Undercover Dschihadistin – Journalistin riskiert ihr Leben gegen IS-Rekrutierungsnetzwerk

Titelbild
Foto: Cover Verlag Droemer

„Undercover Dschihadistin – Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des Islamischen Staats ausspionierte“ – von Anna Erelle wird auch in Deutschland für Aufsehen sorgen und viele Fragen über die Rekrutierung Jugendlicher klären.

Am 8. Januar 2015 erschien in Paris das Buch „Dans le peau d’une djihadiste“ (In der Haut einer Dschihadistin) einer 30-jährigen Journalistin, die unter ihrem Pseudonym Anna Erelle ein atemberaubendes Buch geschrieben hat, das in Frankreich über Nacht ein Bestseller wurde.

Seither in Frankreich mehr als 50.000-mal verkauft und in 14 Sprachen übersetzt. Das Buch beginnt mit einem Zitat des russischen Literatur-Nobelpreisträgers Alexander Solschenizyn (1918 – 2008), der im Jahr 1978 in Harvard seine denkwürdige Rede „Die Welt in Trümmern“ gehalten hatte und damals geradezu prophetisch sagte: „Sollte es uns vergönnt sein, nicht durch einen Krieg zerstört zu werden, muss sich unser Leben radikal verändern, sonst wird es durch unser eigenes Verschulden zunichte gemacht.“

Anna Erelle recherchierte in den sozialen Netzwerken, mit welchen Methoden radikale islamistische Organisationen in Europa Jugendliche für den Krieg in Syrien und dem Irak anwerben. Unter dem Deckmantel der jungen Konvertitin Melodie nimmt sie auf Facebook Kontakt mit einem Kommandanten im Islamischen Staat auf, dem gerissenen Rekrutierer Abu Bilel. Er ermuntert sie, nach Syrien zu reisen, und malt ihr ein verlockendes Leben an seiner Seite aus. Über vier Wochen korrespondiert Melodie mit Abu Bilel und entlockt ihm Informationen über Strategien des Islamischen Staats und das Söldnerleben in der Kampfzone. Dabei wird ihr erst allmählich klar, in welche Gefahr sie sich begibt. Ein brisantes Enthüllungsbuch. Seit der Publikation erhält sie ständig Morddrohungen und steht unter Polizeischutz.

Über Strapse, Netzstrümpfe und Tangas

Über Skype hat Melodie mit Bilel gesprochen. Jeden Tag, oft stundenlang. Und für einen Dschihadisten kam er ziemlich schnell zur Sache. Reizwäsche möge sie doch bitte nach Rakka mitbringen, die gebe es in Syrien nicht. Und als seine Ehefrau, was sie mit ihrer Einreise nach dem Gesetz der Scharia automatisch sei, dürfe sie sich die tollsten Sachen für ihn ausdenken. Strapse, Netzstrümpfe, Tangas unter ihrem Hidschab, alles kein Problem. Der Mann, aus Roubaix stammend, spricht perfekt Französisch mit leicht algerischem Einschlag. Er zeigt sich in Kampfmontur und führt stolz das Waffenarsenal in seinem Geländewagen vor. Er hat das neueste Smartphone und kommt Melodie vor wie ein Handelsvertreter, der ihr das neue, tolle Leben im Kalifat schmackhaft machen will und sich gleichzeitig damit brüstet, Menschen umzubringen. „Leute töten ist dein Job?“, fragte Melodie ungläubig.

Bilel ist, wie sich schnell herausstellt, ein hoher IS-Milizionär, angeblich die rechte Hand von Abu Bakr al-Bagdadi, dem Anführer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Aber Melodie, die junge, konvertierte Französin, die mit dem Dschihad liebäugelt, ist in Wahrheit nur eine Kunstfigur, ein falsches Facebook-Profil einer ambitionierten Journalistin, Anna Erelle mit Namen, die wissen und verstehen will: Wie werben radikale islamistische Organisationen Jugendliche für den Krieg an? Wie benutzen sie soziale Netzwerke dafür? Wie funktioniert der digitale Dschihadismus?

Weltweit auf Frauensuche

Die Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat sind weltweit auf Frauensuche. Sie versprechen jungen Sympathisantinnen ein Leben in religiöser Erfüllung im Kreise von Gleichgesinnten wie in einer großen Familie. Die Realität sieht anders aus: Sie ist extrem brutal und frauenfeindlich.

