Beruf und Berufung – „Erschöpfende Arbeit“, oder Herausfinden was man „wirklich, wirklich tun will“

In den Tagesanzeiger-Blogs spricht Ex-Philosophieprofessor Frithjof Bergmann über Beruf und Berufung. Der Unterschied sei, ob man wisse, was man "wirklich, wirklich tun will, oder einfach nur tut". Nunmehr 86 Jahre alt, sprudelt Bergmann vor Ideen, wie man dem kapitalistischen Lohnsystem entfliehen könne. Seiner Meinung nach muss Arbeit nicht unbedingt lästige Pflicht sein, sie könne uns auch lebendig machen.
Titelbild
Frithjof Bergmann eingeladen zur XING New Work Experience 2017.Foto: Screenshot / YouTube / „XINGcom“
Von 14. Juni 2017

Gibt es überhaupt echte Alternativen zu dröger Arbeit, die nicht Spaß macht? Frithjof Bergmann (86) ist davon überzeugt. In einem Interview mit dem „Tagesanzeiger“ erklärt er, man müsse dazu herausfinden, was man „wirklich, wirklich tun will“.

Über die Begeisterung der Teilnehmer seines letzten Kurses, sagt der ehemalige Philosophieprofessor: „Eigentlich sind die Leute ja nicht berührt von mir, sondern von sich selber, von dem Teil in ihnen, der über all die Jahre verkümmert ist.“ Bergmann hatte in den 80ern sein innovatives Lebens-Arbeitskonzept „Neue Arbeit“ getauft.

Erschöpfung in Arbeit ohne inneren Bezug

Von einem durch das Xing-Netzwerk organisierten Seminar grenzt er sich ab. Auch dort titelt man mit, „Neue Arbeit“. Doch was Bergmann damit meint, wenn er über „Neue Arbeit“ spricht, ist etwas völlig anderes. Er wolle eben, „dass Menschen sich nicht in Lohnarbeit, zu der sie keinen inneren Bezug haben, erschöpfen“.

Bei jenem Seminar von Xing wurde über Führungstechniken und Organisationsfragen gesprochen, „also darum, wie Unternehmen ihre Angestellten noch raffinierter domestizieren und ausbeuten können.“… „Diese Perspektive hat mich nie interessiert“, sagt er.

Statt Entlassung: „Hälfte bezahlte Arbeit, Hälfte Selbstfindung“

Frithjof Bergmann erinnert sich an erste Erfolge seines Konzepts. Er hatte 1984 in Flint bei Detroit ein Zentrum für „Neue Arbeit“ gegründet. Anfang der 70er Jahre war über die Detroiter Autoindustrie die erste große Automatisierungswelle geschwappt.

Damals musst Bergmann den Konzern General Motors zu überzeugen, „die Mitarbeiter nur noch die Hälfte des Jahres bezahlt arbeiten zu lassen und ihnen die andere Hälfte des Jahres Zeit zu geben“, um sich mit etwas „Interessanterem, Aufregenderem“ zu beschäftigen.

Das Ziel war, die Angestellten in dieser Zeit herausfinden zu lassen, was sie eigentlich machen wollen, so Bergmann. Einer unter ihnen eröffnete mit großem Erfolg ein Yoga-Studio, ein anderer verwirklichte seinen Traum zu Schreiben. Schließlich schrieb er für das „Wall Street Journal“ und wurde Bestseller-Autor.

Diese Fabrikarbeiter mussten allerdings erst einmal herausfinden, was sie „wirklich, wirklich tun wollen“, wie es Bergmann ausdrückt. Seiner Meinung nach sind die meisten Menschen „drei Viertel tot“, lange bevor sie beerdigt werden.

Schon in der Schule sei man mit Langeweile gequält worden. Man lerne alles, nur nichts über sich selbst und werde auf den Ernst des Lebens vorbereitet, so Bergmann.

„Später gehen sie zur Arbeit und erleben diese wie eine milde chronische Krankheit, die sie zwar nicht umbringt, aber auslaugt. Und eines Tages müssen sie sich eingestehen, dass sie sich selber verloren oder vielleicht nie gefunden haben.“ Wir alle würden ohne ein Ich auf die Welt kommen und seien zu dessen Entwicklung auf günstige Bedingungen angewiesen.

Wie Bergmann selbst auf den Weg kam

Bergmann berichtet eine schwere Kindheit gehabt zu haben. Von seiner Mutter glaubte er, sie habe sich ertränkt, wie sie in einem Abschiedsbrief schrieb. Er wusste nicht, dass sie in ein Konzentrationslager verschleppt worden war und wuchs mit der Gewissheit um ihren Tod auf. Tatsächlich gelang ihr auf wunderbare Weise die Flucht, wie er später erfuhr.

Auch sein Vater, evangelisch-lutherischer Pfarrer musste die letzten Kriegsjahre ins Gefängnis, wo er sehr krank wurde. Als 10-Jähriger musste Bergmann deswegen hart auf Bauernhöfen arbeiten. Dort wurde er selber schwer krank, konnte aber genesen. „Das hat mein Kampfgeist geweckt“, erzählt Bergmann.

Schließlich verfasste er als 18-jähriger Gymnasiast einen Aufsatz darüber, welche Schule er sich wünschen würde. Er entwarf eine Utopie „welche die Heranwachsenden stärkt und in ihrer Entwicklung fördert, statt sie mit Wissen abzufüllen und ihnen Disziplin einzuprügeln“. Bergmann gewann den Hauptpreis, ein einjähriges Stipendium für einen Studienaufenthalt in den USA, wo er für den Rest seines Lebens bleiben sollte und Karriere machte.

Frithjof Bergmann spricht auf der XING New Work Experience 2017:

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