Range provoziert – und verliert: Der Chefermittler muss gehen

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Generalbundesanwalt Harald Range hat seinen Dienstherren, Justizminister Heiko Maas, in beispielloser Schärfe kritisiert. Dafür muss er nun gehenFoto: Ralf Stockhoff/dpa
Epoch Times5. August 2015
Es dauert fast neun Stunden. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) lässt sich lange Zeit, bis er auf die Anschuldigungen von Generalbundesanwalt Harald Range reagiert.

Range richtet am Dienstagmorgen von Karlsruhe aus eine Kampfansage an Maas und sein Ressort. Stunden um Stunden schweigt das Ministerium dazu. Erst am Abend stellt sich Maas schließlich in Berlin vor die Kameras. Und seine Reaktion fällt heftig aus: Der Chefermittler aus Karlsruhe muss seinen Posten räumen.

Ein Blick zurück: Es ist 9.30 Uhr, als Range am Morgen in Karlsruhe vor die Presse tritt. Eine seiner Mitarbeiterinnen hält erschrocken die Hand vor den Mund. Wie so mancher rechnet sie wohl damit, dass ihr Chef zurücktritt und damit die Konsequenzen aus der Kritik an den Ermittlungen gegen die Blogger von Netzpolitik.org zieht. Doch Range macht etwas ganz anderes, als er blass, aber gefasst seine kurze Erklärung verliest. Er greift überraschend seinen Dienstherren, Justizminister Maas, an – und zwar heftig.

„Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz“, sagt Range. Die Justiz könne nur über die Einhaltung der Gesetze wachen, „wenn sie frei von politischer Einflussnahme ist“. Nur ein paar Minuten dauert Ranges Auftritt. Fragen lässt er nicht zu. Doch die Botschaft sitzt – ein solcher Frontalangriff eines Generalbundesanwalts gegen seinen Dienstherren sucht seinesgleichen.

Was ist passiert? Netzpolitik.org hatte vertrauliche Dokumente des Verfassungsschutzes ins Netz gestellt. Es folgte eine Anzeige des Geheimdienstes und ein Ermittlungsverfahren gegen die Blogger wegen Landesverrats. Range gab ein externes Gutachten zu der Frage in Auftrag, ob es sich bei den Dokumenten um Staatsgeheimnisse handelt. Der Sachverständige bejahte dies in einer vorläufigen Bewertung für einen Teil der Dokumente. Range informierte das Justizressort. Von dort sei die Weisung gekommen, das Gutachten sofort zu stoppen, sagt der Chefermittler. Das habe er befolgt, aber er habe die Sache auch öffentlich machen wollen.

Range wurde zuletzt arg in die Enge getrieben. In den vergangenen Monaten warfen ihm Kritiker Zögerlichkeit im Umgang mit dem US-Geheimdienst NSA vor. Sie stellten ihn als unsouveränen Zauderer dar, der an der langen Leine der Regierung laufe. Auch die Empörung über die Landesverrats-Ermittlungen traf vor allem ihn: Gegen US-Schnüffler tue Range nichts, gegen deutsche Journalisten gehe er dagegen mit aller Härte vor, lautete der Vorwurf.

Die Bundesregierung distanzierte sich überdeutlich von Ranges Vorgehen – allen voran Maas. Niemand wollte die Verantwortung für die heiklen Ermittlungen übernehmen, die Kritiker als Angriff auf die Pressefreiheit sehen. So zeigten alle mit dem Finger auf den Generalbundesanwalt. Und der entschied sich für die Vorwärtsverteidigung.

Den Justizminister erreicht Ranges Botschaft im Urlaub. Maas wollte sich eigentlich zwei Wochen an einem lauschigen Ort in Deutschland erholen. Doch Entspannung geht anders. Maas eilt zurück nach Berlin ins Ministerium. Über Stunden berät er sich dort mit seinem direkten Umfeld. Wie umgehen mit einer solchen öffentlichen Provokation? Mitarbeiter werden im Urlaub ans Telefon geholt, Vorgänge rekonstruiert. Stunden vergehen, in denen nichts nach draußen dringt.

Gegen 18.20 Uhr bricht Maas das Schweigen. Vor laufender Kamera erklärt er, Range habe die Dinge unzutreffend dargestellt. Es sei bereits am Freitag vereinbart gewesen, auf das externe Gutachten zu verzichten und stattdessen im Ministerium eine rechtliche Einschätzung zum Fall der Blogger zu erstellen. Die Äußerungen und das Vorgehen von Range seien nicht nachvollziehbar und vermittelten der Öffentlichkeit einen falschen Eindruck, rügt Maas. Das Vertrauen sei „nachhaltig gestört“. Range werde deshalb vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Und einen Nachfolger präsentiert Maas auch direkt: Der Münchner Generalstaatsanwalt Peter Frank soll Ranges Posten übernehmen. Nach wenigen Minuten ist auch Maas‘ Auftritt beendet.

Ranges Amtszeit wäre im kommenden Februar ohnehin zu Ende gegangen. Nun hat er mit seiner offenen Attacke seine Entlassung geradezu herausgefordert.

Und wie geht es mit den Ermittlungen gegen die Blogger weiter? Daran wird sich wohl niemand mehr die Finger verbrennen wollen. Gut möglich ist deshalb, dass auch sie bald der Vergangenheit angehören – ähnlich wie Range.

Ranges Erklärung im Wortlaut

Range gab in Karlsruhe folgende Erklärung ab:

„Zur Wahrung und Sicherung der Objektivität der Ermittlungen habe ich am 19. Juni 2015 ein externes Gutachten in Auftrag gegeben. Der unabhängige Sachverständige sollte klären, ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt. Der Sachverständige teilte mir gestern mit, dass es sich – nach seiner vorläufigen Bewertung – bei den am 15. April 2015 veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt. Der Sachverständige hat damit die Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft und des Bundesamtes für Verfassungsschutz insoweit vorläufig bestätigt. Die Bewertung des unabhängigen Sachverständigen habe ich dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gestern unverzüglich mitgeteilt. Mir wurde die Weisung erteilt, das Gutachten sofort zu stoppen und den Gutachtenauftrag zurückzuziehen. Dieser Weisung habe ich Folge geleistet.

Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Dieses Freiheitsrecht gilt aber nicht – auch nicht im Internet – schrankenlos. Es entbindet Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze. Über die Einhaltung der Gesetze zu wachen, ist Aufgabe der Justiz. Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn sie frei von politischer Einflussnahme ist. Daher ist die Unabhängigkeit der Justiz von der Verfassung ebenso geschützt wie die Presse- und Meinungsfreiheit.

Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz. Mit Blick auf die im Raum stehenden Vorwürfe habe ich mich gehalten gesehen, die Öffentlichkeit hierüber zu informieren.“

 

 

 

(dpa)

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