Chinas ehemaliger Basketballstar über Freiheit und Olympische Spiele

„Olympic Freedom Run" in Berlin
Titelbild
Kai Chen stammt aus Peking. Wie so Viele waren auch seine Eltern im Zuge der Kulturrevolution aufs Land verbannt worden und er wuchs in der nordwestlichen Provinz Jilin auf. Als Angehöriger der Volksbefreiungsarmee spielte er für Basketballteams verschiedener Provinz-Armeeclubs, zwischen 1973 und 1979 dann für die chinesische A-Nationalmannschaft. Nach dem Boykott der Spiele in Los Angeles beendete Chen seine Sportkarriere. Es folgte ein Sportstudium am Pekinger Institute of Physical Culture und ab 1981 ein Studium der Politikwissenschaft in den USA. 1989, nachdem er Augenzeuge der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste geworden war, verließ er China endgültig und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 2007 erschien seine Autobiografie „One in a billion – journey toward freedom. The story of a pro-basketball player in China“. Er gründete die Olympic Freedom T-Shirt Movement: „Trage unser ‚Olympic Freedom T-shirt‘ und drücke Deine Unterstützung aus für alle freiheitsliebenenden Menschen in China und der Welt.“ (Foto: Jason Wang)
Epoch Times17. Januar 2008

Dem zwei Meter großen Basketballer Kai Chen kamen die Tränen, als er vor dem Holocaustdenkmal im Zentrum von Berlin stand. Sein Lauf für „Olympic Freedom“ letzten Samstag endete hier. „Ich bin sehr aufgeregt. Ich denke, dass ein ähnliches Denkmal auch in China errichtet wird, wenn die Kommunistische Partei gefallen ist, um den Opfern der kommunistischen Machtherrschaft zu gedenken – Tausenden und aber Tausenden namenslosen Opfern, unschuldigen Menschen. Ich hoffe, dass alle Menschen daran glauben können, dass auch die Menschen in China von der Diktatur zur Freiheit gelangen. Und wenn dieser Tag kommt, werde ich nach China zurückkehren und zum Andenken der verfolgten Menschen einen Lauf machen.“

Nach New York, Los Angeles, Sydney, Vancouver, ist Berlin die neunte Station des von Chen initiierten „Olympic Freedom Run“. Größter Wunsch des ehemaligen Basketballspielers der chinesischen Nationalmannschaft wäre es, in allen Städten, in denen die Olympischen Spielen stattgefunden haben, laufen zu können. Dabei nimmt Berlin aufgrund seiner eigenen Geschichte – den Olympischen Spielen 1936 und dem Fall der Mauer 1989 – eine ganz besondere symbolische Stellung und Parallele zu China ein. Auf einem Workshop des Sportnetzwerks am Tag vor dem Lauf erzählte Chen wie er vom Berliner Mauerfall erfahren hatte und was ein solches Ereignis für Menschen bedeutet, die selbst ein tyrannisches System kennengelernt haben. Seine 2007 in den USA erschienene Biographie ‚One in a billion‘, dokumentiert in Notizen und Tagebucheinträgen das Leben des chinesischen Hochleistungssportlers und seine Versuche, sich innerhalb des Systems für Freiheit zu engagieren. Den Lauf vom Berliner Olympiastadion bis zum Holocaustdenkmal sieht Chen symbolisch als einen Lauf von anfänglicher Verwirrung zu moralischer Klarheit oder von Diktatur zu Freiheit.

ETD: Mit welchem Ziel sind Sie nach Berlin gekommen?

Chen: Ich empfand diese Stadt wegen seiner Geschichte als besonders wichtig. Hier haben 1936 die Olympischen Spiele unter dem Nazi-Regime stattgefunden und hier ist 1989 die Mauer gefallen. Daher habe ich meine Laufstrecke vom Olympiastadion über die Mauerreste vor dem Brandenburger Tor bis zum Holocaustdenkmal festgelegt. Das soll den Weg von der Diktatur zur Freiheit symbolisieren. Für die Freiheit hat auch das deutsche Volk seinen Preis gezahlt. Es müsste am besten verstehen können, in welchem inneren Zustand sich die Menschen befinden, die Gehirnwäsche und Propaganda ausgesetzt sind, und wie sie der Freiheit entgegen zu gehen wünschen.

