Joachim Meyerhoff – Grandioser Schauspieler und meisterhafter Erzähler

„Die ganze Welt ist eine Bühne / Und alle Frau’n und Männer bloße Spieler. / Sie treten auf und gehen wieder ab / Sein Leben lang spielt einer manche Rollen.“ „Wie es Euch gefällt“ von William Shakespeare (1564 – 1616)
Titelbild
Joachim Meyerhoff hat seine Kunst, Komik und Tragik miteinander zu verbinden, noch verfeinert. Er nimmt sich und seine Umwelt immer genauer wahr und erkennt überall Risse, Sprünge, Lücken. Ein grandioses Lesevergnügen!Foto: Cover Verlag Kiepenheuer & Witsch
Von 24. Dezember 2015

Joachim Meyerhoff,  2007 zum Schauspieler des Jahres gewählt, ist auch ein Schriftsteller, der sein Leben so selbstironisch, lustig und traurig erzählen kann wie kaum ein anderer. 2011 debütierte er mit Alle Toten fliegen hoch. Amerika, 2013 folgte Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war. Am 12. November 2015 erschien sein dritter Roman (inzwischen 2. Auflage) Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke über seine Zeit an der Otto Falckenberg Schule in München und seine Großeltern, bei denen er damals lebte. Geboren 1967 als jüngster von drei Brüdern, aufgewachsen in Schleswig, ist Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater und Gastdarsteller am Hamburger Schauspielhaus.

Die Kindheit auf dem Gelände einer Kinder- und Jugendpsychiatrie mit weit über 1.000 Patienten  im norddeutschen Schleswig und das Austauschjahr in Amerika liegen hinter ihm, die Schulzeit hat er überstanden, als vor dem Antritt des Zivildienstes am Münchner Klinikum Rechts der Isar das Unerwartete geschieht: Joachim Meyerhoff, wird auf der Otto-Falckenberg Schauspielschule in München angenommen und zieht zu seinen Großeltern in die großbürgerliche Villa in Nymphenburg.

Daraus wird später ein grandioses Lesevergnügen!

Er wird zum Wanderer zwischen den Welten. Seine Großmutter Inge Birkmann (1915 – 2004) war selbst Schauspielerin und ist eine schillernde Diva, sein Großvater Hermann Krings (1913 – 2004)  ist emeritierter Professor für Transzendentalphilosophie, eine strenge und ehrwürdige Erscheinung. Ihre Tage sind durch abenteuerliche Rituale strukturiert, bei denen Alkohol eine wesentliche Rolle spielt.

Täglich zum Frühstück Champagner zu den Dutzend Tabletten, zum pünktlichen Mittagessen um 13Uhr Weißwein, um 18Uhr diverse Whiskys, zur Tagesschau von der Haushälterin vorgefertigtes Abendbrot mit erlesenem Rotwein, gegen 23 Uhr zum Abschluss des Tages Cointreau.

Tagsüber wird Joachim an der Schauspielschule systematisch in seine Einzelteile zerlegt, abends ertränkt er seine Verwirrung auf dem opulenten Sofa der Großeltern in alkoholischen Getränken. Aus dem Kontrast zwischen großelterlichem Irrsinn und ausbildungsbedingtem Ich-Zerfall entstehen die den Erzähler völlig überfordernden Ereignisse – und gleichzeitig entgeht ihm nicht, dass auch die Großeltern gegen eine große Leere ankämpfen, während er auf der Bühne sein Innerstes nach außen kehren soll und dabei oft grandios versagt.

Joachim Meyerhoff hat seine Kunst, Komik und Tragik miteinander zu verbinden, noch verfeinert. Er nimmt sich und seine Umwelt immer genauer wahr und erkennt überall Risse, Sprünge, Lücken. Ein grandioses Lesevergnügen!

