Steht die Tyrannei vor ihrem Ende?

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Jemenitische Opposition: Am 1. März tragen jemenitische Demonstranten in der Hauptstadt Sanaa während einer Großkundgebung gegen das Regime eine riesige Nationalflagge.Foto: Ahmad Gharabli / Getty Images
Von 13. April 2011

Bereits im Jahr 2005 prüfte der amerikanische Kongress eine Gesetzesvorlage, die vorsah innerhalb der nächsten 20 Jahre zwei Diktatoren pro Jahr zu beseitigen.

Der ehemalige US-Botschafter in Ungarn, Mark Palmer, sagte mir dieses Jahr: „Einige Leute denken, eine Welt ohne Tyrannen sei utopisch und es sei noch utopischer, dies innerhalb einer bestimmten Frist zu schaffen.“

Palmer, dessen Buch „Breaking the Real Axis of Evil“ die Gesetzesvorlage ADVANCE Democracy Act von 2005 inspirierte, fuhr fort: „Wir haben es nur noch mit einer begrenzten Anzahl von Diktatoren zu tun und es ist durchaus vorstellbar, dass wir den Rest von ihnen auch noch loswerden. Die meisten von ihnen sind ziemlich gebrechlich und werden nicht einmal bis zum Jahr 2025 leben!“

Der ADVANCE Democracy Act konnte jedoch nur 17 Mitsponsoren im Kongress gewinnen und verschwand im Jahr 2007 aus dem Ausschuss.

Im selben Jahr erfüllte sich Präsident George W. Bushs Versprechen nicht, „demokratische Bewegungen im Nahen Osten und darüber hinaus zu unterstützen, mit dem letztendlichen Ziel der Beendigung der Tyrannei in unserer Welt“. Die Förderung der Demokratie wurde durch den Verlauf der Kriege im Irak und in Afghanistan tödlich geschwächt. US-Wirtschafts- und Militärhilfe für Saudi-Arabien, Ägypten und einige andere autoritäre Regime im Laufe der Jahre – eine Doppelmoral in doppelter Ausführung – versetzten dieser Philosophie den Todesstoß.

Der Traum kehrt zurück

Aber heute träumen Experten des linken und des rechten Flügels wieder von einer Welt ohne Tyrannen. Für sie ist eine Frist bis 2025 viel zu weitläufig.

Ägyptens Hosni Mubarak und Tunesiens Ben Ali sind nun weg. Libyens Staatschef Muammar Gaddafi kommandiert eine schwindende Zahl von Anhängern. Im Jemen wird täglich gegen Ali Abdullah Saleh demonstriert. Paul Biya in Kamerun könnte der nächste Schleudersitzkandidat werden.

Die Proteste in China und Kuba waren zwar klein und wurden sofort erstickt, aber auch von den Volksaufständen im Nahen Osten und Nordafrika inspiriert. Diktatoren aus allen Teilen der Welt rufen ihre Schweizer Banker an und bereiten ihre Jets für die Flucht vor. Vielleicht reserviert Nordkoreas Kim Jong Il eine von Robert Mugabes Villen in Simbabwe, wo er und seine Familie sich Gaddafi in der letzten Zuflucht für Halunken anschließen könnten.

Sehen wir den Anfang vom Ende einer Ära, die zurückreicht bis zu den Anfängen der menschlichen politischen Organisation? Und werden Bush und seine neokonservativen Berater als Philosophie-Könige in die Geschichte eingehen, die – wenn auch unwissentlich – die Abrissbirne gegen das gesamte System der Tyrannei in Bewegung setzten? Dies würde weit darüber hinausgehen, sie nur von unserer Gehaltsliste zu entfernen.

