Trotz Ärztewarnung: EU will Glyphosat verlängern

Der Deutsche Ärztetag hat sich unmissverständlich für ein sofortiges Glyphosat-Verbot ausgesprochen. Doch die EU-Kommission will das Vollherbizid für bis zu zwei Jahre zulassen. Sie stützt sich auf Analysen des Bundesinstituts für Risikobewertung aus Berlin. Doch es ist fraglich, wie unabhängig die sind.
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Die EU will Glyphosat im Schnellverfahren durchdrücken.Foto: dpa
Epoch Times31. Mai 2016

Der umstrittene Unkrautvernichter Glyphosat könnte laut Reuters den Fuß doch für bis zu zwei Jahre auf europäischen Boden kriegen. Am kommenden Montag soll dazu erneut ein Treffen der EU-Kommission mit den Mitgliedsländer stattfinden. Das ließen EU-Diplomaten und die deutsche Bundesregierung verlauten.

Glyphosat wird vor allem über Monsantos Marktführer “Roundup” vertrieben. Eine Neuzulassung für ein bis zwei Jahre sei im Gespräch, denn so lange dauert es, bis die Europäische Chemikalienagentur geprüft haben wird, ob Glyphosat krebserregend ist oder nicht.  Die “DWN” berichteten.

Ärzte gegen Glyphosatneuzulassung

Keine Neuzulassung forderte nun der 119. Deutsche Ärztetag in Hamburg und richtete sich damit an Bundesregierung und Europäische Kommission. Er stützt sich dabei auf das Vorsorgeprinzip in Art. 191 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, denn es liegen dokumentierte Fälle von DNA-Defekten vor. Weitere unabhängige Studien seien nötig.

“Glyphosat wird als Unkrautvernichtungsmittel seit 1974 verwendet. Die International Agency for Research on Cancer (IARC) hat 2015 im Zusammenhang mit der wahrscheinlich krebserregenden Wirkung für Menschen festgestellt, dass „Glyphosat (…) DNA- und chromosomale Defekte in menschlichen Zellen verursacht“. Für gentoxische Effekte besteht nach derzeitiger wissenschaftlicher Meinung kein unschädlicher Schwellenwert. Dieser Effekt muss für eine weitere, langfristige Zulassung durch weitere unabhängige Studien in den Expositionsszenarien für Menschen sicher ausgeschlossen werden”, heißt es im Wortlaut.

Auf Grund einer schweren Auseinandersetzung in der Großen Koalition über die Neuzulassung von Glyphosat sieht es derzeit danach aus, dass Deutschland sich bei einer möglichen Abstimmung enthalten wird. Die SPD-Minister sprachen sich gegen die Verlängerung nach dem 30. Juni aus, während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sich für das Pflanzengift stark machten – unter Druck gesetzt durch die deutsche Agrarlobby.

Denn Deutschlands Stimme hat Gewicht

Deutschlands Stimme ist eine, die in der Abstimmung wirklich zählt. Sie kann das Aus für Glyphosat in Europa bedeuten.

Doch im entscheidenden Moment veröffentlichte die UN vor wenigen Wochen eine neue Einschätzung, wonach Glyphosat wahrscheinlich doch nicht krebserregend sei. Tiertests mit für Menschen relevanten Dosen des Mittels hätten gezeigt, dass Glyphosat bei der Nahrungsaufnahme nicht zu genetischen Zellveränderungen führe.

Außerdem habe das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wichtige Studien zur Gentoxizität und Kanzerogenität nicht berücksichtigt bzw. fehlerhaft ausgewertet. Dies geht laut “DWN” aus einer Studie des Toxikologen Peter Clausing im Auftrag von Campact und dem Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) hervor.

Geheimer Risiko-Bericht stützt sich auf Herstellerstudien

Clausing hat den finalen BfR-Bericht zur Neuzulassung erstmals unabhängig prüfen lassen. Er bildet die Grundlage für die EU-Abstimmung. Doch das BfR hält diesen Bericht bislang vor der Öffentlichkeit geheim.

„Der Bericht des BfR verdreht Tatsachen und verschweigt wichtige Studien zur Krebsgefahr von Glyphosat oder stellt sie falsch dar. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass das BfR die Beweislage gegen Glyphosat mit Absicht geschwächt hat”, sagt Clausing. So habe man im Abschnitt zu Gentoxizität 44 wissenschaftliche Publikationen nicht einbezogen, die Genschäden durch Glyphosat nachwiesen. Vielmehr stütze man sich auf konzerngesponsorte Studien, die keine krebsauslösende Wirkung dokumentieren.

