Die Platzhirschin

Zu Gast bei Ursula Fröhmer, der Perle der Münchner Trachtenschneiderinnen
Titelbild
Von 16. Mai 2008

Man tritt über die Schwelle und fühlt sich im hellen, hölzernen Ambiente sogleich „dahoam“, wie es der Bayer nennt. Und schon kommt „die Chefin“ selbst die schmale Stiege heruntergeschwebt: Ursula Fröhmer ist der beeindruckendste Beweis, wie kraftvoll, elegant und jugendlich ein Dirndl machen kann.

Ihr Laden mit dem schlichten Namen „Tracht und Heimat“ ist die Adresse für authentische Trachtenmode in München und eine überregionale Institution; ein autonomes Terrain, in dem die Freude am Ursprünglichen bis zum heutigen Tag kreativ waltet. Die Farben- und Materialvielfalt, die einem von den Kleiderbügeln entgegenleuchtet, beeindruckt, vom verstaubten braun-grünen Loden-Image keine Spur.

Im Laden wird Bayerisch g´redt

Bekleidung, Sprache und Kultur gehören zusammen, deshalb ist es Frau Fröhmer wichtig, dass im Laden bayerisch „g`redt werd“, in allen Abstufungen von Urbayerisch, gepflegtem Umgangsbayerisch bis Beinahe-Hochdeutsch. Dies ist wichtig, denn schließlich finden sich nicht nur Einheimische hier ein. Auch weitgereiste Gäste suchen den beschaulichen Laden am Oberanger auf.

Gewürzt mit humorigen Anekdoten erzählt die Münchnerin ihre Lebensgeschichte, die genau in diesem Haus begann: Schon ihre Eltern, die auf Brautmode spezialisiert waren, haben in den Räumen gelebt und gewirkt, in denen sich heute ihre Werkstatt befindet. Hier ist sie geboren und aufgewachsen. Die Schneiderei war ihr deshalb förmlich in die Wiege gelegt worden. Einmal habe sich ihr Vater den Spaß gemacht, ihr zum Spielen eine Stecknadel zu geben, an die ein Faden gebunden war. Da sei sie dann ganz verzweifelt gewesen, dass die sich nicht durch den Stoff schieben ließ und hätte kurzzeitig nichts mehr von der Näherei wissen wollen. Als Teenager versuchte sie zunächst hartnäckig, nicht in die elterlichen Fußstapfen zu treten. Höhepunkt ihrer Ausreißer-Karriere war zweifellos, wie sie es mit resoluten 21 Jahren schaffte, eine Stelle als „Anwaltsgehilfin, nicht unter Fünfzig“ zu bekommen. Doch nach zwei Jahren sollte sie feststellen, dass dies nicht ihr Leben war.

Bayerische Kultur und Tradition schmählich vernachlässigt

Als sie in Österreich die staatlich geförderten „Heimatwerke“ kennenlernte, bekam sie die Initialzündung, so etwas in Bayern auf die Beine zu stellen. Damals wurde in ihren Augen die bayerische Kultur und Tradition schmählich vernachlässigt, und man konnte viel vom österreichischen Beispiel lernen. Ihr Wunsch war die Bewahrung und Erforschung von Tracht, Tradition, Dialekt, und Musik in ihrer Gesamtheit.

Da kompetente Persönlichkeiten aber Verträge hatten, ihr Wissen allein Österreich zur Verfügung zu stellen, und weder das Land Bayern noch die Stadt München sie unterstütze, musste Ursula Fröhmer alles allein aufbauen.

Der Weg war steinig und führte durch Höhen und Tiefen. Besonders von der bereits etablierten Münchner Konkurrenz bekam sie starken Gegenwind. Heute, nach mehr als 28 Jahren, ist sie die unangefochtene und doch bodenständige Platzhirschin auf dem Gebiet der Trachtenmode und Münchner Kaufhäuser empfehlen ihre Kunden an Tracht und Heimat weiter, wenn diese Spezialwünsche haben, die außerhalb des Sortiments liegen.

Prinzipientreue muss sein!

Bei Frau Fröhmer wird konfektioniert, maßgeschneidert und repariert, falls was „hie´ is“.
Zu ihrem illustren Kundenkreis gehören neben „vielen ganz normale Leuten“ Promis, Brautpaare, Trachtenvereine und Kostümbildner von Film und Fernsehen.