Zur Beantwortung dieser Fragen graben Experten in der Geschichte, um die passendste Parallele zu den laufenden Volksaufständen zu finden: nämlich den „Frühling der Nationen“ im Jahr 1848, als sich Volksaufstände in ganz Europa und sogar bis nach Brasilien ausbreiteten. Später waren es die Veränderungen aufgrund des Ersten Weltkriegs, die russische Revolution und Woodrow Wilsons Vierzehn Punkte sowie die erfolgreiche Einführung der Selbstbestimmung während der Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Vielleicht lässt sich diese Veränderung am besten mit dem verheerenden Wandel am Ende des letzten Jahrhunderts vergleichen. In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren kam es zum Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa, des Autoritarismus in Südkorea und der Apartheid in Südafrika. „Im Jahr 1991 allein wurden mehr als 30 afrikanische Länder von Pro-Demokratie-Aufständen erschüttert“, schreibt die Mitarbeiterin von Foreign Policy in Focus (FPIF), Francis Njubi Nesbitt, in ihrem Beitrag „A Middle Eastern Dream Deferred?“ (Wird der Frieden im Mittleren Osten verschleppt?)

„Millionen beteiligten sich an friedlichen Demonstrationen für die Demokratie. Militärdiktaturen fielen wie Dominosteine. Zwischen 1985 und 1989 fanden in nur fünf afrikanischen Ländern freie Wahlen statt – nämlich in Botswana, Gambia, Mauritius, Senegal und Simbabwe. Von 1990-1994 hielten mehr als 38 Länder wirklich freie Wahlen ab, von denen 29 ihre Diktatoren offen herausforderten“, schrieb Nesbitt.

Bisher waren die Aufstände nicht ganz so wirksam und erreichten auch keinen Systemwechsel. Ägyptens und Tunesiens Militärs und politische Eliten bleiben im Amt. Aber das Spiel fängt erst an. Wenn die öffentlichen Proteste anhalten – wie in Tunesien, wo sie zum Rücktritt des Ministerpräsidenten und zweier weiterer Minister aus dem früheren Regime führten – könnte bald eine Form von Demokratie herrschen mit echten politischen Parteien und freien Wahlen.

Triumph der Technologie

Eine konventionelle Erklärung dafür, warum die Demokratie schließlich gewinnen wird, ist, dass dieses politische System, unabhängig von seinen Tugenden oder Mängeln, perfekt an die Technik unserer Zeit angepasst ist.

Tyrannen können nicht gegen Twitter, WikiLeaks und Blogging konkurrieren. Die Ein- Mann-Herrschaft erfordert die Kontrolle über die Massenmedien. Nordkoreas Kim Il Sung, der Filme als Basis für seine Propaganda verwendete, verstand die Bedeutung der Kontrolle der Nachrichten.

Aber YouTube und DVDs von südkoreanischen Seifenopern haben das Monopol ausgehöhlt. Diese Technologien sind sozusagen die Waffen des Volkes. Sie geben ihm die Möglichkeit, zweckdienliche Bewegungen ins Leben zu rufen und sie zu vereinen.

Die Regierungen Bush und Obama haben die Nutzung dieser Technologien als Instrumente öffentlicher Diplomatie zur Förderung der Demokratie unterstützt.

Außenministerin Hillary Clinton stellte kürzlich fest: „Wir unterstützen auch die Entwicklung neuer Instrumente, die es den Bürgern ermöglichen, ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung unter Umgehung politisch motivierter Zensur auszuüben. Wir stellen Gruppierungen auf der ganzen Welt Gelder zur Verfügung, um sicherzustellen, dass diese Instrumente von den Menschen in ihrer Muttersprache genutzt werden können und bilden sie darin aus, sicheren Zugang zum Internet zu erhalten.“

Aber diese Behauptung, Technologie sei die Mutter der Revolution und die Vereinigten Staaten die Hebamme dieser Revolution, erklärt nicht vollständig, warum wir das Ende der Tyrannei erleben.

Banker und Plutokraten

Daher könnten die Demokratiebefürworter mit ihrer Meinung vom Ende der Tyrannei durchaus Recht haben, aber nicht mit ihrer Vorstellung davon, wie wir dort hinkommen werden.