Das Knäuel der Interessen entwirren

“Jetzt wird klar, warum der Glyphosat-Bericht des BfR nicht veröffentlicht werden soll. Dieser Bericht spielt die Gesundheitsgefahren von Glyphosat systematisch herunter. Die Geheimniskrämerei und Vertuschung muss ein Ende haben”, erklärte Gerald Neubauer von Campact.

Wie eng Behörden und Chemiekonzerne zusammenarbeiten, hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) parallel dazu untersucht. „Obwohl sie dem Verbraucher- und Umweltschutz verpflichtet sind, lassen die Zulassungsbehörden jede kritische Distanz vermissen. Sie handeln wie Dienstleister der Pestizidhersteller“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. „Das Ziel der Hersteller, Wirkstoffe auf den Markt zu bringen und Gewinne zu maximieren, verzerrt die eigenen Beurteilungen. Die Pestizidindustrie darf ihre Studien nicht länger selbst schreiben und bewerten, denn sie unterliegt einem offensichtlichen Interessenkonflikt“, sagte Weiger.

Nun stehe das BfR in der Pflicht zu beweisen, dass es sich nicht nur an Herstellerstudien gehalten habe. Das BfR müsse außerdem auf die Hersteller einwirken ihre Studien offenzulegen und so eine Überprüfung durch unabhängige Wissenschaftler ermöglichen.

„Handeln muss auch der Gesetzgeber. Hauptaufgabe des BfR muss die Vorsorge vor den Risiken des Pestizideinsatzes sein. Verschließt das Bundesinstitut für Risikobewertung vor den Glyphosat-Gefahren weiter die Augen, ist es eher eine Behörde für Risikoverharmlosung“, fügt Weiger hinzu.

Die Verschleierungstaktiken der Chemiekonzerne

„Bei der Auswertung von Daten haben Pestizidhersteller einen gestalterischen Spielraum und können negative Effekte ihrer Wirkstoffe verschleiern”, sagte die BUND-Pestizidexpertin Heike Moldenhauer. “Die Hersteller treffen außerdem bei unabhängigen Studien eine Vorauswahl und beurteilen deren Relevanz. Daher werden unabhängige Studien nicht hinzugezogen.

Die WHO hat sich ausschließlich auf unabhängige Studien konzentriert und kam zu einem völlig anderen Urteil über die Risiken von Glyphosat als das BfR“, sagte Moldenhauer.

Die EU-Gesetzgebung sei so zu ändern, dass Risikobewertungen im Zulassungsverfahren nur noch von unabhängigen wissenschaftlichen Instituten durchgeführt werden, forderten die unabhängigen Institutionen. Studien müssten über einen industrieunabhängig verwalteten Fonds finanziert werden, der sich aus Gebühren der antragstellenden Firmen speise.

Was darf Landwirtschaft kosten?

Letztendlich läuft es auf die Frage hinaus, ob wir kleine Familienbetriebe oder riesige Agrarbetriebe haben wollen, die ohne Glyphosat nicht wirtschaften können. Das jedenfalls sagen die folgenden Untersuchungen:

Das vom Landwirtschaftsministerium beauftragte Julius-Kühn-Institut (JKI) empfiehlt in seiner Studie keinen vollständigen Verzicht auf Glyphosat, fordert aber niedrigere Dosen von Glyphosat. So sollte das Herbizid nur in schwierigen Lagen angewendet werden.

Für das JKI stehen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, weshalb es Glyphosatverzicht nur in günstigen Lagen empfiehlt. Das größte Einsparpotenzial liege beim Winterweizen, auf den ein Drittel der Glyphosatmenge entfällt. Bei Kernobst gebe es Zusatzkosten von bis zu 2000 Euro pro Hektar und Jahr. Hier würde sich der Glyphosatverzicht – ökonomisch – nachteilig auswirken.

Die Alternative zu Glyphosat sind schwere Maschinen. Doch “zerstört das Pflügen die Bodenstruktur und begünstigt die Erosion“, geben die Autoren der Studie vom JKI zu bedenken.

„Ein klares Reduktionsziel für die jährliche Einsatzmenge chemischer Pflanzenschutzmittel in Deutschland definieren”, fordert dahingegen das Bundesumweltamt. (kf)

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