„Hier kommen Leute her, die was Echtes, was Authentisches suchen. Und sie erwarten Wissen. Schon kurz, nachdem ich den Laden eröffnet hatte, wurde mir klar, dass hier vor allem individuelle Beratung gewünscht wird.“

Beim Streifzug durch ihren Laden erfährt man von Frau Fröhmer viel Interessantes, besonders über die gängigsten Irrtümer in Sachen Trachtenmode: Zum Beispiel, dass die Tracht regional verwurzelt und somit ein ortsgebundener Bekleidungscode ist. Verschiedene Gebiete oder Städte haben ihre eigene Tracht entwickelt und allein die Münchner Tracht gliedert sich in mehrere Teilgebiete.

„Das Dirndl“ ist jedoch keine Tracht, sondern eine im gesamten Alpengebiet verbreitete Kleidform, bestehend aus Mieder, Bluse, Rock und Schurz (nicht Schürze!). Früher diente als Universal-Maß für die Rocklänge „Maßkrughöhe über Boden“, sprich 27 Zentimeter. Heute gestaltet man das je nach Trägerin variabler.

Große Popularität erlangte das Dirndl durch Oktoberfest-Auftritte wie den von Paris Hilton. Aber leider ist das Herzstück der bayerischen Damenmode oft zur Maskerade verkommen. Frau Fröhmer gesteht, das sie sich regelmäßig „fremdschämen“ muss, wenn sie sich moderne Oktoberfestbesucherinnen anschaut, denen jegliches Stilbewußtsein zu fehlen scheint.

„Es hat sich eingebürgert, dass man ein Dirndl anziehen muss, wenn man auf die Wies´n geht. Das sieht dann leider häufig so aus: Minirocklänge, grobe Strickstrümpfe, Haferlschuh´ … und oben drüber noch a´ Jeansjacken!“ Ein ebenso sensibles Thema: Der weitverbreitete Landhausstil mit Leinenstoffen und Schnitten, die aussehen, „als hätten die Leut´ in der Wäscheschleuder übernachtet“. Auf bajuwarischen Hochzeiten heutzutage eine weitverbreitete Plage: „Früher hat man zu so einem Anlass sein bestes Gewand angezogen, das war dann Samt und Seide. Leinen galt als bäuerlich und absolut verpönt“, erklärt die Fachfrau. Die weiße Bluse war früher eigentlich das Unterhemd. Bei der Feldarbeit war es zu sehen, die Städterin trug aber noch etwas aus edlerem Oberstoff darüber, und so blieb das Unterhemd unsichtbar.“

Die beliebteste Tracht im Sortiment, das Münchner Miedergewand, ist hierfür beispielhaft. Es entwickelte sich aus der Bekleidung der Kellnerinnen im 18. Jahrhundert. Sein Charakteristikum ist ein schwarzes Mieder mit Silberhaken, dazu ein einteiliges Kleid jedweder Farbe. Geschnürt wird es mit silberner Kette oder Band, je nach Anlaß.

„Münchner Miedergewand sieht immer fesch aus“

Heute ist es als variabler Dreiteiler (Mieder, Rock und passende Bluse) das meist verkaufte Kleid bei „Tracht und Heimat“. Sein Erfolgsgeheimnis liegt laut Ursula Fröhmer darin, „dass es immer fesch aussieht, egal ob die Trägerin dick, dünn, alt oder jung ist.“

Warum sich als Stereotyp bayerischer Bekleidung ausgerechnet die Miesbacher Tracht international durchsetzten konnte, ist selbst für sie schwer erklärbar: Durch Trachtenvereine und Auswanderer muss dieses Image transportiert worden sein „Wahrscheinlich waren die in der Vereinsmeierei am fleißigsten“. Die Miesbacher Tracht mit kurzen Lederhosen, grauen Loden und Seppelhut, empfindet Frau Fröhmer nicht unbedingt als „repräsentativ für ganz Bayern“.

Überhaupt wird man bei Tracht und Heimat schnell eines Besseren belehrt, wenn es um Klischeés geht. Auch Lederhose ist nicht gleich Lederhose: Hier kann man sie in verschiedenen Ausführungen erwerben. Es gibt sie in langer, eleganter Version, in kurz, mit Latz oder gewöhnlichem Hosentürl, bzw. Schlitz und unterschiedlich auffälliger Stickerei. Hosenträger sind kein Muss.