„Hör mir zu!“, heißt es zu Anfang des Buchs auf Seite 11, „ich liebe dich, wie ich noch nie zuvor jemanden geliebt habe. Es ist mir unerträglich, dass du auch nur noch einen Tag fern von mir inmitten all dieser Sünde lebst. Ich will dich beschützen. Ich will alle Dämonen dieser Welt von dir fernhalten. Wenn du zu mir kommst, wirst du sofort von unserem Paradies begeistert sein.“

Einen ganzen Monat dauert die Anwerbephase. Bilel bombardiert sie mit Textnachrichten, will regelmäßig und lange mit ihr skypen. Sie zeichnet alle Gespräche auf. Manchmal filmt ein Fotograf, der sich im Hintergrund hält. Anna weiß, dass sie sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen hat, aber sie liebt die Investigation, das Nachforschen, Nachfragen. Der Reiz, an wirkliche Informationen zu kommen, ist zu groß. Aber sie darf keine journalistischen Fragen stellen. Sie hat sich zehn Jahre jünger gemacht, stellt sich ein bisschen dumm, spricht Jugendsprache, baut arabische Ausdrücke in ihr Französisch ein. Manchmal hat sie Angst, Fehler zu machen, ihren Lieblingsring vorher nicht abzunehmen, irgendwie erkennbar und identifizierbar zu werden.

Aufgeflogen

Aufgeflogen ist sie dennoch, nach einem Monat in Amsterdam. Sie sollte von dort nach Istanbul fliegen, sie musste Kontaktmänner in Syrien und der Türkei anrufen. Aber ihr Prepaid-Handy war im Nu leer. Der entscheidende Fehler war ein kurzer Anruf von ihrem eigenen Telefon. Sie wollte ihre Reportage nicht platzen lassen, dachte, sie könne die Nummer schnell wechseln. Als sich größere Probleme abzeichneten, brach sie ab, stornierte den Flug nach Istanbul. Doch kaum zurück in Paris, hatte sie die ersten Morddrohungen auf ihrem Handy. Seither hat sie mehrfach die Nummer gewechselt, zwei Mal ist sie umgezogen, sie hat Freunde verloren, andere dazugewonnen. Ab und zu schaltet sie auch noch ihren Skype-Account an und sieht, dass es weitergeht. Melodie ist tot, aber Anna Erelle soll büßen für den Verrat.

Die Fatwa

„Mit Bilel hatte ich nie mehr direkten Kontakt. Als ich letztes Mal für eine Reportage am anderen Ende der Welt unterwegs war, rief mich ein befreundeter Journalist an, um mir mitzuteilen, er wisse aus einer hundertprozentig sicheren Quelle, dass eine Fatwa gegen mich verhängt wurde. Ich stieß im Internet auf ein Video, das mich betraf. Ich sah mich verschleiert auf einem Sofa sitzen. Vermutlich ein Screenshot von Bilel. Es gab keinen Ton. Nur eine Animation, die einen Teufel zeigte und darunter einen arabischen Text mit französischer Übersetzung:

Brüder in aller Welt, das ist ein Aufruf zur Fatwa gegen dieses unreine Wesen, das den Allmächtigen verhöhnt hat. Wenn ihr dieser Sünderin irgendwo auf der Welt begegnet, befolgt das islamische Gesetz und tötet sie. Sie soll eines langsamen und grausamen Todes sterben. Wer den Islam verhöhnt, wird dafür mit seinem Blut bezahlen. Sie ist unreiner als ein Hund. Vergewaltigt sie, steinigt sie, tötet sie. Inschallah.“

Inzwischen heißt es, Bilel sei tot. Gestorben und bestraft dafür, dass er ihr in die Falle gegangen ist? Anna möchte darüber gar nicht nachdenken. Im Nachhinein ist schwer zu sagen, woran Abu Bilel mehr lag: an der Dschihadistin, die für Allah alles aufgibt und in den Heiligen Krieg zieht, oder an der jungen, konvertierten Französin mit den grünen Augen, die er für freier und unverklemmter hielt als ihre „syrischen Schwestern“.

Foto: Cover Verlag Droemer

Anna Erelle

Undercover Dschihadistin – Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des Islamischen Staats ausspionierte“

272 Seiten

Verlag: Droemer HC (4. Mai 2015)

ISBN-10: 3426276712

Euro: 19,99

Originaltitel: Dans la peau d’une djihadiste. Enquête au coeur des filières de recrutement de l’État islamique



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