Brücken müssen nicht nur gebaut, sondern auch beschützt werden

Ein Gespräch mit dem Außenminister von Afghanistan, Rangin Dadfar Spanta in Kabul. Der deutsch-afghanische Politikwissenschaftler war Dozent an der RWTH Aachen, wo er auch studiert und promoviert hat. Er besitzt einen deutschen Pass und ein Parteibuch der Grünen. Im Interview spricht er über die derzeitige Lage Afghanistans nach sieben Jahren Aufbau, über Demokratie, deutsche Steuergelder und die Taliban.
Titelbild
Gespräch mit Rangin Dadfar Spanta (rechts) in Kabul. Er ist seit dem Jahr 2006 Außenminister von Afghanistan. Seine Familie lebt in Deutschland. (Shams Ul Haq)
Epoch Times6. Januar 2009

Epoch Times: Bereits seit sieben Jahren sind deutsche Soldaten in Afghanistan im Einsatz. Was wurde in dieser Zeit erreicht?

Dadfar Spanta: Die deutschen Soldaten sind ein Teil der internationalen Gemeinschaft, die hierher gekommen sind, um gemeinsam mit unseren Sicherheitskräften für den Wiederaufbau der afghanischen Institutionen zu sorgen. Dabei haben sie eine positive Rolle insbesondere in Nordafghanistan gespielt.

Epoch Times: Sie sprechen vom Aufbau Afghanistans, doch es gibt heute noch Menschen im Kabul, die kein sauberes Trinkwasser und keinen Strom haben …

Spanta: Wir sind ein Land der Dritten Welt, das in drei Jahrzehnten Krieg und Besetzung sowie durch internationalen Terrorismus zerstört wurde. Wir haben in den letzten sieben Jahren viel erreicht. Aber es war einfach nicht möglich in der Zeit alle Probleme zu bewältigen. Alle Dritte Welt-Länder haben auch heute noch das Problem einer mangelnden Wasser- und Stromversorgung, sogar ohne Krieg. Damit rechtfertige ich unsere Schwierigkeiten in den sieben Jahren nicht, das heißt wir haben Probleme, das müssen wir zu Kenntnis nehmen. Doch trotz dieser Probleme hat das Land gemeinsam viel erreicht.

Epoch Times: Die Steuerzahler in Deutschland interessiert nun einmal, warum Kabul trotz siebenjährigen Aufbaus immer noch nicht über eine Trinkwasser-Versorgung verfügt.

Spanta: Ich würde Ihnen gerne eine Gegenfrage stellen: Warum gibt es etwa im indischen Delhi immer noch kein brauchbares Wasser zum Trinken?

Epoch Times: Aber Herr Minister, Delhi hat keine Unterstützung durch die NATO-Soldaten.

Spanta: Man hat dort auch keinen dreißigjährigen Krieg hinter sich. Wir sind immer noch ein besetztes Land und haben es mit terroristischen Aktivitäten zu tun. Schauen Sie sich einmal an, wo wir vor sieben Jahren standen. Gab es damals einen sozialen Dienst in Afghanistan? Das Gesundheitswesen war völlig gestört. Es konnten nur neun Prozent der afghanischen Bürger versorgt werden. Wir hatten damals 3.000 Studenten und darunter keine einzige weibliche Studentin. Im Gegensatz dazu haben wir heute mehr als 6,2 Millionen Studenten in Afghanistan und 38 Prozent davon sind Frauen. Überbringen Sie den deutschen Steuerzahlern die Nachricht: Was Deutschland gespendet hat ist nicht irgendwo versickert. Im Norden von Afghanistan etwa wurden Hunderte von Schulen und Krankenhäuser von den Deutschen gebaut. In Herat haben 90 Prozent der Bevölkerung sauberes Wasser zum Trinken. Dies alles haben wir den Deutschen zu verdanken. Es ist falsch, zu behaupten dass nichts passiert ist. Natürlich sind die Erwartungen größer. Leider sind Sie und Ihre Kollegen mit guten Nachrichten nicht immer zu begeistern.

Epoch Times: Wie lange wird es noch dauern, bis sich das Land stabilisiert hat? Die US-amerikanischen Truppen werden um 30.000 Soldaten verstärkt, bedeutet das noch mehr Krieg in Afghanistan?

