„AIDS-Nonne“ Majella Lenzen: Von Fesseln befreit

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Majella Lenzen kommentiert: „Wie heuchlerisch!“ In Zivil durfte ich laut Ordensregel nicht in der Öffentlichkeit umhergehen. Oder hätte ich dann etwa Kondome austeilen dürfen?“Foto: Cover Gütersloher Verlagshaus
Von 30. August 2015

20 Jahre nach ihrem Austritt aus dem Kloster macht Majella Lenzen, 1938 in Aachen geboren, eine Bestandsaufnahme. In ihrem Buch „Von Fesseln befreit“, betrachtet ihr „neues“ Leben ohne äußere Verpflichtungen, aber mit Eigenverantwortung und vor allem einer ungebrochenen tiefen Liebe zu Gott. Gleichzeitig schickt sie eine mahnende Botschaft an die Kirche, vielen schönen und klangvollen Worten endlich auch Taten folgen zu lassen.

Sie war die Erstgeborene des streng katholischen Ehepaars Erika und Ludwig Lenzen. 1941 kam ihr Bruder Lothar zur Welt. Ihr Vater war der Jüngste von 16 Kindern; er wäre so gern Missionar geworden, musste aber im elterlichen Betrieb – einer Bäckerei und Konditorei – arbeiten, um die Familie vor dem Ruin zu bewahren. Es war die Zeit der großen Wirtschaftskrise im 20. Jahrhundert. Majella erlebte eine entbehrungsreiche Kindheit in wechselnden Wohnorten. Im Alter von 14 Jahren kam sie in das Missionsinternat der Schwestern vom Kostbaren Blut ins nordrhein-westfälische Neuenbeken. Das Internat war der Universität in Oxford angegliedert – der Schulunterricht erfolgte in englischer Sprache. Es war damals die Blütezeit der Neu-berufungen; für Jugendliche, die aus kinderreichen Familien kamen, bot ein klösterlicher Orden Aufstiegschancen.

„Die Wahrheit bedarf eines mutigen Menschen, der sie ausspricht! 40 Jahre lang war ich Mitglied in einer Gemeinschaft, in der mir die Schwestern nahe standen, die einen offeneren Umgang mit den Ordensregeln leben wollten. 33 Jahre war ich als Schwester Maria Lauda im Dienst der Kirche in Afrika tätig. 33 Jahre lang habe ich Menschen geholfen, insbesondere Kranken, damit sie ein Leben in Würde führen konnten. Die Menschen litten unter Cholera, Malaria, Typhus,  HIV, Aids – ihr Unglück hat mich mutig werden lassen. Bis es zum finalen Skandal kam: Ich wurde als Kondom-Nonne stigmatisiert, weil ich mich – gegen die Gebote der Kirche – für Verhütungsmittel einsetzte, als eine Möglichkeit, der Immunschwäche Aids präventiv entgegenzuwirken… Im Jahr 1995 wurde ich von der Bindung an die Ordensregelung befreit worden. Freiwillig war mein Austritt aus dem Orden nicht – ich bin dazu gedrängt worden. Aber nichts kann mich von einer weiteren Suche nach Wahrheit entbinden, der Suche nach einer besseren, aufrichtigeren Kirche…“

Als Papst Benedikt XVI. im März 2009 im Rahmen seiner Afrika-Reise sagte: „Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Kondomen regeln. Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem“, ist Majella Lenzen empört und schreibt: „Was für ein Hohn!“

„Wir sind in das Prostituiertenviertel in Morogoro gegangen, um die schwerkranken Frauen zu besuchen, weil Geistliche nicht mehr zu ihnen kamen. Sie fühlten sich von der Kirche verlassen. Ich habe nicht die Kondome verteilt, sondern mein Auto zur Verfügung gestellt. Ich bin gefahren und habe Frau Incia mit einer Riesenkiste von Kondomen dorthin gebracht. Das war schon das Vergehen, dass ich als Nonne dort gesehen wurde, neben Kondomen.“

1959 legte Majella Lenzen – sie war gerade 20 Jahre jung – ihre Ordens-gelübde ab und hieß fortan Schwester Maria Lauda als Mitglied der Mariannhiller Missionsschwestern. Diesem Orden gehörte auch der durch seine Familienaufstellungen bekannt gewordene Bert Hellinger an.

Die Arbeits- und Lebensbedingungen für die streng gläubige Novizin war objektiv betrachtet die Hölle auf Erden. Eine ihrer Mitschwestern, die in späteren Jahren aus dem Orden austrat, bekundete: „Ich kann dieses Leben der Heuchelei nicht länger ertragen!“ Bereits im Frühjahr 1959 bekam Schwester Maria Lauda ihre ersten schweren Gallenkoliken – viel später erst wurden ihr mehr als 30 Steine chirurgisch entfernt. Das Zusammenspiel von Körper und Seele war ihr zu jener Zeit noch völlig fremd.

Sie kommt nach umfassender Ausbildung als Krankenschwester ins heutige Tanzania. Die Hauptstadt Dar es Salaam („Hafen des Friedens“) hat fried-liche Zeiten nur selten erlebt.

Hunger, Krankheiten und Kriege gehören zu ihrem Berufsalltag. Sie ist pausenlos im Einsatz. Mitten im Busch von Tansania hatte sie ein Kranken-haus gebaut.

