Professor Eberhard Schneider im Gespräch: Ungeplanter Krieg?

Die Lage im Konflikt zwischen Südossetien, Abchasien und Georgien und zwischen Georgien und Russland ist schwer zu beurteilen. – Licht ins Dunkel bringen die Einschätzungen von Dr. Eberhard Schneider, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Siegen, Chefredakteur von „Russland intern aktuell“ und Spezialist für russische sowie ukrainische Innen- und Außenpolitik.
Titelbild
Mehr als 50.000 Georgier protestierten heute in Tiflis vor dem Parlamentsgebäude für ein Ende des bewaffneten Konflikts. (AFP Photo/Zviad Nikolaishvili)
Epoch Times12. August 2008

ETD: Herr Professor Schneider, was war der Auslöser des Konfliktes?

Schneider:
Das waren die Heckenschützen in Südossetien, die verhindern wollten, dass am vergangenen Donnerstag die – nach langer Pause – vereinbarten Gespräche zwischen Vertretern Georgiens und Südossetien stattfanden. Dieses Treffen wurde im letzten Moment von Südossetien abgesagt. Heckenschützen beschossen dann georgische Dörfer in der Umgebung der südossetischen Hauptstadt Zchinvali. Dabei wurden Polizisten und auch Zivilisten getötet. Daraufhin schoss das georgische Militär zurück.

Der georgische Präsident Saakaschwili erklärte jedoch im Fernsehen, das Feuer solle von georgischer Seite nicht erwidert werden, denn er wolle nichts unternehmen, was Georgien vor der Welt als Aggressor dastehen lasse. Schon vorher hatte er im Fernsehen mitgeteilt, er sei zu jeder Art von Autonomie für Südossetien bereit. Das georgische Militär befolgte den Aufruf des Präsidenten nicht und marschierte massiv in Südossetien ein. Dadurch entwickelte die militärische Auseinandersetzung eine Eigendynamik und eskalierte. Nach meinem Eindruck war der Krieg weder von russischer noch von georgischer Seite geplant.

ETD:
Was wären denn sonst die Konsequenzen dieser Gespräche gewesen?

Schneider: Es wäre vielleicht der Anfang einer Reihe von Gesprächen gewesen, die zu einer Regelung des Südossetien-Konflikts geführt hätte, doch das lag nicht im Interesse südossetischer Politiker. Südossetien ist ein schwarzes Loch der staatlichen Ordnung. Über Südossetien laufen – so ist zu hören – Drogen- und Waffengeschäfte und wohl auch noch anderer Dinge, an denen südossetische Politiker verdienen, möglicherweise auch Leute in Moskau aus gewissen Kreisen, die den Silowiki, den Machtapparaten, nahestehen. Dem Regierungschef Südosstiens, Morosow, werden Verbindungen zur russischen Mafia nachgesagt. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass für Waren aus Russland, die über den Rok-Tunnel nach Südossetien kommen, ein Zoll von nur drei Prozent erhoben wird. Wenn die Waren über die normale Grenze nach Georgien eingeführt werden, beträgt der Zoll 25 Prozent.

ETD:
Heckenschützen sind ja in der Regel anonym. Gibt es da Vermutungen?

Schneider: Es gibt nichts Konkretes. Meine Vermutung ist: Es ging von der südossetischen Führung aus. Sie wollte Russland stärker an Südossetien binden.

Russland hatte die separatistische Republik Südossetien nicht anerkannt und lehnte es erst recht ab, sie in ihr Hoheitsgebiet einzugliedern. Südossetien hatte sich offensichtlich ausgerechnet, dass Russland reagieren muss, denn es hat ab 2006 80 Prozent der Einwohner Südossetiens russische Pässe gegeben. Nach der neuen russischen Gesetzgebung ist Russland verpflichtet, alle russischen Staatsbürger zu schützen, innerhalb und außerhalb des Landes. Die Osseten sind übrigens keine Russen, sondern iranischer Abstammung.