Spanta: Wir benötigen natürlich noch mehr Soldaten in unserem Land, damit wir die Sicherheitslage einigermaßen in den Griff bekommen. Aber das ist nicht die Antwort auf Ihre Frage. Die richtige wäre, dass wir eine umfangreiche Strategie benötigen. Wir haben diese Strategie bereits, aber ihre Umsetzung ist noch wichtiger: Der Aufbau von Armee und Polizei ist sehr wichtig, damit wir uns selber verteidigen und den Terrorismus beseitigen können. Ich kenne natürlich die Diskussion in Deutschland, da ich sie täglich verfolge. Zu behaupten, dass man nur zwei Brücken oder Schulen in Afghanistan bauen muss und dass danach Frieden einkehrt, ist falsch. Wir sind gezwungen, die Brücken und Schulen zu bauen, aber auch zu schützen. Sonst kommen die Terroristen, beschießen diese Ziele und zerstören sie einfach. Nicht nur aus Hass gegen Ausländer, aus Hass gegen diese Demokratie, die Selbstbestimmung und die Befreiung der Frauen. Wir sind jetzt eine internationale Gemeinschaft in Afghanistan.

Was heißt mehr Krieg? Warum hat man Faschismus in Deutschland bekämpft? Was konnte man damals machen, konnte man die Politik einfach fortsetzen, in München 1939, was hätte das für Folgen gehabt? Die Terroristen, die an einem Tag Kabul und am anderen Mumbai angreifen, das sind die selben Leute mit der selben Ideologie und Weltanschauung, mit den selben Quellen, Unterstützern und aus den selben politischen Kreisen. Diese sollten wir gemeinsam aus der Welt schaffen. Wir müssen diese Reproduktion der Taliban zerstören, andererseits würden wir nur Symptome bekämpfen.

Epoch Times: Was bringen die Wahlen dieses Jahr in Afghanistan?

Spanta: Wir arbeiten daran, dass freie und gerechte Wahlen in Afghanistan stattfinden können. Den Rest wird das afghanische Volk bestimmen.

Epoch Times: Sie sind ein gern gesehener Gast bei den deutschen Grünen und kennen sich in der europäischen Politik sehr gut aus. Warum kandidieren Sie nicht selber als Präsident?

Spanta: Ich bin nicht ein gern gesehener Gast bei den Grünen, sondern Mitglied. Was meine Kandidatur zum Präsidentenamt betrifft: Wir haben einen sehr guten Kandidaten, er heißt Hamid Karzai, er ist eine sehr gute Persönlichkeit für Afghanistan.

Epoch Times: Sie sind die rechte Hand von Herrn Karzai. Im afghanischen Volk ist man von der Politik Karzais aber nicht nur begeistert. Hat er trotzdem eine reelle Chance, wiedergewählt zu werden?

Spanta: Wir arbeiten daran. Er ist mein Präsident und ein Freund. Meine Aufgabe ist, loyal gegenüber Herrn Karzai zu sein. Bedauerlicherweise gab es in diesem Land in den vergangenen 30 Jahren eine enorme Anhängerschaft in den Moscheen. Sie wissen, dass ich Demokrat bin, ich glaube fest daran und auch an die soziale Gerechtigkeit. In Afghanistan müssen wir viel Geduld haben und allmählich an die Sache herangehen. Präsident Karzai ist afghanischer Patriot und ich wünsche ihm und allen anderen Kandidaten, dass sie eine starke Alternative sind.

Epoch Times: Herr Minister, was unternehmen Sie in Ihrer Freizeit und was sind Ihre Hobbys?

Spanta: Hier in Afghanistan habe ich keine Freizeit mehr, aber in Deutschland bin ich sieben Tage in der Woche, jeden Morgen um 6.00 Uhr schwimmen gegangen. Ich hatte dreimal im Jahr Urlaub und hier in Afghanistan habe ich in den letzten vier Jahren nur drei Tage Urlaub gehabt. Ich arbeite sieben Tage in der Woche. Wenn ich nach Hause gehe und Kraft habe, lese ich gerne Bücher, schreibe auch gerne Gedichte auf Deutsch und Farsi, schäme mich aber, sie zu veröffentlichen. Ich hoffe, dass ich nach den Wahlen mehr Freizeit habe.

Epoch Times: Was sagen Sie zu den schwierigen Beziehungen zu Ihrem Nachbarland Pakistan?

Spanta: Wir haben gute Beziehungen zu der neuen Regierung in Pakistan. Der pakistanische Präsident wird in einigen Tagen nach Afghanistan kommen. Wir wollen die neue Regierung intensiv unterstützen und haben keinen Zweifel, dass diese Regierung in Pakistan den Terrorismus bekämpfen kann. Die Frage ist, haben sie genug Kraft gegen diesen Terrorismus? Gegen die Organisationen und Gruppen innerhalb Pakistans, die Terroristen fördern, brauchen wir ein umfassendes Konzept. Wir müssen gemeinsam mit der neuen Regierung gegen den Terror kämpfen.

