Organtransplantation – spirituelle Aspekte aus anthroposophischer Sicht

Titelbild
Nierentransplantation im Queen Elizabeth Hospital Birmingham, Großbtitannien.Foto: Christopher Furlong/Getty Images
Von 16. Juni 2013

 

Von Krankenkassen, Politikern, christlichen Kirchen und den Medien wird Organspende (in Deutschland erlaubt ab 16 Jahren) als „gelebte Solidarität“, als „Akt der Nächstenliebe“ bezeichnet und gefördert. Im Umkehrschluss ist also jemand, der Organspende verweigert, unsolidarisch, entbehrt der Nächstenliebe?

Am Freitag, dem 7. Juni, hatte der Kölner Internist und Anthroposoph, Dr. Markus Karutz, bei seinem Vortrag zur Organtransplantation im Haus der Anthroposophie in Köln ein unerwartet zahlreiches Publikum.

Generelles zur Organtransplantation

In Deutschland gilt derzeit der Gehirntod als Voraussetzung für eine Organtransplantation. In der Frage, ob der Gehirntod eines Menschen dessen wirklicher Tod sei, verwies Dr. Karutz auf einen vorangegangenen Vortrag des Stuttgarter Kardiologen Dr. Paolo Bavastro, der das verneint habe, ebenso wie viele seiner Kollegen.

Medizinisch unstrittig ist: Voraussetzung für eine Organtransplantation ist die Organentnahme aus einem lebenden Organismus, der sich in der Sterbephase befinden kann, aber eben noch lebt!

Dr. Karutz hatte in seinem Vortrag viele Fakten zusammengetragen, zunächst einige grundlegende, vor allem aber kulturelle und spirituelle Aspekte:

Die der Organspende zu Grunde liegende Definition von „Gehirntod“ wurde 1968 von Professoren der Harvard-Universität erarbeitet.

Noch kurz vor dieser weltweit mehrheitlich akzeptierten Definition wurde ein japanischer Arzt zum Tode verurteilt, weil er eine Transplantation durchgeführt und damit einen Menschen getötet habe.

In Deutschland ist die DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation) bundesweite Koordinierungsstelle.

Der Kostenfaktor für die ca. 4.000 jährlich in Deutschland durchgeführten Transplantationen sei etwa so hoch wie die Kosten für a l l e Geburten in Deutschland in einem Jahr [Anm.d. Laut Bundesamt für Statistik wurden 2010 in Deutschland ca. 678.000 Kinder geboren].

In der Schweiz ist bei Organentnahme eine Narkose zwingend vorgeschrieben, nicht so in Deutschland. Entnommene Organe werden im Zwischenstadium tiefgekühlt, bleiben aber lebendig, so Karutz.

Zur Verdeutlichung des Themas las Dr. Karutz aus dem Roman „Leben“ von David Wagner vor. Der Autor gewann für sein autobiografisches Buch über die eigene Lebertransplantation gerade den Preis der Leipziger Buchmesse [Anm. d. In der Begründung d. Preisverleihung heißt es u.a.: „ …Wagner macht beklemmend erfahrbar, dass er seine Unschuld verloren hat, weil er sein Leben dem Tod eines anderen verdankt.“]

Der Transplantierte erhofft sich Erleichterung bei seinen Beschwerden. Er hofft auf weiteres Leben, der Schritt in den Tod wird aufgeschoben. Aber was „kauft“ er sich damit zusätzlich ein? In welche inneren Nöte kann er geraten? Wie steht es um das Innenleben anscheinend bewusstloser, dem Tode naher Menschen? Das waren zentrale Themen des Anthroposophen Karutz.

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Was spielt sich hier wirklich ab?

„Was spielt sich hier wirklich ab?“ Diese Frage stellte der Referent den weiteren von ihm vorgetragenen Teilaspekten voran.Er wies auf die Literatur über solche Erfahrungen hin, die seit den 70er-Jahren deutlich zunimmt. Da es inzwischen so viele Nahtod-Erfahrungen aus dem Bereich des klinischen Todes gäbe, sei dieser Bereich nicht mehr strittig. Dann, in Annäherung an das eigentliche Thema des Abends, die Erwähnung des tibetanischen Totenbuchs und darin beschriebene Grenzfälle.

Und wieder schien das Denken Rudolf Steiners durch, als Dr. Karutz feststellte: „Das Sterben ist mit dem Karma des Menschen verbunden. Es ist eine Götterentscheidung. Das heißt für uns, wir sollten nicht in den Tod eingreifen.“ Nach Steiner stehe das Seelenleben deutlich in Verbindung mit den Organen des Menschen. Jeder Medizin-Student werde früher oder später staunend vor dem Wunder des menschlichen Lebens stehen!

Schon in der alten griechischen Kultur sei festgeschrieben gewesen: „Der Leib ist nicht des Menschen, er ist Gottes.“

Folglich sei der Leib des Menschen nicht sein Eigentum und könne auch nicht verkauft werden.

Und wie steht es mit den Erlebnissen, die ein Menschen in seinem Leben durchlaufen hat? Die seien tief in seinen Leib eingeprägt. Das Zellgedächtnis spiele hier eine Rolle.

