Chinas Rolle in der Finanzkrise / Teil II

Lesen Sie im zweiten Teil unseres Interviews die Abrechnung Jörg Rudolphs mit vermeintlichen Chinaexperten, den chinesischen Machthabern und der „moralfreien Wirtschaft".
Titelbild
(Mark Ralston/AFP/Getty Images)
Epoch Times29. Oktober 2008

Epoch Times: Was hat nun der ASEM-Gipfel gebracht?

Rudolph: Ich würde nicht so viel von diesem Gipfel erwarten. Ich sehe hier Leute am Werk, die von der Politik leben, die ihr Einkommen mit der Politik erzielen. Für sie ist die derzeitige Situation eine wunderbare Gelegenheit, um zu zeigen, wie wichtig sie sind. Der amerikanische Präsident möchte sicher noch einmal etwas Schönes zum Abschluss seiner Amtszeit machen – endlich mal was Schönes -, also ich glaube, da wird viel geredet, ein großer Wind gemacht. Aber diese Krise werden sie nicht in den Griff bekommen.

Epoch Times: Wäre gerade in Krisenzeiten wie diesen nicht mehr gefragt, als bloß großer Wind?

Rudolph: Die Finanzkrise – es weiß doch überhaupt keiner, was da los ist. Das ist doch grauenhaft. Die Leute, die diese Krise gemacht haben, sitzen in ihren Büros und kommen nicht heraus. Keiner sagt etwas. Wahrscheinlich wissen die auch nicht, was sie gemacht haben, oder zumindest der Großteil davon. Das ist meine persönliche Meinung. Da wird jetzt viel Wind gemacht, jeder zeigt, wie wichtig er ist, aber bewirken können die alle nichts.

Epoch Times: Viele Leute sehen China und seine Wirtschaft als Hoffnungsträger.

Rudolph: Nur im sogenannten Westen gibt es Leute, die glauben, dass aus China irgendein Heil kommt. Diese Leute sind Opfer ihrer eigenen Propaganda der letzten Jahre. Wo sie immer gesagt haben „China ganz groß“ und so weiter.

Epoch Times: Einer der bekanntesten Verfechter des „chinesischen Wunders“ ist der Journalist und Buchautor Frank Sieren.

Rudolph: Frank Sieren kann nicht einmal Chinesisch, da kann man nicht erwarten, dass er irgendetwas über China weiß. Dass man ein bisschen Chinesisch lesen kann, das sollte doch das Mindeste sein. Alle anderen, die das nicht können, die können wir als Chinaexperten vergessen. Natürlich haben sie den Ruf, das zu sein. Aber Sie könnten ja einmal anfangen zu schreiben, dass die keine Ahnung haben, schon weil sie die Sprache nicht können und die Schrift nicht lesen können.

Epoch Times: Sie kennen den Essay „Have China Scholars All Been Bought?“ (Anm.: „Im Bett mit der Mafia. Wie Chinaexperten korrumpiert werden“) des Hongkonger Wirtschaftsprofessors Carsten Holz?

Rudolph: Der ist sehr schön. Was uns Menschen immer treibt, sind doch Interessen. Und Chinaexperten oder viele Wissenschaftler, Sinologen und andere – ich glaube nicht, dass sie direkt gekauft sind, aber sie haben Angst. Sie sagen, wir machen China, wenn wir jetzt etwas Negatives, oder etwas Böses, oder auch nur etwas Realistisches schreiben, dann dürfen wir nicht mehr nach China fahren. Die überschätzen sich auch. Diese Leute sind relativ uninteressant für die chinesischen Machthaber. Es gibt allerdings einige, die haben tatsächlich Einreiseverbot.

Epoch Times: Wie Helmut Martin, der kein Visum bekam.

Rudolph: Ja.

Epoch Times: Bundeskanzlerin Merkel hat eine Stunde mit Chinas Premier Wen Jiabao gesprochen. Es heißt nun, die „Eiszeit“ sei vorbei. Gab es jemals diese Eiszeit zwischen China und Deutschland?

