische Kategorien, die ich gar nicht verstehe. Ich finde es ideologisch, da Gräben zu ziehen.

Epoch Times: Herr Stölzl, ich bedanke mich für das Gespräch.

Das Interview führte Lea Zhou.

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