Ich nenne meinen Lauf in Berlin einen Lauf, der von Verwirrung der Moral zur moralischen Klarheit, von Angst zum Mut, von Hoffnungslosigkeit zur Hoffnung, von Diktatur zur Freiheit führt. Ich hoffe, dass ich durch den Lauf die Botschaft an die Chinesen weitergeben kann, dass nicht in jedem Land von Anfang an Freiheit herrscht. Auch die anderen hatten sich angestrengt, um zunächst die rechte moralische Einstellung zu finden und erlangten schrittweise die Freiheit. In der ehemaligen DDR versuchten die Menschen nach Westdeutschland zu flüchten. Ich habe Filme darüber gesehen und kann ihre Sehnsucht nach Freiheit gut verstehen. Auch ich bin in einer Diktatur aufgewachsen und habe in einer freien Gesellschaft, in Amerika, meine Freiheit zurückbekommen. Ich hoffe, dass auch China diesen Weg geht. Aber diesen Weg kann man nicht passiv gehen, indem man wartet, bis die Freiheit vom Himmel fällt. Die Menschen müssen aufstehen und den Mut fassen, der Freiheit entgegen zu gehen.

Start des „Olympic Freedom Run“ in Berlin. (Start des „Olympic Freedom Run“ in Berlin. (Foto: Jason Wang)

ETD: Dieser Lauf ist eine Etappe Ihres „Olympic Freedom Run“. Wie entstand die Idee?

Chen: Jede Entscheidung wirkt sich auf das Leben aus. Wenn ich zurückblicke, möchte ich mein bisheriges Leben als eine Reise in die Freiheit bezeichnen. Auch als ich in China lebte, wo mein Leben von Ängsten und Leiden erfüllt war, ist die Flamme für die Freiheit nicht erloschen. Jede Entscheidung war auf die Freiheit ausgerichtet. Diese Richtung ist mir absolut klar, das gilt nicht nur für meine Zeit in China, sondern auch in Amerika.

Nachdem meine Autorbiografie herausgegeben wurde, interessierten sich immer mehr Menschen für mein Leben in China und mir wurde klar, wie wichtig es ist, dass ich auf irgendeine Weise die Werte, denen ich immer gefolgt war, nach Außen transportiere. Ich denke, für mich als Sportler ist das Laufen der beste Weg, um Sport und Freiheit zu kombinieren.

Als mir die Idee zum ersten Mal kam, war ich so begeistert, dass ich an dem Abend nicht einschlafen konnte‚ oh mein Gott, das ist genau das, was ich tun soll. Ich hatte keinerlei Zweifel und spürte nur, dass es eine Sache ist, die schon vorbestimmt ist – ich habe sie nun gefunden. Ich sehe es als einen Segen Gottes an, mit meiner Fähigkeit, meinen Lebenserfahrungen und meinem Gewissen die wahre Geschichte Chinas zu erzählen.

ETD: Was haben Sie mit Ihren Läufen bisher erreicht?

Chen: Durch meinen Lauf möchte ich die Menschen erreichen und an sie appellieren. Ich rufe keine Regierung auf, ich suche auch nicht den Präsidenten auf. Ich lege mehr Hoffung auf jeden einzelnen Sportler, jeden Tourist, jeden gewissenhaften Menschen, dass sie ihre Moral zeigen, wenn sie in China sind. Daher ist mein Lauf auch ein Lauf, der sich an jeden richtet.

Wenn vor und während der Olympischen Spiele sich die Aufmerksamkeit auf das Wesen des Regimes richtet, werden sich die Menschen klar darüber werden, dass es sich hier um ein illegales und bösartiges Regime handelt. Die Welt und auch die Menschen in China selbst werden sich dann anders gegenüber dem Regime verhalten. Natürlich setzt das voraus, dass die Menschen den Mut haben, das Wesen des Regimes offen zu legen, auch wenn das Regime versucht, alles zu vertuschen. Wir sollen diese Decke aufreißen. Mein Lauf dient auch dazu. Ich glaube, wenn wir das tun, könnte eine große Wandlung vor, während oder kurz nach den Spielen passieren.