Rudolph: Ich sehe es so, dass viele Lobbyisten aus der Wirtschaft, wie Herr Hambrecht und so weiter, immer Angst haben, etwas falsch zu machen, was sich dann auf ihre Geschäfte negativ auswirken könnte. Diese Angst ist auch nicht unbegründet, denn das chinesische System erlaubt es der Politik dort, wenn sie will, einzelne Geschäfte kaputtzumachen. Also, wenn sie will. Die Gefahr ist deshalb real, und das wissen diese Leute – deshalb haben sie immer Angst. Das muss nicht immer begründet sein, aber sie haben diese Angst.

Dann gehen sie nach Berlin ins Kanzleramt – Lobbygruppen wie BDI und DIHK und wer da alles ist – und wollen ihre Anliegen bei der Politik in Deutschland unterbringen. Normalerweise schaffen sie das auch einigermaßen. Die Politik ist auch froh, wenn dann wieder alles gut ist.

Herr Schröder ist da sicher geeigneter, um alles „gut zu machen“. Frau Merkel hat eine persönliche Geschichte in der DDR und wenn sie in China ist, kommt ihr sicherlich einiges bekannt vor. Mit Frau Merkel ist es nicht so einfach wie mit Herrn Schröder. Aber natürlich wird sie auch versuchen, der Wirtschaft ein wenig entgegenzukommen. Wahrscheinlich ist sie persönlich auch froh, dass jetzt wieder alles gut ist. Aber ich glaube nicht, dass sie sich da so zurückhält wie Schröder. Sie hat auch diesmal zwei Menschenrechtler und zwei Forscher getroffen. Sie führt ihre Linie weiter.

Epoch Times: Sie verteidigt ihr Treffen mit dem Dalai Lama.

Rudolph: Ja, so etwas macht sie. Schröder würde so etwas nicht machen. Der würde den Dalai Lama sowieso gar nicht treffen. Schröder macht alles, damit er seine Interessen verwirklichen kann. Frau Merkel hat, glaube ich, auch ein wenig sachorientierte Ziele, nicht nur persönlich orientierte Ziele.

Epoch Times: Waren die Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands zu China zu Zeiten Schröders wirklich besser als während der Merkel-Kanzlerschaft?

Rudolph: Das kann ich nicht beurteilen. Aber die Angst der Manager ist bei Frau Merkel sicherlich größer. Schröder hat immer alles gemacht. Den chinesischen Machthabern müssen sie nach dem Gesicht reden. „Ein großes Gesicht machen“ – das macht Schröder. Frau Merkel nicht so sehr. Ein bisschen auch, das macht man immer, aber ich glaube, sie ist da sehr anders als Schröder.

Jörg Rudolph (Matthias Kehrein/The Epoch Times)Jörg Rudolph (Matthias Kehrein/The Epoch Times)

Epoch Times: Das EU-Parlament hat trotz der Warnungen dem Bürgerrechtler Hu Jia den Sacharow-Preis verliehen. Kann es zu einer Eiszeit zwischen China und der EU kommen?

Rudolph: Nein. Sie haben ja schon gesagt, das macht nichts. Der Sprecher vom Außenamt hat ja schon gesagt: „Das ist nicht so wichtig.“ Das zeigt auch, wie diese Leute denken. Hu Jia – der ist nicht wichtig. Wenn der im Gefängnis ist, das ist nicht wichtig.

Natürlich ist das wichtig, aber das spielen sie runter. Da wird nichts mehr kommen, glaube ich. Aber nach dem Dalai Lama, da gab es große chinesische Webseiten, auch Xinhua war dabei, die eine Eiszeit China-Deutschland ausgerufen haben. Das gibt es jetzt nicht.

In China weiß selbst bei den Bloggern kaum jemand, wer Hu Jia ist. Der Dalai Lama, ja. Aber Hu Jia, da wird die chinesische Regierung nichts machen.

Epoch Times: Gibt es dann überhaupt eine Auswirkung der Verleihung des Sacharow-Preises auf die chinesische Zivilgesellschaft?