Dazu wird bei den Herren klassischerweise Gehrock oder Kurzjacke mit Weste darunter getragen und mit Silberknöpfen geprunkt, die als repräsentative Dekoration dienen.

„Gevatter-Rock“ für Verheiratete

Ein sehr altes, elegantes Bekleidungsstück, das dem Herrn ritterliches Aussehen verleiht und bei den Kunden gut ankommt, ist der „Gevatter-Rock“, den nur verheiratete Männer trugen: „Praktisch, dann wusste man gleich, wer noch zu haben war“. meint Frau Fröhmer, denn die Junggesellen mussten sich früher mit kurzen Jacken begnügen.

Ihre Kunden lieben die familiäre Atmosphäre, die auch bei turbulentem Betrieb spürbar ist. Vielleicht, weil bei Tracht und Heimat nicht nur geschneidert und verkauft wird – Ursula Fröhmer und ihr Team leben das, was sie machen. „Meine Kunden sind für mich ein Stück heile Welt. Umgekehrt ist das genauso. Von Brautpaaren bekommen wir zum Beispiel immer ein Foto von der Hochzeit, und wenn schon Nachwuchs unterwegs ist, werden später Bilder vom Kind nachgereicht…“

Auch Menschen, die noch nie zuvor mit Trachtenmode in Berührung gekommen sind und etwas Passendes für eine bayerische Festlichkeit brauchen, sind in ihrem Laden in besten Händen. Sie werden dann behutsam herangeführt und auf herzliche Art aufgeklärt, denn sie sollen sich schließlich wohlfühlen und nicht wie verkleidet. „Der Kunde muss in den Spiegel schauen und sagen können: Des bin i, und i g´fall ma!“, auf Hochdeutsch: „Das bin ich, und ich gefalle mir“.

Dieser Prinzipientreue verdankt sie ihren Erfolg, denn Fröhmer´s wertvolle Tipps, wie man Trachtenmode zeitgemäß und würdevoll tragen kann, werden von den meisten Laien dankend angenommen. Nur in ganz seltenen Fällen musste sie Kunden beim Verlassen des Ladens mit auf den Weg geben: „Sagen Sie bitte niemand, dass Sie des von mir haben, denn ich habe einen Ruf zu verlieren.“

Kleines Lexikon der Trachtenmode:

Loden: Gewalktes Wollgewebe, dessen Oberfläche durch Verfilzen wasserabweisend und widerstandsfähig gemacht wird. Wegen seiner wärmenden und temperaturausgleichenden Eigenschaften fand es traditionell in Oberbekleidung wie Jacken und Mänteln Verwendung.

Lederhose: Im edelsten Fall aus echtem Wildleder von Hirsch oder Wildbock, in weniger teuren Ausführungen aus Kalbs- oder Rindsleder. Früher gab es nur maßgefertigte Lederhosen, die nahezu lebenslang haltbar waren. An den Kniebund-Knöpfen der Lederhose wurden die Strümpfe befestigt, damit sie nicht nach unten rutschten. Auf der rechten Seite befindet sich traditionell eine Messertasche für das Jagdmesser.

Loferl: Gestrickte Wadenwärmer aus grober Wolle, die zur kurzen Lederhose getragen werden. Früher waren sie ohne Fuß, weshalb man barfuß in den Schuhen steckte. Heute werden sie
mit dazu passenden Socken angeboten.

Haferlschuh: Der Allgäuer Schuhmacher Franz Schratt entwickelte im Jahre 1803 den Halbschuh, dessen Form vom Huf der Gemse inspiriert gewesen sein soll. Mit hochgezogener Fersenkappe, tiefem Ausschnitt unterm Knöchel und schiffchenförmiger Spitze gab er seinem Träger Trittfestigkeit und angenehme Beweglichkeit beim Bergsteigen. Er wurde zum zeitlosen Klassiker, indem ihn englische Alpen-Urlauber des 19. Jahrhundert als „half shoe“ in den Rest der Welt trugen.

Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr. 20 (14.Mai – 20.Mai 2008)




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