Zwei Lebenswege – ein politisches System (Teil 2)

Zwei Männer, zwei Wege. Doch so unterschiedlich die nachfolgend geschilderten Lebenswege auch erscheinen mögen, eines haben sie gemeinsam: Beide Wege waren gekennzeichnet von Unterdrückung, Ausgrenzung, Einschüchterung und Schmerz. Beide Wege beinhalten politische Haft. Beide Lebenswege führten sie über das politische System hinaus, das ihre Zukunft nachhaltig prägte. – Teil 2
Titelbild
(Nikolaus Becker/www.bilderundfilme.de)
Epoch Times24. Juli 2008

Horst Pfeiffer, Jahrgang 1956, stellte als Produktionsarbeiter im Textilkombinat Cottbus mehrfach Verfahrensabläufe, die fern von demokratischen Entscheidungsprozessen waren, in Frage. So äußerte er zum Beispiel bei Sitzungen die Frage, warum Abteilungsleiter nicht direkt durch das „Arbeitskollektiv“ gewählt werden konnten, oder was für einen Sinn eine Wahl macht, wenn es nur einen Kandidaten gibt. Die Verfassung der DDR sagte klar aus: „Alle politische Macht in der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Werktätigen in Stadt und Land ausgeübt. Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen der sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates“ – Artikel 2 der Verfassung der DDR von 1974. Die Realität sah jedoch anders aus. Genau dies sprach er an.

Haft im berüchtigten „Gelben Elend“

Nach den Äußerungen kam es zu Aussprachen, in denen angedeutet wurde, dass sein Verhalten strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte und er Gefahr laufe, in Haft genommen zu werden. Um einer möglichen Verhaftung zu entgehen, startete er daraufhin im Juni 1980 am Dreiländereck in der Nähe von Plauen (Sachsen) einen Fluchtversuch, um über die damalige CSSR nach Österreich oder in die BRD zu gelangen. Von der Flucht über Berlin sah er ab, da seiner Ansicht nach die Grenze nach dem Bau der Mauer 1961 zu stark abgesichert war. Bei diesem Fluchtversuch wurde er aufgegriffen und nach kurzer Haft in Plauen in die Haftanstalt Cottbus gebracht. Nach zwei Monaten U-Haft dort wurde er unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen Staatsflucht und konterrevolutionärem Verhalten zu einem Jahr Haft in Bautzen I, dem berüchtigten „Gelben Elend“, verurteilt.

Den Beinamen erhielt die Haftanstalt bereits kurz nach ihrer Errichtung Anfang des letzten Jahrhunderts aufgrund der gelben Klinker, aus denen die Gebäudemauern bestanden. Bautzen I diente bereits zu Zeiten des Nationalsozialismus als Haftanstalt für politische Gefangene. Gegen Ende der DDR war sie mit ca. 75 Prozent Kriminellen und 25 Prozent politischen Gefangenen belegt.

Im Juni 1981 wurde er wieder aus der Haft entlassen. Danach bestand für fünf Jahre die Auflage, den Kreis Cottbus nicht ohne eine Genehmigung verlassen zu dürfen. Einen regulären Ausweis erhielt er in diesem Zeitraum nicht.

Für Horst Pfeiffer ist klar, dass gerade die Haftbedingungen mit ihren verschiedensten Diskriminierungs- und Einschüchterungsversuchen ihn zu einem Bürgerrechtler formten und genau das Gegenteil des eigentlich beabsichtigten Ergebnisses bewirkten. Die Veränderungen in der DDR bis Ende Oktober 1989 sieht er als eine friedliche Revolution an, die die Staats-DDR in eine Volks-DDR umwandelte. Danach begann die sogenannte Wende, die für Pfeiffer eine bürgerliche Konterrevolution darstellt. Er gehörte mit zu den etwa 7.000-8.000 Menschen, die sich aus eigenem Antrieb am 7. Oktober, dem 40. Jahrestag der Gründung der DDR, in der Nähe des Palastes der Republik zusammenfanden. Hier forderten sie mehr Mitbestimmung und demokratische Freiheiten ein.