Jugend im „Herzen des Wahnsinns“

Joachim Meyerhoff war ein behütetes Kind. Als Arztspross aus der schleswig-holsteinischen Provinz hat der Schauspieler eine bildungsbürgerliche Musterkindheit westdeutschen Zuschnitts verlebt. Die Wohnung der Meyerhoffs befand sich mitten auf dem Klinikgelände. Klein-Joachim wuchs zwischen Paranoikern und Schizophrenen und tobenden Borderlinern auf, im Herzen des Wahnsinns, wenn man so will.  

Meyerhoffs Vater war Chefarzt und Direktor einer psychiatrischen Klinik, in der 1500 Patienten unter menschenunwürdigen Verhältnissen untergebracht waren. Als kleine Nachtmusik beim Einschlafen abends im Kinderbett schreien und heulen die Patienten. In Joachim Meyerhoffs Kinderwelt stehen die Verhältnisse auf dem Kopf. Zu Vaters Geburtstag kommen statt der Kollegen und Freunde die Patienten. Jedes Jahr möchte der hagere Ludwig endlich einmal den Hund streicheln, und jedes Jahr läuft Ludwig panisch schreiend vorm Hund davon.

Auch Weihnachten im Krankenhaus ist erst wirklich festlich und schön, wenn die Bescherung auf den Stationen in einer wüsten Zerstörungsorgie endet. Denn wo die höllische Welt der Psychiatrie mit den Augen des Kindes gesehen als eine ganz normale erscheint und der Leser lernt, dass auch Menschen, die Hilfe brauchen, ein gelegentlich glückliches, oft trauriges, meistens ereignisloses Leben führen, beschreibt Meyerhoff die darin eingelassene Kleinfamilie als ganz normalen Wahnsinn. In Wirklichkeit ist diese Schleswiger Mittelschichtsfamilie naturgemäß nur vordergründig einigermaßen intakt.

Dass der Vater seine Frau betrügt, enthüllt Meyerhoff dramaturgisch geschickt, mittels einer allmählichen Anhäufung von Indizien. Dass er sogar ein regelrechtes Doppelleben geführt hat, mit einer zweiten Wohnung in Kiel, stellt sich nach seinem Tod heraus. Als der mittlere Bruder tödlich verunglückt ist und der Vater an Krebs erkrankt, bricht die Familie schließlich auseinander.

Er wollte nur noch weg

So brüchig-faszinierend seine westdeutsche Sozialisation auch gewesen sein mag, mit 18 hatte Joachim Meyerhoff nur einen Wunsch: Er wollte weg. Der Gymnasiast, seit jeher durch extrem schlechte Schulleistungen auffällig, meldet sich als Austausch-Schüler für die USA an – und wird genommen. Allerdings landet er nicht in einer jener coolen Städte, die er aus dem Fernsehen und aus Popsongs kennt, sondern im dünn besiedelten Cowboy-Staat Wyoming, konkret, im 25.000-Einwohner-Städtchen Laramie.

„Ich wollte eigentlich nach Los Angeles oder New York, also in die große weite Welt, und landete aber in der Western-Provinz schlechthin, über die man sich im Rest Amerikas lustig gemacht hat. Also, dieses Laramie ist so ein bisschen das Ostfriesland des amerikanischen Raums."

Von seinen Erfahrungen in Laramie/Wyoming berichtet Joachim Meyerhoff in seinem Erstlingsroman. Der Gast aus Schleswig-Holstein wohnt für ein Jahr bei Stan und Hazel Atkinson, einem netten, Reagan-wählenden Angestellten-Ehepaar mit drei Söhnen. Meyerhoff besucht die örtliche High-School und taucht tief ein in die bizarre Welt des amerikanischen Mittelschicht-Daseins. Er amüsiert sich auf Kettensägen-Shows und alkoholgeschwängerten Whirlpoolpartys, er macht einen Trip in den Todestrakt des Staatsgefängnisses von Wyoming und lernt dort einen Todeskandidaten aus Deutschland kennen, er verliebt sich in ein Mädchen namens Maureen, spielt wie ein Besessener Basketball und gewöhnt sich immer mehr an seine Splendid Isolation am Rande der Prärie.