ETD: Was ist das größte Problem in China?

Chen: Das Problem der Moral.
In China wird die Macht anstatt der Moral hoch geachtet, es gibt keine moralischen Normen. Die moralische Grundnorm wäre doch, dass die Würde und die Freiheit des Menschen respektiert werden. Ohne diese Grundlage kann von Moral keine Rede sein.

Mit dem chinesischen Regime über Menschenrechte zu reden, ist so wie nach dem chinesischen Sprichwort, „einer Kuh die Laute vorzuspielen“. Ein illegales Regime, welches gegen die Menschheit ist, kann nicht über Menschenrechte sprechen. Wenn ich heute versuche, mit diesem Regime über Menschenrechte zu diskutieren, bedeutet das, dass ich innerlich seiner Legitimität zugestimmt habe. Ich thematisiere lieber seine Illegalität.

ETD: Welche Rolle spielt der Sport im heutigen China?

Chen: Besonders der Hochleistungssport spielt im System eine wichtige Rolle und wird vom Staat stark gefördert, da er China gegenüber dem Ausland zu Ansehen verhelfen kann und nach Innen der Stabilisierung der Herrschaft der Partei dient. Die Leidenschaft der Sportler wird von den Parteifunktionären ausgenutzt, um für das System und sie selbst politisches Kapital herauszuschlagen. Wenn die Sportler viele Medaillen geholt haben, wird das gedeutet, als habe die Partei sie gut geleitet. Wenn sie nicht erfolgreich waren, werden sie gerügt, dass sie nicht den Anweisungen der Partei gefolgt sind.

Als ich in China auf dem Höhepunkt meiner sportlichen Karriere stand, habe ich mich vom Sport zurückgezogen, weil mir immer klarer wurde, dass ich immer mehr entgegen meinem Gewissen handeln müsste und nur zu einem Werkzeug geworden wäre, das den Interessen des Regimes dient.

ETD: Nach dem Mauerfall in Deutschland wurde das Staatsdoping in der ehemaligen DDR aufgedeckt. Sie spielten in der chinesischen Nationalmannschaft. Waren Sie damals gedopt?

Chen: Als ich in den 70er Jahren in der Nationalmannschaft spielte, war China durch die Isolierung noch sehr rückständig, man kannte damals noch kein Doping. Aber schon in den achtziger Jahren, als ich in Amerika war, haben mir chinesische Hochleistungssportler erzählt, dass die chinesische Regierung damit begonnen hätte, die Sportler systematisch zu dopen, um ihre Leistung zu erhöhen und für den Staat Medaillen zu gewinnen.

Es gab damals auch Medienberichte über Sportler, die wegen regelmäßigem Doping gesundheitliche Schäden davontrugen. Es gab zum Beispiel Sportlerinnen, die Missgeburten zur Welt brachten. Eine Bekannte von mir, die in den achtziger Jahren in der Pekinger Basketballmannschaft spielte, erzählte mir, dass die Spielerinnen jeden Tag vor dem Training vom Trainer gezwungen wurden, Tabletten zu nehmen. Ansonsten wären sie vom Training ausgeschlossen worden. Dies war in den achtziger Jahren weit verbreitet. Besonders vom Doping betroffen waren die Frauen, insbesondere die Gewichtheberinnen und die Schwimmerinnen. Ich weiß von Fällen, bei denen die Knochen der Sportlerinnen brachen, weil sie mit dem übermäßigen Wachstum der Muskeln nicht Schritt halten konnten. Die Ärzte versuchten, die besten Dosen herauszufinden, damit die Sportler die maximale Leistung bringen würden, ohne dass das Mittel vor dem Wettkampf nachgewiesen werden konnte.

Ich habe Glück gehabt, dass das staatliche Dopingprogramm erst nach meinem Ausscheiden begann, deshalb verfüge ich heute über die Gesundheit, um diesen Lauf zu machen.

Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr. 3 (16.-22. Januar 2008)



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