Erstens geschehen die Ereignisse im Nahen Osten nicht wegen, sondern trotz der US-Politik. Washington favorisiert vor allem Stabilität, weil der Status quo vorhersehbar und für die Vereinigten Staaten günstig ist. Dies erklärt die Doppelmoral der Unterstützung der Demokratie im Irak, aber nicht in Saudi-Arabien. Diese Position vertreten viele Konservative, wenn sie den Fall Mubaraks kritisieren, worauf der FPIF-Mitwirkende M. Levesque Junaid-Alam in „Focal Points“ hinweist.

Es erklärt auch, warum die Obama-Regierung zögerte, die Aufstände zu unterstützen, bis klar wurde, dass der Status quo nicht mehr haltbar war. Dazu erklärt der FPIF-Mitwirkende Fouad Pervez in „Demokratie heißt nicht gleich Instabilität“: „Die Obama-Regierung unterstützte den Übergang zu Omar Suleiman im Interesse der Erhaltung der „Stabilität“ oder besser gesagt, der bestehenden Verhältnisse wegen. Wenn die Armee entscheidet, einige Reformen durchzuführen, aber immer noch versucht, den Status quo weitgehend zu erhalten, wird Washington dann protestieren?“

Zweitens gingen die Neokonservativen davon aus, dass neue Demokratien pro-amerikanisch wären, so wie Osteuropa die US-Außenpolitik während der Bush-Jahre unterstützte, als sich das „alte Europa“ zweideutig verhielt. Aber neue Demokratien wie Indonesien und Südafrika erweisen sich als ziemlich unabhängig in ihrer globalen Sichtweise und befürworten eine gerechtere Machtverteilung im internationalen System.

Ein demokratisches Ägypten, Saudi-Arabien und Iran werden die Geopolitik für die Vereinigten Staaten wahrscheinlich schwieriger machen – und nicht einfacher (zumindest für diejenigen, die an ihrer Vorstellung von der wirtschaftlichen und militärischen Überlegenheit festhalten). Demokratie ist unberechenbarer als das Saudische Herrscherhaus.

Schließlich waren die Aufstände eine Reaktion auf wirtschaftliche Ungerechtigkeit: der Anstieg der Nahrungsmittelpreise, die Verbitterung über die Korruption und der Mangel an Arbeitsplätzen für 20- bis 30-Jährige. Diese Ungerechtigkeit ist nicht nur auf die örtlichen Gegebenheiten zurückzuführen.

Wie die UN-Universität des World Institute for Development Economics Research (Institut zur Erforschung der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung) vor einigen Jahren entdeckte, besitzen die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung 85 Prozent aller weltweiten Vermögenswerte, während die ärmsten 50 Prozent lediglich ein Prozent davon besitzen. Diese Kluft wächst noch. Die Teilung der Welt in Arm und Reich, was die Citigroup als Plutonomie beschreibt, beunruhigt sogar große Finanzdienstleistungsunternehmen wie die Allianz.

Die Tyrannen sind verschwunden oder sind gerade dabei, zu verschwinden. Die Bankiers und Plutokraten befürchten, sie könnten die nächsten sein. Ob in Ägypten oder in Wisconsin – die Demokratie ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um die Tyrannei herauszufordern. Die Demonstranten in der arabischen Welt wollen nicht nur in der Wahrheit leben wie Vaclav Havel: Sie wollen in Gerechtigkeit leben.

Vielleicht wird der Kongress bald einen Gesetzentwurf diskutieren, der ADVANCE Economic Democracy Act heißt und fairen Handel fördert. Er könnte auch für einen besseren Schutz der Arbeitnehmer und der Umwelt stehen. Er könnte auch eine Steuer auf Finanztransaktionen und andere Möglichkeiten zur Überbrückung der ruinösen, destabilisierenden und grundlegend undemokratischen Kluft zwischen Arm und Reich bedeuten. Erst dann wird die Nacht über die Tyrannei hereinbrechen.


John Feffer ist Co-Direktor des Foreign Policy in Focus (www.fpif.org) am Institute for Policy Studies.

Artikel auf Englisch: Has the Twilight of Tyranny Arrived?

 

 



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