Durch eine Organtransplantation werde die Auseinandersetzung mit dem Tod verhindert, zumindest aufgeschoben. Wenn es immer wieder heißt: „… gestorben, weil nicht genügend Organe zur Verfügung stehen“, würde es wohl richtiger heißen: „…gestorben, weil er/sie krank war.“

Auch für den Organempfänger ergeben sich Irritationen, schwierige Entscheidungen. Er muss sich von einem seiner Organe, das ihn bis dahin treu begleitet hat, trennen. Das werde von Betroffenen zuweilen beschrieben wie „ein kleiner Tod“, mit einem Abschiedsschmerz. Erst später trete ein wenig Enthusiasmus ein.

Und fast immer plage den Organempfänger die Frage: „Wer war der Vorbesitzer meines Organs? Wie ist er gestorben?“ Diese und viele ähnliche Fragen können in Deutschland nicht beantwortet werden, denn in der EU müssen die Spender (anders als z.B. in den USA) anonym bleiben.

Durch die enge körperliche Verbindung durch die Organe entstehe eine tiefe Schicksalsverbindung zwischen Spender und Empfänger; es werde sicherlich irgendwann ein „Ausgleich“ stattfinden, davon zeigte Karutz sich überzeugt.

Ein Blick auf andere Kulturen

Schon in alten Mysterienspielen habe die Wesensverwandlung eine Rolle gespielt, „Opfer“ wurden in todesähnlichen Schlaf versetzt, sie begegneten dabei anderen geistigen Wesen, es fand eine totale Verwandlung statt. Noch heute erinnere die Prostratio [Anm.d. Das Sich-Niederwerfen eines zukünftigen Priesters im Altarraum] bei der katholischen Priesterweihe an alte Riten.

Dr. Karutz machte einen weiteren Diskurs zu Rudolf Steiner und dessen Theorie vom siebenjährigen Entwicklungs–Zyklus, von der Wiederholung von Kultur-Epochen alle 2.500 Jahre und der Spiegelung der ägyptischen Kultur in unserer heutigen, mit der Geburt Christi als zeitlicher Spiegelachse. Er verglich die rituellen Handlungen bei Opfern in der ägyptischen Kultur mit den fast schon rituellen Abläufen im Operationsraum unserer heutigen Kliniken.

Er erinnerte an die Osiris-Legende, der zufolge Osiris ermordet und seine Leichenteile weit verstreut wurden. Um die Einheit seines Körpers wieder herzustellen, begab sich dessen Frau/Schwester Isis auf die Suche, fand alle Körperteile und konnte zuletzt den Körper des Osiris wieder zusammenfügen.

Im Ägypten der Pharaonen ging es um rituelle Einweihung und um Mumifizierung der Verstorbenen, wodurch die Seele mit dem Leib verbunden bleiben sollte.

Ähnliche Tendenzen habe es in Mesopotamien, aber auch in Zentralamerika (bei Mayas, Tolteken, Azteken u.a.) gegeben, wo Menschen, wie man glaubte, zum Wohle anderer Menschen durch Organentnahme bei lebendigem Leibe geopfert wurden, was beim Opfer eine Abwendung von allen irdischen Gedanken bewirkt habe.

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Zurück in unsere Zeit

Der Referent erinnerte an Christian Barnard, der 1967 in Südafrika das erste Herz verpflanzte und „von der Gier getrieben war, der Beste zu sein“; er erinnerte an das „Lazarus-Syndrom“ (wenn Menschen sich auch in Narkose bei der Organentnahme heftig wehren), er stellte Organspende in Kontext zu Macht, Geld, Kriminalität.

Gemeinsames Leiden und Sterben schaffe auch Verbundenheit, zum Beispiel bei Erdbeben- oder Flutkatastrophen. Dazu zitierte Karutz Hölderlin: „ Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch.“

Welches Bewusstsein wird in der Gesellschaft implementiert?

Zum Schluss stellte Dr. Karutz die Frage in den Raum: „ Welches Bewusstsein wird in der Gesellschaft implementiert?“. Seine Antwort war klar: Das Nutzen von „Organ-Ressourcen“ bedeutet in unserer heutigen Gesellschaft mehrheitlich – Aufruf zur Organspende.

Er zitierte Prof. Wolf Bechstein, den Präsidenten der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) und Vorsitzenden des Stiftungsrates der DSO, der die Organtransplantation mit Atomkraft und Impfungen verglichen habe (Karutz nannte das „Kulturbeglückungstechniken“).

Zuletzt hob Karutz eine durchgängige Erfahrung aus Kreisen der Intensivmedizin hervor: „Wenn ein Mensch sterben soll, dann wird er sterben.“

Er beendete seinen Vortrag mit der Hoffnung, „… dass alle eine individuelle Entscheidung treffen werden.“

 

Buchempfehlungen:

„Leben“ von David Weber, Journalist, Rowohltverlag, 19,95 €

„Dein Tod, mein Leben“ von Vera Kalitzkus/Ethnologin , Suhrkamp medizinHuman, 8,50 €

 



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