Ein Anruf des Vaters unterrichtet den Austauschschüler aus Deutschland, dass einer seiner Brüder, der mittlere, bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Mit quälender Intensität beschreibt Joachim Meyerhoff das Entsetzen, die innere Leere, das Gefühl bohrender Unwirklichkeit, die ihn nach dem Eintreffen der Schreckensnachricht heimgesucht haben. Der 18-Jährige fliegt zurück nach Deutschland, nimmt am Begräbnis des Bruders teil und kehrt nach Laramie zurück. Sein toter Bruder, erzählt Joachim Meyerhoff, sei bis heute gegenwärtig in seinem Fühlen und Denken.

„Ich habe mich eigentlich sehr früh entschieden, diesen Tod nicht zu akzeptieren, in dem Sinne, dass einem gesagt wird: Es gibt eine Zeit der Trauerarbeit, und dann muss man sich damit abfinden. Ich habe mich dann entschlossen, diese Trauer nicht anzunehmen, sondern zu sagen: Ich will diesen Bruder immer bei mir haben.“

Die absurden Welten der Schauspielschule und der Grßeltern

Neben der absurden Welt der Schauspielschule beschreibt Joachim Meyerhoff die auf andere Art ebenfalls absurde Welt seines Großelternhauses in München. Er erzählt von seiner Zerrissenheit als junger Mann. Im Rahmen seiner Ausbildung ist er auf der Suche nach sich selbst, findet aber keine verwertbare Substanz: Er vergleicht sich fortwährend mit seinen begabten Schauspielschülerkollegen, darunter einige Naturtalente, und empfindet sich selbst als verstockt, talentlos, fahrig und ungestalt.

Lehrer und Mitschüler konfrontieren ihn immer wieder mit den eigenen Unzulänglichkeiten und er findet einfach kein Mittel dagegen. Auf der anderen Seite stehen die gnädigen Großeltern, die sich im fortgeschrittenen Alter eine ganz eigene, weltabgewandte, routinierte und in sich vollkommen geschlossene Wirklichkeit geschaffen haben. Besonders die Großmutter, selbst eine ehemals gefeierte Schauspielerin, liebt ihren Enkel und unterstützt ihn auf ihre ganz eigene Art. Erst spät wird dem  Joachim Meyerhoff klar, dass die eigentliche Ausbildung in seiner Freizeit in der Villa der Großeltern stattgefunden hatte.

Im Gesangsunterricht erfährt er erstaunlich viel Lob. Die Sprecherziehung bei Gisela Marder ist mühevoll. Für den folgenden Satz brauchte er Wochen, bis er ihn ohne Versprecher rezitieren konnte: „Der dicke dumme Töffel trug den dünnen dummen Toffel durch den dicken tiefen Torfdreck durch. Da dankte der dumme Toffel dem dicken dummen Töffel, dass der dicke dumme Töffel den dünnen dummen Toffel durch den dicken tiefen Torfdreck trug.“

Nach dem sechsmonatigen Probehalbjahr wird Joachim Meyerhoff mit Wohlwollen zur weiteren Ausbildung aufgenommen. Die Detailschilderungen in dem sehr amüsanten Buch sind eine Meisterleistung der Erzählkunst.

Foto: Cover Verlag Kiepenheuer & Witsch

2011 debütierte er mit Alle Toten fliegen hoch. Amerika

Euro 9,99

Foto: Cover Verlag Kiepenheuer & Witsch

2013 folgte Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war.

Euro 19,99

Foto: Cover Verlag Kiepenheuer & Witsch

Am 12. November 2015 erschien sein dritter Roman (inzwischen 2. Auflage) Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke Roman. Alle Toten fliegen hoch, Teil 3

352 Seiten

Verlag: Kiepenheuer&Witsch (12. November 2015)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3462048287

Euro: 21,99



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion