Universitäts (Aus-)Bildung auf dem Prüfstand – Umsorgungsstatus oder Mentaltrainer?

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Foto: Cover rororo Verlag
Von 12. September 2014

Hinter den Kulissen von Credit-Points und Power-Point-Vorträgen verbergen sich in den Universitäten erstaunliche Mängel. Was ist Ursache, was ist Wirkung?  

„Warum unsere Studenten so angepasst sind“ beschreibt Christiane Florin in ihrem bemerkenswerten gleichnamigen 80-Seiten-Taschenbuch. Sie schont weder die Professoren, noch die Studenten.

Nett sind sie, die Studenten. Brav und pragmatisch gehen sie gemäß der Beobachtung von Christiane Florin den Weg des geringsten Widerstands. Und die Dozenten tragen das mit. Sie geben sich mit durchschnittlichen Leistungen zufrieden, brechen miserable Vorträge zu selten ab, fördern den Monolog. Die Folge: Es entstehen stromlinienförmige, fachlich versierte, aber menschlich unreife Absolventen.

Die Politikwissenschaftlerin Dr. Christiane Florin, geb. 1968 in Troisdorf, schildert erschreckende Zustände an den vermeintlich höheren Bildungsanstalten, genannt Universitäten. Die Autorin ist hauptberuflich Lehrbeauftragte an der Universität Bonn auf dem Gebiet Medienpolitik  und Medienkultur.

Herrschaft der "Mediokratie"

Bis zum Jahr 2010 leitete sie das Feuilleton der ehemaligen Wochenzeitung Rheinischer Merkur. Der Bereich „Christ und Welt“ ist erhalten geblieben und erscheint unter der Redaktionsleitung von Christiane Florin in „Die Zeit“, Hamburg.

„Einen Namen machen sich Professoren der Politikwissenschaft heute weniger durch bahnbrechende Bücher als durch ihre Fernsehauftritte. Das 90-Sekunden-Statement im Einspieler einer Talkshow zum Koalitionsvertrag bringt mehr Ruhm ein als das Standardwerk zum Regierungssystem der Bundesrepublik.

‚Sie plädieren doch fürs Diskutieren und Denken. Warum melden sich Politikwissenschaftler nur zu Wort, wenn es um Affären, Skandale und die schnelle Kommentierung von Wahlergebnissen geht?‘, fragte mich ein Student in einer Mail. Weil auch Geisteswissenschaftler erkannt haben, dass sich von den Skandalen der anderen besser leben lässt als von der eigenen Originalität.

Zu meiner Studienzeit galt verständliches Formulieren noch als unanständig, mittlerweile gewichten Hochschullehrer ihre Artikel und Interviews in Massenmedien höher als ihre Beiträge in Fachzeitschriften. Die Mediokratie, wie Thomas Meyer die ‚Kolonisierung‘ der ‚res publica‘ durch die Medien nennt, hat nicht nur die praktische Politik erreicht, sondern auch die Wissenschaft."

Ausgefeiltes Langeweile-Vermeidungsprogramm

"Wer an der Uni lehrt, hat einsehen müssen, dass eine hermetische Sprache noch kein Indiz für exzellente geistige Arbeit ist. Wenn der Hörsaal zum Showroom wird, reden Professoren verständlicher, sie wählen weniger abseitige Themen und bemühen sich um ihr Publikum. Diesen positiven Show-Effekt möchte ich nicht missen.“

Eine Doppelstunde muss geplant werden wie eine 90-minütige Show. Viele der heute 20-Jährigen haben als Kinder der 1990er-Jahre ein ausgefeiltes Langeweile-Vermeidungsprogramm von Ausdruckstanz- bis Zauberunterricht durchlaufen. Sie verweilen höchstens zwei Minuten auf einer Internetseite, meistens klicken sie deutlich früher weiter. Ein Moment nachdenklicher Stille im Seminarraum wirkt auf sie wie eine Ton- und Bildstörung. „Dozent ist schlecht vorbereitet“, steht dann in den Evaluationsbögen.

„An sich Selbstverständliches muss verständlich gemacht, also eingefordert werden. Wenn ich nicht ausdrücklich in drei Rundmails mit Öffnungsbestätigung festhalte, dass Anwesenheit für die Anrechnung von Credit Points notwendig ist, gilt sogar Präsenz als optional.

Nicht einmal vor der Frage ‚Müssen wir bei Referaten da sein oder reicht das Skript?‘ schrecken einige zurück. Die zeitweise ausgemusterte Anwesenheitsliste kursiert deshalb wieder. Sie ist klarer als jede Ansage.

Da die meisten Teilnehmer eines Journalismus-Moduls nicht regelmäßig medien-kritische Debatten verfolgen, schicke ich ihnen Aufsätze als PDF oder Links zu passenden Artikeln im Internet. Wenn ich nicht „Bitte für unser nächstes Seminar lesen!“ dazuschreibe, geht die Vorbereitung schief. Dann speichern zwar alle die Mail ab, aber nur höchstens drei von 15 dringen tatsächlich bis zu den Artikeln vor.

Einer von ihnen ist bereit, die Hauptthesen zusammenzufassen. Einmal nahm sich ein anderer nach ein paar Sekunden betretener Stille ein Herz und sagte: ‚Ich konnte den Link, den Sie uns geschickt haben, überhaupt nicht öffnen.‘ Warum er mir das erst jetzt mitteilte und nicht zwei Tage vorher, als er die Mail geöffnet hatte? ‚Ich wusste nicht, dass man Sie dann benachrichtigen muss.‘

Wasserbetten und Meditationsräume anstatt Öffnungszeiten der Bibliothek

„Schon Boris Becker wusste: Tennisspiele werden nicht allein mit Vorhand und Beinarbeit entschieden, sondern im Kopf. Meine Generation lernte von dem Wimbledon-Philosophen das Wort ‚mental‘. Jede zweitklassige Fußballmannschaft hat mittlerweile ihren Mentalcoach. Warum nicht auch jede Uni, und zwar nicht nur für Studenten, sondern vor allem für Professoren und Dozenten?

Wenn ich schon Animateur, Erzieher und Motivationstrainer sein soll, will ich das ebenso professionell gelernt haben wie die Luhmann’schen Nachrichtenkriterien. Die heute 20-Jährigen sind mit Debatten über Lernbedingungen groß geworden.

Mein Sohn, gerade neun, hat an seiner Grundschule ein Zimmer mit Wasserbett und farbigen Lichtern. „Snoezeln“ heißt das Konzept, die Kinder entspannen in diesem Ambiente also pädagogisch wertvoll. Ausprobiert wurde es in der Behindertenarbeit, nun wird die Methode auf einen größeren Personenkreis übertragen“.

Je kürzer die Studienzeit wird, desto mehr allgemeine Lebenshilfe werden die Universitäten leisten müssen. Orientierungs-, Motivations- und Lern-Organisationskurse sind erst der Anfang. Angebote zur guten Lebensführung oder, Bolognagerechter ausgedrückt, Lifemanagement-Angebote werden folgen.

Den angehenden Bachelor allerdings empört der Wust an Vorgaben und Unterstützungsangeboten gar nicht. Er ist entrüstet über die eine fehlende Anweisung. Damit ist er in bester Gesellschaft: Die Ratgeberregale sind voll mit Anleitungen zum Erziehen, Ernähren, Lieben, Arbeiten, Pausieren, Vererben. Zwischen pränataler und postmortaler Phase kann der Mensch vieles falsch machen.

Mehr als Adorno oder Max Weber prägt diese Gedankenwelt die heute 20-Jährigen. Sie wollen alles richtig machen, noch richtiger als ihre ratgeberlesenden Eltern. Detaillierte Angaben geben den Studenten das gute Gefühl, aus der Fülle der Möglichkeiten das Richtige oder wenigstens das Erwünschte zu tun.

Verfechter des Humboldt’schen Bildungsideals mögen in seitenfüllenden Zeitungsartikeln das Verschulte des Bachelorstudiums beklagen – viele Studenten schätzen genau das: Vorgefertigte Stundenpläne und detaillierte Arbeitsanweisungen mindern aus ihrer Sicht das Risiko, Fehler zu machen. Exakte Angaben – bis hin zur Zeichenzahl von Klausuren – mögen Studenten früherer Jahrzehnte als Gängelung empfunden haben, viele der heutigen fühlen sich um eine ihnen zustehende Lehr-Leistung betrogen, wenn die Uni sie nicht umsorgt.

Umsorgungspakete

Was nach Freiheitsberaubung aussehen könnte, macht Freiheit erst erträglich. Ohne Vorschriften wäre die Entscheidungsfreiheit im übrigen Leben kaum auszuhalten. Geisteswissenschaften gelten noch als einigermaßen frei, die engmaschige Betreuung hat aber auch sie erreicht.

Als Hochschulpolitiker, wie 2007 geschehen, ein „Jahr der Geisteswissenschaften“ auslobten und sogar der „Spiegel“ in einer Serie aufregende Denker an deutschen Hochschulen entdeckt hat, dürfte sich mancher Lehrbeauftragte an der geistes-wissenschaftlichen Basis ziemlich blöd gefühlt haben. Bevor bundesweit beachtete intellektuelle Gipfel überhaupt in Sichtweite kommen können, müssen die Dozenten erst einmal umfangreiche Umsorgungspakete schnüren.

„Auf den Lebensstil-Wandel der Studenten waren wir schlecht vorbereitet. Wir Lehrenden sahen die Wasserflaschen, die Notebooks, die subtilen Codes der Markenvermeidungsmarken. Wir blickten in die Gesichter von künftigen Geisteswissenschaftlern, die Erfolg und Effizienz nicht mehr ideologisch bekämpften. Die Hochschulen gaben ihnen die Möglichkeit, effizient zu studieren.

Doch wir haben das abgeklärte Auftreten unseres Gegenübers mit Erwachsensein verwechselt. Bewundernd haben wir zugehört, wenn sie vom Schüleraustausch in Schanghai erzählten. Neidisch sind wir darauf, wie versiert sie sich im World Wide Web bewegen. Die kennen die Welt, analog und digital!

Wir Dozenten haben uns selbst überschätzt: Wir hatten geglaubt, mit unseren Themen mithalten zu können, wir hatten auf so etwas wie Liebe zum Fach gehofft. Das war eine vermessene Erwartung, ein Relikt jener Zeit, als Geisteswissenschaften noch Leitwissenschaften waren und Studenten die Uni wegen eines bestimmten Professors oder einer bestimmten Denkschule aussuchten.

Heute punkten wir nicht mehr mit der Dialektik der Aufklärung, sondern kämpfen mit der Dialektik der Abklärung. Jedes formale Detail wird per Mail und Einzelgespräch abgeklärt. Was unsere Kunden aber vom großen Ganzen denken, gibt uns Rätsel auf“.

Foto: Cover rororo Verlag


Christiane Florin

Warum unsere Studenten so angepasst sind

rororo, 80 Seiten
4,99 Euro
ISBN 978-3-499-61741-6



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