Günther Jauch TV-Kritik: Hoffnungen beim Mauerfall – fröhlich am Thema vorbei

Titelbild
Günther Jauch Talk 9. November 1989 mit Georg Mascolo, Jan Josef Liefers, Bärbel Reinke, Günther Jauch, Harald Jäger, Klaus WowereitFoto: Screenshot von DAS ERSTE / ETD
Von 10. November 2014

Wie schön, dass Günther Jauch sich in seiner Talkrunde am Sonntagabend nicht an das vorgegebene Thema hielt: 25 Jahre Mauerfall – haben sich unsere Hoffnungen erfüllt?

Er hatte nämlich Menschen geladen, die ziemlich dicht am Geschehen in Berlin beteiligt waren, und über erfüllte oder unerfüllte Hoffnungen zu sprechen, erübrigte sich. Es gab zu viele berührende Emotionen. So konnte der 9. November als Tag der Erinnerungen an 1989 ausklingen.

Schon die ganze Woche über waren die Medien voll mit Berichten, und auch bei Jauch konnte man noch einmal die legendäre Pressekonferenz mit Schabowskis lakonischer Bemerkung „nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich“ genießen. Die fröhliche Emotionalität, die sich bei etwa einer Million Menschen quer durch Berlin entlang der „Mauer aus Licht“ den ganzen Tag über ausgebreitet hatte, bestimmte auch das Klima im Schöneberger Gasometer. Es ging um Erinnerungen und Begegnungen.

Chronologisch entsprechend den Ereignissen am 9. November wurde zunächst Harald Jäger befragt, der als Oberstleutnant für die DDR-Grenztruppe am Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße zuständig war. Er konnte damals direkt den Bericht über Schabowski sehen und war, wie er jetzt sagte, „voller Freude und auch in Sorge vor einer Panik“, als die Massen in der Bornholmer Straße erschienen. Sie riefen: „Wir wollen raus“ und „wir kommen wieder“.  Es traf ihn wie ein „Blitz aus heiterem Himmel“ und er schrieb Geschichte, als er um 23:30 schließlich anordnete: „Macht den Schlagbaum auf!“

Er hatte keinen Befehl dazu erhalten können, auch seine „Befehlshaber hatten keinen Befehl“. Er war auch eigentlich nicht befugt, solch einen Befehl zu erteilen, aber der Massenansturm auf den Grenzübergang ließ ihm keine andere Wahl. „Ich fühlte mich alleingelassen von meinen Vorgesetzten und von den Kollegen. Einige haben geweint.“

Der Journalist Georg Mascolo filmte als Einziger mit seinem Team die Grenzöffnung, seine Dokumentation zählt inzwischen zum „Welt-Dokumentenerbe“ der UNESCO. Er bekannte, dass seine Kollegen ebenso wenig wie er, die Äußerungen von Schabowski richtig interpretieren konnten. „Eigentlich ist die Mauer nicht gefallen, sondern sie ist gestürmt worden.“

Klaus Wowereit, der mit Freunden – ahnungslos – zum Essen gegangen war, konnte schon damals nur mit Staunen und „Faszination beobachten, dass keine Eskalation entstand, dass eine durchgehende Vernunft in der Masse herrschte“.

Friedlich, aber geschüttelt von Tränen hatte sich Bärbel Reinke am Abend des 9. November 1989 am Pariser Platz und in einem hitzigen Wortgefecht mit den Grenzsoldaten ihren Gang durchs abgeriegelte Brandenburger Tor nach West-Berlin erkämpft. Mascolo hatte sie gefilmt. In der Zeit vor dem Mauerfall war Reinke Mitglied der Bürgerrechtsbewegung „Neues Forum“ geworden, weil sie so entsetzt war, wie die Stasi und die Vopos mit den friedlichen Demonstranten in der Schönhauser Allee umgegangen waren. Auch jetzt kämpfte sie mit den Tränen, als sie die Filmaufnahmen von sich und den Grenzsoldaten sah.

