Albakr-Suizid: Wer ist schuld? – Wendt: „Wenn es Versäumnisse gab, ist Justizminister fällig“

Hätten die Leipziger Justizbehörden den Selbstmord des Terrorverdächtigen al-Bakr verhindern können? Diese Frage wird politische Folgen haben. Die Ereignisse und Vorwürfe überschlagen sich. EPOCH TIMES berichtet im Newsticker.
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Rainer Wendt nennt die politischen Folgen des al-Bakr-Suizids "verheerend"Foto: JOSEPH EID / AFP / Getty Images/YouTube, Screenshot / Polit Archiv/Polizei Sachsen/ept
Epoch Times13. Oktober 2016

Hätten die Leipziger Justizbehörden den Selbstmord des Terrorverdächtigen al-Bakr verhindern können?

18:12  +++ Staatsanwaltschaft rechnet morgen mit Obduktionsergebnis +++

Heute wurde die Leiche des terrorverdächtigen Jaber al-Bakr obduziert. Ein schriftliches Ergebnis wird voraussichtlich am Freitag vorliegen, meldet der „Focus“ unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft.

17:48  +++  Grüne fordern Gemkows Rücktritt +++

Die Grünen im sächsischen Landtag haben den Rücktritt von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) gefordert.

„Er sollte die Konsequenzen ziehen und zurücktreten“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Katja Meier, am Donnerstag im Bayerischen Rundfunk (BR) laut AFP. Zuvor hatte sie bereits erklärt, Gemkow trage „die Verantwortung für dieses Versagen“.

Es gebe in sächsischen Gefängnissen offenbar ein Strukturproblem, so Meier. „Der Leiter der JVA in Leipzig hat bereits eingeräumt, dass die Anstalt möglicherweise zu blauäugig gewesen sei“, sagte sie und ergänzte: „Die sächsischen Gefängnisse haben keine Erfahrungen mit Terrorverdächtigen – umso wichtiger wäre es gewesen, noch strengere Vorkehrungen zu treffen oder sich Hilfe von außen zu holen.“ Der Ablauf sei „einfach fahrlässig gewesen“.

Auch Katrin Göring-Eckardt, die Vorsitzende der Grünen im Bundestag, sprach von einem „Versagen der Justizbehörden in Sachsen“. „Man kann den Eindruck bekommen, es ist hier vorgegangen worden, als sei das ein Taschendieb“, kritisierte sie.

16:01  +++ Bosbach: „Ständige Sitzwache wäre notwendig gewesen“ +++

Kritik an Sachsens Behörden kommt von CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach: „Eine ständige Sitzwache wäre notwendig gewesen“, sagte er der „Welt“. Aus seiner Sicht waren die nur alle 30 Minuten durchgeführten Kontrollgänge zu wenig. „Spätestens nach der Manipulation an der Lampe lag die Vermutung nah, dass der Inhaftierte dazu entschlossen war, sich etwas anzutun“, so Bosbach.

Er sieht die Behörden nun in der Pflicht, weitere mögliche Gefahren abzuwehren „Es geht jetzt darum, alle Fragen zu klären. Möglicherweise war Albakr Teil einer dschihadistischen Zelle, die noch aktiv ist.“

15:55 +++ Tillich nimmt Justizminister in Schutz +++

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat bezüglich des Albakr-Suizids Vorverurteilungen zurückgewiesen und Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) den Rücken gestärkt: „Die pauschale Kritik an der sächsischen Justiz, ohne die Vorgänge genau zu kennen, weise ich entschieden zurück“, sagte Tillich in einer Mitteilung der Staatskanzlei laut Focus“. „Es braucht eine genaue Analyse des Vorgangs, um dann daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.“

Der Fall werde von den zuständigen Behörden umfassend aufgeklärt. Das sei ihm auch persönlich sehr wichtig, so Tillich. Er vertraue „voll und ganz“ seinem Justizminister.

+++ 15:43  Opposition im sächsischen Landtag fordert Konsequenzen +++

„Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) trägt die Verantwortung für dieses Versagen und muss die Konsequenzen dafür tragen“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Katja Meier, am Donnerstag. Ihr Kollege für Innenpolitik, Valentin Lippmann, sprach in der „Huffington Post“ von „handfestem Justizversagen“.