Epoch Times: Was sagen Sie dazu, dass Kinder in den Schulen an der afghanischen Grenze im Bezirk Pishawa für den Dschihad, den Heiligen Krieg, ausgebildet werden?

Spanta: Ja, in Pakistan, aber wahrscheinlich auch ein Teil in Afghanistan. In den meisten unserer Schulen gibt es einen modernen klassischen religiösen Unterricht.

Epoch Times: Warum wird das Grenzgebiet zu Pakistan, wo jeden Tag 30.000 bis 40.000 Leute von beiden Seiten die Grenze überqueren, nicht stärker kontrolliert? Damit könnte man den Terrorismus doch auch bekämpfen.

Spanta: Die Terroristen überqueren nicht diese offiziellen Grenzübergänge. Afghanistan hat eine 500 Kilometer lange Grenze mit Pakistan in Berggebieten, die nicht unter unserer Kontrolle sind. Dort überqueren die Terroristen die Grenze. Wir meinen, dass die Zusammenarbeit in dieser Hinsicht mit Pakistan verstärkt werden muss, wobei uns die G8-Staaten unterstützen können, damit wir diesen Teil der Grenze auch kontrollieren können.

Epoch Times: Herr Minister, es ist das größte Problem, ob es nun Afghanistan, Indien, Pakistan oder andere Länder betrifft: Spendengeld kommt nicht bei den armen Menschen an, sondern bei den Politikern, die in den Ämtern sitzen. Sie behalten den großen Anteil. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Spanta: Natürlich könnten diese Gelder besser und effektiver eingesetzt werden. Wir können Planung und Organisation effektiv verbessern, damit das Geld dem Aufbau zugute kommt. Da gebe ich Ihnen recht. Aber das bedeutet nicht, dass wir nichts unternehmen. Sie sagen, dass es in Kabul kein sauberes Wasser zum Trinken gibt. Doch wir haben 4.000 neue Straßen gebaut, 600 Zeitungen und 20 Fernsehsender sind entstanden. Während der Taliban-Regierung hatten wir nicht einmal einen Sender.

Epoch Times: Was sagen Sie zu Misshandlungen und dem Verkauf von Frauen und Kindern in Afghanistan, obwohl die deutsche Regierung und Hilfsorganisationen sehr viel Geld in Afghanistan stecken?

Spanta: Von den Geldern, die nach Afghanistan fließen, sind 70 Prozent aus den Vereinigten Staaten und der Rest, 30 Prozent, aus den 39 hier vertretenen NATO- Ländern. Über die Verwendung dieser 30 Prozent entscheide ich nicht. Ich kann höchsten bei 20 Prozent mit entscheiden. Es ist einfach, die afghanische Regierung zu kritisieren. Wir tragen gemeinsam die Verantwortung. Ich bin gerne bereit über die 20 Prozent Rechenschaft abzulegen. Mich ärgert, dass die kritischen Journalisten, die hier ankommen, mich für Sachen verantwortlich machen, die ich nicht in meinen Händen habe. Ich gebe zu, dass in diesem Land enorm viel Korruption stattfindet, wir haben Drogenproduktion und -schmuggel. Ich räume auch ein, dass Kinder und Frauen in diesem Land missbraucht werden. Aber den Rechtsstaat und die Beachtung der Menschenrechte völlig zu realisieren, dazu benötigen wir mehr Zeit für Engagement und Verantwortung.

Wie weit ist heute Bosnien-Herzegowina, ist das Land schon stabilisiert? Wir waren unter den ärmsten Ländern auf dieser Welt und sind es immer noch, wir hatten 30 Jahre Krieg. Was die Korruption in dem Land angeht, haben wir 800 hochrangige Offiziere, Politiker, Staatsanwälte und Richter, die wegen dieses Deliktes im Gefängnis sitzen. Wir haben nicht für alle Platz im Gefängnis, wir brauchen mehr Polizisten. Ich kann die Aufregung der deutschen Steuerzahler verstehen, aber uns wurden von der Europäischen Union 400 Polizeiausbilder versprochen. Wir haben 30 Millionen Einwohner, wir sind flächenmäßig fast zweimal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland und wir benötigen dringend Polizisten. Wir wollen das Land wieder aufbauen und Rechtstaatlichkeit realisieren. Doch sie schicken uns nur 170 Ausbilder für die Polizei. Wie können wir es so schaffen?

Epoch Times: Herr Minister, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Shams Ul Haq

 

Shams Ul Haq ist ein internationaler Journalist. Er schreibt für Zeitungen aus Asien sowie in Europa für deutschsprachige Zeitungen. Der Asien-, Terrorismus- und Migrations-Experte lebt derzeit abwechselnd in Europa und Asien.

 

 

 

 



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