Rudolph: China weiß ja gar nichts davon. Ganz, ganz wenige wissen, wer Hu Jia ist. Im Ausland wissen das mit Sicherheit mehr Leute. Ich finde es sehr gut, was das EU-Parlament gemacht hat. Das muss man unbedingt machen. Das Wichtigste ist, dass der chinesische Staat und die Gesellschaft transparent und offen werden. Dafür war das aus meiner Sicht ein guter Beitrag. Muss man weiter machen.

Epoch Times: Es gibt Stimmen, die sagen, das westliche System und der Zugang zu Menschenrechten könnten nicht auf die chinesische Gesellschaft übertragen werden.

Rudolph: Wer sagt denn das – alles Leute, die damit Interessen verfolgen. Firmenmanager sagen das zum Beispiel. Und natürlich die chinesischen Machthaber, die sagen das auch. Das ist sehr arrogant.

Persönlich finde ich auch, man sollte nicht von Menschenrechten reden. Man sollte sagen, was man meint: Pressefreiheit, Organisationsfreiheit. Darum geht es. Transparenz, Versammlungsfreiheit – solche Dinge sind wichtig. „Menschenrechte“ ist viel zu abstrakt. Es gibt in China sogar ein Magazin, das heißt Menschenrechte. Abgenutzt, der Begriff, völlig abgenutzt. Konkret sagen: Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit und so weiter.

Und wenn sie so etwas hätten in China, dann wäre mit Sicherheit auch nicht alles gut. Was meinen Sie, wer sich da alles organisiert? Da werden Sie einen Schreck kriegen, was da alles hochkommt an Chauvinismus und sogenanntem Nationalismus und Arroganz. Das wird ziemlich schrecklich werden. Das müssten sowieso die Chinesen selber machen, das kann man von Außen nicht hineinbringen. Es gibt sowieso einige, die sich einsetzen. Die sich sogar sehr intensiv einsetzen.

Ich denke da etwa an den unabhängigen PEN-Club. Das sind Leute, die auch die Hintergründe zum Milchskandal bringen, also Menschen, die wirklich Analysen machen von aktuellen Dingen. Nicht immer nur rufen: Menschenrechte, Menschenrechte. Das nützt überhaupt nichts. Konkret: Was ist passiert, wie etwa beim Thema Milch. Wie war das Zusammenspiel zwischen den Funktionären und den Unternehmen.

Da gibt es Leute wie Liu Xiabo, die sind sehr mutig, intelligent und immun gegen viele Arten der Parteipropaganda, die sehr auf Nationalismus und Chauvinismus geht. Viele Leute fallen darauf herein, auch wenn sie sonst gegen die Regierung sind. Wir haben das im Frühjahr gesehen bei Tibet. Da waren selbst Leute, die die kommunistische Parteiführung ablehnen plötzlich „gegen den Westen“. Wer immer „der Westen“ ist … ich weiß das auch nicht. Freiheit wahrscheinlich.

Das Interview führten Maria Zheng und Florian Godovits.

Lesen Sie im ersten Teil, wie China-Experte Jörg Rudolph China in einer Wirtschaftskrise beschreibt. Die Devisenreserven von 1,9 Billionen Dollar werden laut Rudolph zum Großteil zur Rettung der Banken gebraucht – viele stünden vor der Pleite. Die Chinesen hätten jahrelang „gezockt“. www.epochtimes.de/wirtschaft/chinas-rolle-in-der-finanzkrise-teil-i-a359775.html

Zur Person:

Professor Dr. Jörg-M. Rudolph (1951) ist Dozent und Geschäftsführer des Ostasieninstituts der Fachhochschule für Wirtschaft in Ludwigshafen. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen chinesische Geschichte und Landeskunde sowie mit aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Er ist Herausgeber des China-Dienstes Sju Tsai — Die Welt der Chinesen (www.xiucai.oai.de). Von 1997 bis 2002 war er Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Peking und Gründungspräsident der Deutschen Handelskammer in China. Er studierte von 1974 bis 1979 Sinologie am Ostasiatischen Seminar der Freien Universität Berlin.

(Mark Ralston/AFP/Getty Images)
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