Die südossetischen Politiker wollten offensichtlich erreichen, dass in Südossetien ständig russische Truppen stationiert sind, damit nie mehr georgische Truppen in Südossetien eindringen können. Denn sie konnten sich ausrechnen, dass Russland nicht beiseite stehen wird, sondern eingreifen muss, wenn das georgische Militär in Südossetien die separatistische südossetische Führung angreift, was zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führt. Sonst hätte sich Moskau dem Vorwurf aussetzen müssen, dass Russland nicht in der Lage ist, seine Staatsbürger zu schützen. Vielleicht hatten die georgischen Truppen vorgehabt, den Rok-Tunnel zu sperren, welche Südossetien mit Nordossetien verbindet und der einzige Zugang nach Südossetien ist. Wenn sie diesen Tunnel durch Ihre militärische Aktion blockiert hätten, dann hätten sie natürlich verhindern können, dass russische Panzer nach Südossetien eindringen.

Ein Georgier vor dem zerstörten Wohnkomplex in Gori, in dem er eine Wohnung hatte. Laut Informationen des Internationalen Roten Kreuzes hat der Konflikt 40.000 Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben. (AFP Photo/Dimitar Dilkoff)
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'/>Ein Georgier vor dem zerstörten Wohnkomplex in Gori, in dem er eine Wohnung hatte. Laut Informationen des Internationalen Roten Kreuzes hat der Konflikt 40.000 Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben. (AFP Photo/Dimitar Dilkoff)

ETD: Das heißt, die russischen Militärgruppen sind zuvorgekommen ?

Schneider: Die georgischen Gruppen konnten sich nicht durchkämpfen bis an die Grenze zwischen Süd- und Nordossetien, also zwischen Georgien und Russland.

ETD: Ist es eine Motivation für Russland, sich Südossetien wieder einzuverleiben?

Schneider:
Putin hat auf einer seiner letzten Pressekonferenzen als Präsident im vorigen Herbst erklärt, dass, was Ossetien und Abchasien betrifft, zwei völkerrechtliche Prinzipien im Widerstreit miteinander liegen. Das eine Prinzip ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das andere Prinzip ist, dass Staatsgrenzen nicht verschoben werden sollen. Und bisher hat es Russland vermieden, diesen Schritt zu gehen, diese Teilrepubliken sich einzuverleiben. Wenn einmal angefangen wird, an Staatsgrenzen zu rütteln, wenn man dies also nicht – wie damals beim Zerfall der Tschechoslowakei – auf friedlichem Wege erreicht, ist das eine gefährliche Angelegenheit. Dann könnten einige russische Republiken auch auf diese Idee kommen. Bisher hat Russland Tschetschenien die Unabhängigkeit gewaltsam verwehrt.

Vielleicht ist noch ein Gedanke wichtig: Russland zerstört jetzt in Georgien alle Einrichtungen, die militärisch für die NATO interessant wären, wenn Georgien der Allianz eines Tages beitreten würde. Im Grunde soll der andere Kandidat für die NATO-Mitgliedschaft, die Ukraine, vor diesem Schritt gewarnt werden. Ich will damit nicht sagen, dass Russland jetzt die Ukraine angreifen wird.

ETD:
Welche Rolle kann die UN spielen?

Schneider:
Die Vereinten Nationen zeigen sich völlig hilflos. Das ist nicht anders zu erwarten, denn Russland hat das Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat. Es kam keine Resolution zustande. Die einzigen, die eventuell eher handlungsfähig sind, ist die EU und vielleicht ein bisschen die OSZE.

Verzweifelter Flüchtling aus Gori während ihrer Flucht aus dem umkämpften Grenzgebiet Südossetiens. (AFP Photo/Marco Longari)
Verzweifelter Flüchtling aus Gori während ihrer Flucht aus dem umkämpften Grenzgebiet Südossetiens. (AFP Photo/Marco Longari)

ETD: Was kann die EU Ihrer Meinung nach tun?

Schneider:
Im Grunde kann die EU nur diplomatisch etwas machen und sie tut es ja mit dem französischen Außenministers Bernard Kouchner, der nach Tbilissi und Moskau reist. Er ist ja gleichzeitig Ratsvorsitzender der Europäischen Union. Der deutsche Außenminister Steinmeier konnte durch Telefonate mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und der georgischen Außenministerin erreicht, dass die beiden zumindest einmal miteinander telefonieren. Deutschland hat den Vorsitz in der UN-Freundesgruppe für Abchasien inne. In dieser Funktion versuchte Außenminister Steinmeier im Juli durch seine Reisen in diese Region und nach Moskau eine Vermittlung, die leider scheiterte.