Ich wollte wirklich cool bleiben

Dass die Erinnerungen an 1989 auch ihn wieder zum Weinen bringen könnten, hatte der Schauspieler Jan Josef Liefers nicht vermutet. Am späten Nachmittag hatte er die Feier am Brandenburger Tor moderiert. „Als die Staatskapelle unter Barenboim Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“ spielte, war es um seine Fassung geschehen. „Dabei wollte ich wirklich cool bleiben.“ Er hatte am 4. November ’89 auf dem Alexanderplatz als 25-Jähriger mutig das Wort ergriffen und wie am heutigen Abend ebenfalls vor Hunderttausenden gesprochen.

Liefers Träume allerdings von einem zweiten deutschen Staat hielt Wowereit schon damals für „illusorisch, das hätte nicht funktioniert“. Wowereit wies allerdings auch Kohls Bemerkungen zurück und würdigte ausdrücklich den Mut und die Entschlossenheit der friedlichen Bürger im Osten, ohne deren Freiheitswillen niemals solch eine schnelle politische Lösungen für Deutschland und Europa gefunden worden wären.  

In der Schlussrunde wurde glücklicherweise auch nicht nach erfüllten oder enttäuschten Hoffnungen gefragt, sondern nach dem augenblicklichen Zustand. Harald Jäger fand sein persönliches Schicksal nicht so wichtig wie die Beendigung des Kalten Krieges. Aber er gab zu, dass er etwa 12 Jahre intensiven Nachdenkens gebraucht hätte, um sich innerlich und  auch äußerlich zurechtzufinden.

Bärbel Reinke wohnt immer noch in Prenzlauer Berg und war nach der Wende 15 Jahre lang Verkäuferin im KaDeWe, „die glücklichsten Jahre meines Lebens“. Und Jan Liefers, der sofort nach Hamburg ans Thalia Theater gegangen war, „wurde dort mit offenen Armen empfangen“ und hat seither eine beachtliche Karriere gemacht. Er erwähnte allerdings, dass auch im Westen nicht so viele Plätze an der Sonne frei waren, wie manche gehofft hatten, da gäbe es bis heute Enttäuschung oder Resignation.

Den Auftritt von Biermann im Bundestag fand Bärbel Reinke ungehörig: „Das gehört nicht dahin.“ Wowereit zog sich zunächst aus der Klemme und sagte über den Bundestagspräsidenten Lammert: „Wer Biermann einlädt, muss wissen was er tut.“ Er räumte aber auch ein, dass es gewisse Regeln im Bundestag gibt, an die man sich halten sollte.

Natürlich musste noch der „Unrechtsstaat“ ins Spiel gebracht werden: „Was war es denn sonst …“ kam es von Wowereit und Liefers unisono. Liefers beklagte die Vereinfachung, die in Pausschalurteilen läge und Mascolo mahnte die Westler zur Zurückhaltung bei den Maßstäben, die sie zu schnell anlegten, ohne das Leben im Osten gekannt zu haben.“ Harald Jäger sagte zu diesem Thema deutlich: „Wenn man das untersucht, was wir durchgesetzt haben, dann war es ein Unrechtsstaat.“           

Wowereit beschwor noch einmal diesen glücklichen Tag des 9. November 1989, daneben würden viele Schwierigkeiten verblassen. Der jetzige November bedeutet für ihn auch einen Abschied vom Amt des Regierenden Bürgermeisters, und dazu passte die Stimmung auf den Straßen von Berlin: „Pure Emotion“.

GÜNTHER JAUCH IN DER MEDIATHEK

Wiederholungen

Mo, 10.11.2014 | 03:50 Uhr Das Erste

Mo, 10.11.2014 | 09:30 Uhr Phoenix

Mo, 10.11.2014 | 20:15 Uhr tagesschau24

Di, 11.11.2014 | 02:45 Uhr MDR



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