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“

Die Maueröffnung stand für ihn in diesen Tagen dabei nicht an erster Stelle. „Perestroika“ – Umstrukturierung lautete das Motto. In seinen Erzählungen wird deutlich, wie viel Hoffnung die Menschen der DDR, die sich nach tief greifenden politischen Veränderungen sehnten, in Gorbatschow setzten. Dieses Verhalten wurde noch bestärkt durch die Haltung der DDR-Regierung zu dem Massaker am 4. Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz. So wurde durch die Volkskammer eine Resolution verabschiedet, in der die DDR unmissverständlich ihre Unterstützung für die Niederschlagung der „konterrevolutionären Unruhen“ in Peking bekundete. Außerdem fanden weitere Solidaritätsbekundungen durch hohe Politiker der DDR statt.

So sagte Egon Krenz, damaliger Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates und späterer Nachfolger Honeckers, auf das Massaker bezogen, hier sei „etwas getan worden, um die Ordnung wiederherzustellen“. Diese und ähnliche Äußerungen stießen auf Empörung und entschiedene Ablehnung bei den nach Veränderung strebenden DDR-Bürgern und verschärften die damalige Situation.

Wie die DDR-Regierung auf weitere Proteste reagieren würde, tauchte nun deutlich als eine wichtige Frage unter den Demonstrierenden auf. Daher schauten viele DDR-Bürger nach Moskau und auf den russischen Staatspräsidenten. Dabei fanden sie besonders während seines Staatsbesuches in der DDR im Oktober 1989 zunehmend Signale, die sie in ihrer Haltung bestärkten.

Ob Gorbatschow dabei tatsächlich am 7. Oktober den Satz, „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, verlautet hat, ist nicht eindeutig geklärt. Gesichert hingegen ist die Aussage Gorbatschows: „Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren“, den er als Kernsatz in einem spontanen Interview mit der ARD am 6. Oktober 1989 in Ost-Berlin äußerte.

Unabhängig davon, welche Äußerungen wirklich von ihm stammen, war klar, dass er friedliche Reformen in der DDR unterstützte. Mehr noch, sie bei der DDR-Führung sogar anregte. Gleichzeitig machte er deutlich, dass sich die UDSSR bei Reformbestrebungen innerhalb der DDR weitestgehend heraushalten würde, wenn sie denn friedlich verliefen. Diese klare Botschaft verstärkte die Hoffnung und die Motivation der Menschen in der DDR und beschleunigte die Veränderungsprozesse.

Das Ende der DDR – ein Rückblick

Und tatsächlich ging danach alles ziemlich schnell. Rückblickend sieht Pfeiffer die Zeit nach dem Rücktritt Honeckers am 18. Oktober bis zum Dezember 1989 als die schönste Zeit in der DDR an.

Was ihm in der DDR am stärksten missfiel, war der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis des politischen Systems. Auf der einen Seite versprach man „Alle Macht dem Volke!“, auf der anderen Seite bestimmte ein kleiner Kreis von Funktionären, was richtig und was falsch war, was wann und wie in der DDR zu geschehen hatte. In diesem Sinne sieht er jeden Staatsapparat, in dessen Funktion es eine Hierarchie gibt, die die Interessen des Volkes nicht realisiert, als eine Diktatur an. Für ihn ist die Solidarität untereinander eines der wichtigsten Elemente in der Gesellschaft. Was gerade auf die Politik bezogen Offenheit und Ehrlichkeit miteinschließt.

Pfeiffer ist mittlerweile 52 Jahre alt, Vater zweier Töchter, lebt zusammen mit seiner Frau in einer kleinen Gemeinde in Brandenburg. Den Besuch auf dem Haftgelände in Cottbus im Juni dieses Jahres sah er als Vorbereitung an, um den nächsten Schritt in der Aufarbeitung seiner Vergangenheit, einen Besuch des „Gelben Elends“ in Bautzen, durchzuführen. Er spürt auch heute noch die tiefen Wunden, die in dieser Zeit entstanden sind. Den anderen ehemaligen Häftlingen, so ist er sich sicher, geht es ebenso.

Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr. 30/08

(Nikolaus Becker/www.bilderundfilme.de) (Nikolaus Becker/www.bilderundfilme.de)


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