ETD: Amerika hat Russland vorgeworfen, dass es in Georgien einen Regimewechsel möchte.

Schneider:
Schon seit anderthalb Jahren gibt es in Moskau verschiedene Pläne, einen solchen Regimewechsel in Tbilissi herbeizuführen.

ETD:
Wie ist die Unterstützung des georgischen Präsidenten in der eigenen Bevölkerung?

Schneider:
Dieser Krieg hat dazu geführt, dass die Opposition die Kritik an dem Präsidenten aufgab und sich in der nationalen Gefahr des Landes um den Präsident schart. Der Präsident hat durch den Krieg erreicht, dass sich die russischen Truppen selbst als „Friedenstruppen“ bloßgestellt haben, denn sie sind nicht neutral, was Saakaschwili immer erklärt hat. Das Zweite, was vielleicht erreicht wird, ist eine Internationalisierung dieses Konfliktes, was Saakaschwili eigentlich schon immer wollte, wofür aber nicht das entsprechende Verständnis im Westen gefunden hat.

ETD:
Was für eine Rolle spielt China?

Schneider:
In vielen ähnlichen Fällen hat sich China in internationalen Angelegenheiten und Streitfällen immer wie Russland verhalten, aber hier in diesem Falle ist mir die chinesische Meinung nicht bekannt. Ich weiß auch nicht, ob China sich überhaupt dazu geäußert hat.

ETD: Sehen sie einen Zusammenhang zwischen den Olympischen Spielen und den jetzigen Ereignissen?

Schneider: Man könnte hinsichtlich des Zeitfaktors einen Zusammenhang sehen. Dass alles zur selben Zeit während der Olympischen Spiele stattfand, kann Zufall sein. Andere behaupten, das sei im Grunde so geplant gewesen, denn die ganze Weltöffentlichkeit schaut nach Peking und hat keine Aufmerksamkeit für die Ereignisse im Kaukasus. Aber das Argument überzeugt mich persönlich nicht so.

Bewohner der südpossetischen Stadt Tskhinvali verfolgen gespannt die Nachrichten. (AFP Photo/Dmitry Kostyukov)
Bewohner der südpossetischen Stadt Tskhinvali verfolgen gespannt die Nachrichten. (AFP Photo/Dmitry Kostyukov)


ETD:
Die USA haben Russland dafür kritisiert, dass die militärischen Aktionen Russlands gegen Georgien unverhältnismäßig sind und drohen mit Konsequenz für ihre Beziehungen zu Russland. Welche Konsequenzen könnten eintreten?

Schneider:
In dem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in Georgien amerikanische Militärberater in Kasernen bei georgischen Truppen stationiert sind. Es hätte durchaus passieren können, dass russische Bomben amerikanische Soldaten in Georgien hätten töten oder verwunden können. Die Beziehung zwischen den USA und Russland sind zur Zeit sowieso nicht besonders. Es ist wahrscheinlich, dass die NATO den angepassten Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) nicht ratifizieren wird. Wahrscheinlich wird es auch kein Nachfolgeabkommen zum START 1-Vertrag geben, der im nächsten Jahr ausläuft.

In Tschechien dürften das Radarsystem für das amerikanische Raketenabwehrsystem aufgebaut und in Polen oder Litauen die dazugehörenden Raketen stationiert werden. Ferner nehme ich an, dass die Bevölkerung in der Ukraine ihre Meinung über die NATO wahrscheinlich etwas ändern wird. Bisher waren nur 15 Prozent der Ukrainer für den NATO-Beitritt ihres Landes. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Zahlen jetzt weiter nach oben gehen und dass die NATO unter Umständen bereitwilliger ist, die Ukraine in die NATO aufzunehmen.