Ende 1978 drang der ugandische Diktator Idi Amin mit seiner Armee in Tansania ein. Majella Lenzen berichtet aus jener Zeit: „Um im Falle einer Vergewaltigung vor einer Schwangerschaft geschützt zu sein, organisierte ich Antibabypillen. Als Nonnen durften wir, sollten wir schwanger werden, das Kind nach der Geburt auf keinen Fall behalten. Sollte eine Schwester zu ihrem Kind stehen, musste sie aus dem Orden austreten…“

Diese Ordensregel ist an Unchristlichkeit und Menschenverachtung kaum zu überbieten. So ist der Charakter der römischen Glaubens-Imperatoren, die Jesus Christus, ähnlich wie es Petrus tat, ständig aufs Neue verleugnen.

Als Provinzoberin in Simbabwe (ehemals Rhodesien) versuchte Schwester Maria Lauda die Ordensregeln zu erneuern und geriet mit ihrer Kirche in Konflikt. Sie erlebt das inquisitorische Machtgehabe von wirklichkeitsfremden Vorgesetzten. Von einem Prälaten, der unter Kardinal Joseph Ratzinger diente, wurden dessen Worte übermittelt: „Warum hat sie das denn getan? Hätte sie wenigstens die Kutte ausgezogen, dann hätten wir nicht handeln müssen. Aber so mussten wir sie ‚köpfen‘“.

Majella Lenzen kommentiert: „Wie heuchlerisch!“ In Zivil durfte ich laut Ordensregel nicht in der Öffentlichkeit umhergehen. Oder hätte ich dann etwa Kondome austeilen dürfen?“

In der ostafrikanischen Sprache „Swahili“ gibt es ein Wort mit einer geradezu zeichenhaften Doppelbedeutung: „Malaika“ = Engel, guter Geist wie auch Prostituierte.

Als Majella Lenzen 1995 endgültig nach Deutschland zurückkehrte, war sie plötzlich mittellos – zudem körperlich wie seelisch ausgebrannt. „Wegen des Armutsgelübdes hatte ich, die Ausgetretene, keine finanzielle Absicherung durch meine während der Ordenszugehörigkeit geleisteten Dienste. Ich hatte ja immer freie Kost und Logis bekommen – unsere Arbeit war somit ehrenamtlich…“

Ein katholischer Prälat sagte dazu einmal in Köln sinngemäß: „Wenn es jemand schon wagt auszutreten, dann soll er oder sie auch einen Tritt… bekommen und in der Gosse landen!“

Majella Lenzen wird bald 77. In ihrem aktuellen Buch „Von Fesseln befreit“ hält sie nochmals Rückblick auf ihr Leben, ihre Wunden scheinen geheilt, in ihrem Herzen herrscht Frieden. Immer wieder wird sie zu Vorträgen und Talk-Shows eingeladen, erzählt von Ereignissen, die jeden Zuhörer sprachlos machen.  Papst Franziskus ist für sie ein Hoffnungsträger, die immer noch zahlreich herrschenden männlichen Würdenträger der Kirche sind ihr suspekt.

„Ich möchte nochmals klarstellen, dass mein Dienst – ich wähle dieses Wort bewusst – in der Mission wie der Dienst Hunderter, ja Tausender vor und mit mir von aufopferungsvollem Einsatz geprägt war, für die an den Rand Gedrängten, und zwar Tag und Nacht, unter oft primitiven äußeren Umständen. Das Schwesternzimmer, das ich in den letzten vier Jahren meines Einsatzes bezog, hatte ungefähr die Größe einer Gefängniszelle, ausgestattet mit nur einem kleinen Handwaschbecken zur täglichen Körperpflege, und das bei tropischem Klima. Eine Toilette mit Bad war für fünf Schwestern gedacht.

Diese angeblich notwendigen Opfer habe ich damals bereitwillig getragen, in dem Bewusstsein, oder besser gesagt, in der Hoffnung, damit der Sache Christi zu dienen. Und nun hören wir im Fall des inzwischen suspendierten Limburger Bischofs Tebartz-van Elst von den Millionen, die in Protzbauten der Bischöfe erlaubt und möglich gemacht werden. Und selbst das soll ‚der Ehre Gottes dienen’, denn die Bischöfe müssen standesgemäß leben können? Und eine deutsche Missionarin darf im Einsatz in der sogenannten Dritten Welt nicht wenigstens ein Zimmer beziehen, das ihr genug Platz zum Atemholen und zur notwendigen Hygiene bietet? Wie unglaubwürdig macht sich dadurch unsere Kirche?“

Versöhnlich beendet Majella Lenzen ihr sehr bewegendes Buch mit ihren Gedanken:

„Sinnbild des Menschen?

Symbol der Gemeinschaft?

Licht und Dunkel gehören zum Leben wie Tag und Nacht.

Denn erst, wenn das Samenkorn im Dunkel der Erde stirbt,

gebiert es Leben –,

welches sich fortwährend aus dem Quellgrund

der mütterlichen Erde ernährt…“

Foto: Cover Gütersloher Verlagshaus

Majella Lenzen

Von Fesseln befreit

Gebundene Ausgabe: 192 Seiten

Gütersloher Verlagshaus (24. August 2015)

ISBN-10: 3579085255

€ 17,899



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