Idealbau des Historismus

Die Semperoper in Dresden wurde vor 20 Jahren, am 13. Februar 1985, wiedereröffnet
Titelbild
Semperoper in Dresden bei Nacht. Gottfried Semper:„Jedoch muss ein künstlerischer Faktor hinzu treten, der Einfall, die Gestaltung.“ (Matthias Creutziger)
Von 13. Februar 2005

1876, keine drei Jahre vor seinem Tod, hatte Gottfried Semper Wien wutentbrannt verlassen. Auch an der Einweihung seines nahezu zeitgleich zum Burgtheater und zum Kaiserforum entstandenen Hoftheaters in Dresden nahm er nicht teil. Er weilte in Venedig. Im Frühjahr darauf verstarb er in Rom, als Lutheraner beigesetzt unter der Cestius-Pyramide wie zuvor Goethes Sohn August.

Zeitlebens befand sich Semper, der eigentliche Vater des architektonischen Historismus, im Widerstreit mit seiner Umgebung – im Namen seiner Bauidee. Frappierend, wie viele Parallelen zwischen dem heute als Semperoper apostrophierten Dresdner Hoftheater und seinen Wiener Bauten bestehen. Und doch währte Sempers Ringen um das Dresdner Haus gleichsam ein Leben lang (was Wien zugute kam).

Geboren als drittältester Sohn einer liberalen Altonaer Fabrikantenfamilie, kam er bereits in jungen Jahren nach Dresden: Empfohlen von Schinkel und dem Kölner Architekten Gau, der eine im Widerstreit zu Sempers Idee von der farbigen Dekoration antiker Tempel, der andere angezogen und begeistert davon. Rigoros in seinen Überzeugungen, definierte Semper die Wand eines Bauwerkes als Ver-Kleidung, als textile Struktur. „Architektur als Bedürfnis des Menschen, das Gewand, das er auf dem Leib trägt, zu erweitern – nur ändern sich die Materialien“. Architektur in diesem Sinne leitete er ab aus den vier Urmotiven des Menschen beim Bauen: Dach, Wände, Herd und Wall, die seit Verlassen der Schlafnester in Richtung Zelt und Höhle, wie das Skelett eines Lebewesens nach innen, äußerliche Stabilitäts-Funktionen übernehmen und nur variiert werden.

So sind auch Sempers Architektur und Ikonographie des Dresdner Hoftheaters zu verstehen. Der Bau auf dem „klingenden Platz Europas“ steht in einem Kontinuum über 450jähriger Theater- und Musiktradition seit Gründung der „churfürstlichen Cantorey“ 1548, die noch nicht in Sparten trennte. Einem ersten Theaterentwurf aus Sempers Feder, noch ganz neo-frührenaissancesistisch, doch viel gelobt und von edler Ausführung, folgte nach seiner Flucht als einer der Führer des demokratischen Dresdner Maiaufstandes von 1849 und dem Niederbrand des Hauses zwanzig Jahre darauf der Neuentwurf als Idealbau des Historismus schlechthin. Funktionalität und Bildprogramm bestimmen die Struktur, den Stil eines Bauwerkes, so Sempers Credo. Zweck und Material sind bauprägend, „jedoch muss ein künstlerischer Faktor hinzu treten, der Einfall, die Gestaltung.“

Für das Dresdner Hoftheater ist dieser Einfall die Maske. Und zwar in einem umfassenden, metaphorischen Sinn. Selbst das Baumaterial spielt Theater. Die gülden schimmernden Kronleuchter sind aus Messing, Marmor und Eichenholz aus Stuck, Draperien aus bemaltem Blech. Säulen und Gewölbe tragen nicht, sondern „hängen“ gleichsam von der Decke. Theater-Kunst in dionysischem Sinn, weiß Semper, ist verbunden mit Maskerade – auch als Bussole des Künstlers wie Zuschauers, die reale Welt zu verlassen. Leitmotiv ist Dionysos, der Gott des Spielens wie des Weins. Und: seine Begegnung mit dem Irdischen in Gestalt der verlassenen Königstochter Ariadne, Erbin von Knossos, einer der ältesten erfolgreichen, von einer gewaltigen Naturkatastrophe ausgelöschten Kulturen der Welt.

Die Form der äußeren Schmuckglieder des Bauwerks entspricht Sempers Vorstellungen, wie in der Antike Gebäude gestaltet wurden, um sie vom Alltäglichen abzuheben: Palast- und Tempelarchitektur. So gerät ihm kein starrer, sondern ein höchst lebendiger, moderner Musenhort. Avantgardismus und Tradition in einem.

Neben Dionysos, präsent in der Hauptachse des Bauwerks vom unteren Rundfoyer bis zur Pantherquadriga auf dem Torgebäude, bestimmt zwingerseitig die poetische Gerechtigkeit, elbseitig die inspirierende Macht der Liebe das Bildprogramm.

Zuschauerraum und Bühne sind durch ein Proszenium deutlich voneinander abgesetzt. Eine Idee, die Gottfried Semper erstmals für seinen niemals realisierten Theaterentwurf für Rio de Janeiro so konsequent planerisch umsetzte. Zylindrisch, in gestelztem Halbkreis umlaufen fünf Ränge, nach oben trichterförmig geöffnet, das Auditorium, während das Bühnenhaus einem gewaltigen Quader gleich aufragt. Hier moderne Technik, da ganz Sempersche Tradition des 19.Jahrhunderts. Das ist die Lösung, die – Sempers Gedanken konsequent fortführend – den Wiederaufbau des am Ende des 2.Weltkrieges stark zerstörten Hauses prägte. Am 13.Februar wird die Wiederweihe gerade 20 Jahre zurückliegen, die Neueröffnung mit Webers „Freischütz“, unweit in den sächsischen Gebirgen spielend, musikalisches Pendant zu Schillers Drama Tell. Schiller, der Theaterkultur und Elblandschaft in sich einsaugte, lange bevor er nach Weimar ging. (Der Dichter wacht steinern neben Goethe auch vor dem Dresdner Theaterbau, wie in Weimar von Ernst Rietschel entworfen).

Seit dem 1. August 2003 steuert der aus München an die Elbe gezogene Intendant Gerd Uecker die „Traumfabrik“, wie er selbst sagt. Die Jahrhundertflut von vor zweieinhalb Jahren ist überwunden. Am Deckenplafond um den riesigen 1,9 Tonnen schweren Kronleuchter tanzen vier der neun Musen um die acht Medaillons mit den Weltdichtern. Natürlich von Masken umsäumt. Der Proszeniumsfries gibt den großen Vorhang des Repertoires – aus Sempers Zeiten. Daran hat sich fast nichts geändert im wiedererstandenen zweiten Hoftheater des großen Architekten. Am Proszenium sitzen Tyche und Nemesis, lächeln Psyche und Eros. Ein wenig spöttisch, ein wenig geheimnisvoll. Denn natürlich wissen sie, dass Gottfried Sempers Theaterbau einfach der große Erfolg werden musste, der nicht nur allabendlich fast alle 1 326 Plätze mit gespanntem Publikum gefüllt sieht, sondern an manchen Tagen noch mehr in zuweilen langen Schlangen zur elbseitigen Unterfahrt pilgern, um die Rätsel des Hauses erklärt zu bekommen, die Aura des Bauwerks auf sich wirken zu lassen. Die Zeit hat dem Architekten Recht gegeben, seinen Historismus geadelt. Ganz demokratisch: durch Abstimmung des Publikums mit den eigenen Füßen.



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