Vielleicht noch einen Aspekt: Die Ukraine ist mit Georgien durch die das GUAM-Abkommen verbunden. Der Sonderbevollmächtigte des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko erklärte bereits, dass man die Entwicklung in Georgien sehr genau beobachte, dass man für humanitäre Hilfe zur Verfügung stehe und dass man auch überlege, ob militärische Hilfe geleistet werden soll. Zweitens teilte das ukrainische Außenministerium mit, dass die Ukraine für die russischen Kriegsschiffe der Schwarzmeerflotte, die in dem Hafen der Krim-Stadt Sewastopol stationiert und nach Georgien ausgelaufen sind, ihren Kriegshafen sperren wird, wenn diese vor ihrer Rückkehr Georgien beschossen haben.

Ein südossetisches Mädchen in einem russischen Lager in Tskhinvali. (AFP Photo/Dmitry Kostyukov)
Ein südossetisches Mädchen in einem russischen Lager in Tskhinvali. (AFP Photo/Dmitry Kostyukov)

ETD: Wie sehen Sie die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges auf Deutschland?

Schneider:
Der einzige wichtige Punkt der Auswirkungen könnte die Ölpipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan betreffen, die einzige Ölpipeline in Osteuropa, die außerhalb Russlands verläuft und Öl aus Kasachstan und Aserbaidschan nach Europa bringt. Wenn sie beschädigt würde, würde es zu Lieferengpässen kommen. Wegen des Kaukasus-Kriegs steigt der Ölpreis. Damit steigen auch die russischen Einnahmen durch den Verkauf des Öls.

ETD: Wie sehen sie die Lösung für die Beendigung dieses Kriegs?

Schneider: Ich könnte mir einen Kompromiss relativ einfach vorstellen: Südossetien und Abchasien bleiben Teile des georgischen Staates, aber wirtschaftlich gehören sie zu Russland. Dort gilt dann, wie jetzt schon, der Rubel und die russischen Firmen können dort investieren. Südossetien sowie Abchasien gehören dann im Grunde zu Russland, bleiben nur noch formal Bestandteile des georgischen Staats. Es würde dabei am Prinzip festgehalten werden, dass die Grenzen in Europa eigentlich nicht verrückt werden sollen, es sei denn, es wird eine Verhandlungslösung gefunden. Und Georgien könnte damit auch sein Gesicht wahren.

ETD:
Wie schätzen Sie die Möglichkeit der Verwirklichung dieser Lösung ein?

Schneider: Im Moment nicht sehr hoch.

ETD: Das liegt nicht im Interesse von Russland oder wer kann eigentlich bei dieser Sache eine entscheidende Rolle spielen?

Schneider:
Diese Idee, die ich gerade vorgetragen hatte, stammt von einem russischen Botschafter, die er mir Anfang Juni in St. Petersburg vorgetragen hat. Im Moment wird ein solcher Kompromiss nicht zu erreichen sein. Wahrscheinlich müsste dafür einige Zeit vergehen. Es wird wohl jetzt erst einmal bei der Besetzung von Südossetien und Abchasien durch russischen Truppen bleiben, denn es dürfte sehr schwer sein zu erreichen, dass die russischen Truppen wieder abziehen. Sie müssten dann durch internationale Friedenstruppen ersetzt werden. Dann fragt sich, welche Länder dazu Soldaten beisteuern.

ETD:
Wird Deutschland auch Truppen schicken?

Schneider: Ich weiß es nicht. Die sind ja schon in Afghanistan sehr stark involviert, sowie im Rahmen verschiedener Missionen der Europäischen Union. Ich würde eher an eine militärische Beteiligung der Europäischen Union denken.

ETD: Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen wurden gestellt von Andreas Kronen und Maria Zheng.

Zur Person:

Prof. E. Schneider. (Privat)Prof. E. Schneider. (Privat)

Dr. Eberhard Schneider, Chefredakteur „Russland intern aktuell“, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Siegen und Spezialist für russische sowie ukrainische Innen- und Außenpolitik. Er war bis 2006 Analyst beim „Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit“ der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zuvor war er beim „Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien“ in Köln tätig. Eberhard Schneider blickt auf 30 Jahre Erfahrung in der wissenschaftlich fundierten Analyse der sowjetischen und später der russischen Innenpolitik in Think Tanks der Bundesregierung und des Bundestags zurück. Er ist Autor zahlreicher Publikationen und zählt zu den anerkanntesten Russland- und Ostexperten in Deutschland.



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