„Meinen Hass bekommt ihr nicht“ Antoine Leiris schreibt nach dem Terror in Paris

Der bewegende Bericht des 34-jährigen Kulturredakteurs Antoine Leiris, der am Freitag, dem 13. November 2015, während der Terroranschläge in Paris die Liebe seines Lebens verlor und der mit einem einzigen Post die ganze Welt bewegte.
Titelbild
Sein Sohn war Melvil war 17 Monate alt, als Antoine Leiris schrieb: „Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen der Welt!“Foto: Cover Verlag Blanvalet
Von 19. Mai 2016

An jenem Freitag sah Antoine Leiris seine Frau Hélène zum letzten Mal – sie wurde an diesem Tag mit neunundachtzig weiteren Personen im Konzertsaal Le Bataclan Opfer der Terroranschläge in Paris. Während die Welt geschockt und in tiefer Trauer versuchte, eine Erklärung für das Unfassbare zu finden, postete der Journalist auf Facebook einen offenen Brief: "Meinen Hass bkommt ihr nicht."

In bewegenden Worten wandte er sich darin an die Attentäter und verweigerte „den toten Seelen“ seinen Hass – und den seines siebzehn Monate alten Sohnes Melvil. Die Botschaft ging um die Welt. Er, der an jenem Tag die Liebe seines Lebens verlor, hatte nur eine Waffe: seine Worte. Das Grauen, der Verlust und die Trauer haben Antoine Leiris‘ Leben erschüttert. Ehrlich und ergreifend schildert er Momente aus einem zerstörten und doch so zärtlichen Alltag zwischen Vater und Sohn – und sagt damals wie heute, dass das Leben trotzdem weitergehen soll.

„Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen der Welt!“

Das kleinformatige 130-seitige Buch legt man beim Lesen nicht mehr aus der Hand. Jede einzelne Zeile ist zutiefst ergreifend und zugleich Trost spendend. Ein Geschenk für Suchende nach Lebenskraft und Zuversicht. Die Dimension einer großen menschlichen Seele wird authentisch spürbar.

„Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid, und ich will es nicht wissen, ihr seid tote Seelen. Wenn der Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die den Körper meiner Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben.

Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr es darauf angelegt habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger misstrauisch beobachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel. Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen der Welt. Ich will euch jetzt keine Zeit mehr opfern, ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade aus seinem Mittagsschlaf aufgewacht ist. Er ist gerade mal siebzehn Monate alt; er wird seinen Nachmittagssnack essen wie jeden Tag, dann werden wir jeden Tag zusammen spielen, und sein ganzes Leben lang wird dieser kleine Junge euch beleidigen, weil er glücklich und frei ist. Denn nein, auch seinen Hass bekommt ihr nicht…“

Am 25. November 2015 wird Hélène beerdigt. Antoine Leiris mit seinem Sohn in tiefer Trauer: „Ich habe keine Lust zu sprechen, ich habe schon zu viel gesagt …“

Der Vater formt Worte aus dem Gefühlsleben seines kleinen Melvil, die in Briefform zu einer herzzerreißenden Grabrede werden:

„Mama, ich schreibe dir, um dir zu sagen, dass ich dich liebe. Du fehlst mir. Papa hilft mir, weil ich noch ein bisschen zu klein bin. Um ihn brauchst du dir keine Sorgen zu machen, ich kümmere mich gut um ihn. Ich gehe mit ihm spazieren, wir spielen mit kleinen Autos, wir lesen Geschichten, wir baden zusammen, wir schmusen ganz viel. Es ist nicht so, wie es war, als du noch da warst, aber es geht. Er sagt, alles wird gut, aber ich sehe genau, wie traurig er ist. Ich bin auch traurig….

Papa hat gesagt, wir werden schon zurechtkommen, und wenn es nicht klappt, werden wir an dich denken, weil du dann da sein wirst, bei uns. Er hat all deine Freunde gebeten, mir einen Brief zu schreiben, den ich dann lesen kann, wenn ich groß bin. Er hat mir gesagt, dass wir nicht die Einzigen sind, die dich geliebt haben, aber niemand hat dich so sehr geliebt wie wir. Er hat mir auch gesagt, dass Kinder unter drei Jahren noch kein Erinnerungsvermögen haben, aber dass die siebzehn Monate mit dir aus mir den Mann machen werden, der ich sein werde…

Und jetzt umarme ich dich ganz fest, ich kann es kaum erwarten, dich morgen zu besuchen und übermorgen und an allen Tagen danach. Mama, du fehlst mir. Ich liebe dich. Melvil.“

Am 26. November 2015, am Tag nach der Beerdigung hatte Antoine Leiris dieses Büchlein geschrieben. „Meine Gegenwart muss Vergangenheit werden, und ich irre durch diesen Alltag ohne Zeit, durch diese Tage ohne Stunden…“

Foto: Cover Verlag Blanvalet

Antoine Leiris

Meinen Hass bekommt ihr nicht

144 Seiten

Blanvalet Verlag

ISBN-10: 3764506024

Euro 12, —



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