„Die politische Verantwortung liegt in jedem Fall bei Ministerpräsident Tillich“, sagte der Chef der Linksfraktion im Landtag, Rico Gebhardt, der „Huffington Post“. Der Suizid al-Bakrs verlängere „die lange Liste offener Fragen zum Fall al-Bakr und zum Handeln der Sicherheitsbehörden.“

Eine Sondersitzung des Innen- sowie des Verfassungs- und Rechtsausschusses im sächsischen Landtag soll am Dienstagnachmittag stattfinden. Sie soll „die Begleitumstände des Großeinsatzes der Polizei“ und „die Hintergründe des Suizids des dabei festgenommen Hauptverdächtigen“ al-Bakr aufklären.

+++ 15:40  Al-Bakrs Pflichtverteidiger Alexander Hübner sprach von einem „Justizskandal“ +++

Er kritisierte die sächsische Justiz scharf. „Ich bin wahnsinnig schockiert und absolut fassungslos, dass so etwas passieren kann“, sagte der Rechtsanwalt dem Portal „Focus Online“. Den Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt sei das Suizidrisiko des Beschuldigten bekannt gewesen. Es sei auch im Protokoll vermerkt worden, sagte er laut AFP.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) forderte eine „umfassende und schnelle Aufklärung“. Die Ermittlungen seien dadurch „natürlich erschwert“, sagte de Maizière am Rande des EU-Innenministerrats in Luxemburg. Es sei auch ein „Rückschlag“ für die Aufklärung von gegebenenfalls weiteren Tatbeteiligten, Hintermännern, Netzwerken und ähnlichem. Der SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sprach von einem „erschreckenden Vorfall, der jetzt untersucht werden muss“.

+++ 15:11  Rainer Wendt: „Wenn es in diesem Fall Versäumnisse gab, dann ist der Justizminister fällig“ +++

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt fordert lückenlose und schnelle Aufklärung der Vorgänge. Zum „Focus“ sagte er: „Wenn es in diesem Fall Versäumnisse gab, dann ist der Justizminister fällig.“

„Die Öffentlichkeit muss alles erfahren. Die Regierung muss alles auf den Tisch legen und darf es gar nicht erst zu einem Untersuchungsausschuss kommen lassen“, so Wendt weiter. Die politischen Folgen des Suizides seien „verheerend“. Er schätzt: „Dieser Vorfall wird den Verschwörungstheoretikern neue Nahrung geben.“ Nun erschwere sich die vollständige Aufklärung des Falles erheblich: „Noch ist etwa völlig unklar, was es mit möglichen Mitwissern auf sich hat. Dem muss man akribisch nachgehen. Das wird nun natürlich schwerer werden.“

Auch sprach Wendt von einem „herben Rückschlag“ für das Vertrauen der Bevölkerung, in den Staat. Schon zuvor waren diverse Pannen bei den Ermittlungen gegen al-Bakr bekannt geworden, berichtete der „Focus“. Dem Syrer gelang es, vor der Polizei von Chemnitz nach Leipzig flüchten.

+++ 15:07  Dulig: Können Terrorverdächtigen nicht wie „Kleinkriminellen“ behandeln +++

Dpa meldet: In der sächsischen Landesregierung wird die Selbsttötung des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr im Leipziger Gefängnis völlig unterschiedlich bewertet. Vize-Ministerpräsident Martin Dulig widersprach öffentlich Justizminister Sebastian Gemkow und gab der Justizvollzugsanstalt eine Mitschuld. Es sei offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung, als auch den Zustand des Gefangenen gekommen, sagte Dulig. Es könne nicht sein, dass ein unter Terrorverdacht stehender Mann wie ein „Kleinkrimineller“ behandelt werde.

„Der aktuell wohl brisanteste Gefangene der Bundesrepublik stand unter Verdacht, einen Sprengstoffanschlag zu planen und damit nicht nur sein eigenes, sondern das Leben vieler unschuldiger Menschen zu opfern“, erklärte Dulig laut AFP. Schon damit habe sich die Frage nach möglicher Suizidgefahr des Gefangenen geklärt gehabt.

+++ Beginn des Newstickers +++

Was bisher geschah …

Gestern erhängte sich in der JVA Leipzig der Terrorverdächtige Jaber al-Bakr. Der 22-Jährige, der einen Bombenanschlag mit hochexplosivem Material geplant haben soll, wurde um 19:45 tot in seiner Zelle aufgefunden. Es war ihm gelungen, sich in einem nur 15-minütigen Zeitfenster zwischen zwei Wachpatrouillen mit einem T-Shirt am Vorgitter der Zelle zu strangulieren. Das T-Shirt war Anstaltskleidung, die er erhalten hatte.

Sofortige Wiederbelebungsversuche scheiterten. Eine Notärztin stellte den Tod fest.

Der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) sagte heute auf einer Pressekonferenz: „Das hätte nicht passieren dürfen.“ Er übernehme die politische Verantwortung für den Vorfall qua seines Amtes.

Hätten die Leipziger JVA den Selbstmord des Terrorverdächtigen verhindern können? Das war die zentrale Frage bei der Pressekonferenz. Das Personal sei sehr erfahren gewesen, habe sich professionell und gesetzmäßig verhalten, betonte der Leipziger JVA-Leiter Rolf Jacob immer wieder gegenüber den nachbohrenden Journalisten. Die JVA-Mitarbeiter und eine Psychologin seien zu Einschätzungen gekommen, die sich nun im Nachhinein als falsch heraus gestellt haben. Den Satz: „Wir haben alles richtig gemacht“ vermied Jacob.

So verhielt sich al-Bakr in Haft

Al-Bakr habe ruhig und ausgeglichen gewirkt. Aus den Informationen die vorlagen, insbesondere aus dem Gespräch mit einer Psychologin, war nicht hervorgegangen, dass akute Suizidgefahr vorlag. Am Abend seiner Einlieferung gab es mehrere Neuzugänge in der JVA. Weil sl-Bakr ausgeglichen wirkte, habe man darauf verzichtet, sofort einen Dolmetscher herbeizuholen.

Der Gefangene habe bereits beim Eintreffen in der JVA angekündigt, dass er Nahrung und Getränke verweigern werde, erkundigte sich jedoch nach dem Haftalltag und danach, welche Konsequenzen ihn bei seinem Hungerstreik erwarten. Man war der Ansicht, dass Suizidgefahr und Fremdgefährdung vorlagen. Deshalb wurde er in seiner Zelle in der ersten Nacht alle 15 Minuten kontrolliert. Diese Kontrollen wurden dann in 30 minütige Kontrollen umgewandelt, nachdem die erste Nacht unauffällig verlaufen war und eine Psychologin Albakrs Zustand eingeschätzt hatte.

Er riss eine Lampe herunter und manipulierte eine Steckdose

Dienstag habe der Inhaftierte sich am späten Nachmittag gemeldet und gemeint, dass seine Deckenlampe heruntergefallen sei. Durch Zeichensprache deutete er an, dass sie von selbst heruntergefallen sei. Die JVA-Angestellten schalteten den Raum stromlos, nachdem sie festgestellt hatten, dass der Gefangene die Lampe heruntergerissen hatte. Bei einer Haftraumkontrolle fiel auf, dass an einer Steckdose herummanipuliert worden war. Dies wurde aber nicht weiter als Problem betrachtet, da der Raum bereits stromlos geschaltet war.

Vandalismus von Gefangenen trete öfter auf und habe viele Gründe – unter anderem den, die Reaktion des JVA-Personals zu testen, so Jacob. Al-Bakrs Aktion wurde vom Personal in diesem Kontext gesehen.

Wer sich wirklich umbringen will, schafft es …

Die Journalistenfragen drehten sich darum, wie der Selbstmord passieren konnte. „Wer das intensiv vorhat und sich Gedanken gemacht hat über die Selbsttötung, kann das realisieren“, sagte Rolf Jacob, der darauf verwies, dass es immer wieder einzelne Häftlings-Suizide gebe, obwohl man alles unternehme, diese zu verhindern. Er gab zu bedenken, dass es zwar spezielle gekachelte Hafträume gebe und die Möglichkeit, einen Gefangenen nur mit „Schamschutz“ aus Papier zu bekleiden, wenn eine Suizidgefahr als akut eingeschätzt werde. Eine solche Inhaftierung geschehe aber nicht als Langzeit-Prophylaxe, weil sie menschenunwürdig sei.

Man hätte eine „Sitzwache“ vor al-Bakrs Zelle einrichten können, dies sei auch personell jederzeit möglich, wenn es als notwendig erachtet werde, so Jacob. Allerdings sah man zu so einer Dauerüberwachung bei al-Bakr keine Notwendigkeit.

„Staatsversagen“

Der „Spiegel“ nannte die Vorfälle in einem Kommentar nun „ein unfassbares Staatsversagen“ Sachsens: „Der Syrer Albakr hätte den Sicherheitsbehörden zum einen wichtige Informationen liefern können, gleichzeitig steht sein erfolgreicher Suizid für die Unfähigkeit staatlicher Institutionen. Es ist eine Blamage.“



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