Die anderen nicht vergessen

"Wenn die Welt nach China blickt und man die Hochglanzfassaden von Peking zu sehen bekommt, ist es das Statement von uns Athleten, dass man in dieser Zeit die anderen, wie den Anwalt GAO Zhisheng nicht vergessen soll." Die Fechterin Imke Duplitzer bei ihrem Abschied in Bonn.
Titelbild
Rechnet fest mit einer Medaille in Peking: Degenfechterin Imke Duplitzer. "Egal, wie es ausgeht, hinterher gehen wir zusammen ein Bier trinken." (Matthias Kehrein/ETD)
Epoch Times4. August 2008

ETD: Frau Duplitzer, Sie fliegen am Montag (4. August) nach Peking zu Ihren vierten Olympischen Spielen, wie fühlen Sie sich?

Imke Duplitzer: Ich habe gemischte Gefühle. Auf den Wettkampftag, den 13. August, freue ich mich sehr. An den restlichen Tagen werde ich mich sehr wahrscheinlich mit dem Einen oder Anderen, den ich von früher her noch kenne, treffen und unterhalten, aber so richtig brennende Freude kommt nicht auf bei allem, was zu Olympia dazugehört.

ETD: Sie haben gefordert, die Eröffnungsfeier im Fernsehen zu boykottieren. Sie haben sich auch kritisch bezüglich der Behandlung der Tibeter geäußert. Welche Reaktionen haben sie darauf erhalten?

Duplitzer: Die Reaktionen sind gegensätzlich. Ich habe auch nicht direkt zum Boykott aufgerufen, sondern vielmehr angeregt, dass diejenigen, die die Spiele aus Protest nicht ansehen möchten, den Fernseher auslassen. Einige Leute möchten auch demonstrieren, dass es nicht mehr so weiter geht mit Olympia bezüglich der Vergabe der Städte und dass man wieder mehr zum olympischen Gedanken zurückkehrt.

Es gab positive Reaktionen, aber auch negative. Manche sagen: „Du bist doch Sportlerin, du sollst Sport machen“. Andere sagen, man solle sich nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen.

ETD: Aus welcher Richtung kamen die kritischen Reaktionen?

Duplitzer: Mir haben viele Exilchinesen geschrieben, man solle sich aus den inneren Angelegenheiten Chinas heraushalten. Es gab aber auch viele Exilchinesen, die es gut fanden, dass ich nicht zur Eröffnungsfeier gehe. Es gab natürlich auch viele Rückmeldungen aus sportpolitischen und wirtschaftlichen Bereichen, denen es nicht passte, dass ich mich exponiert dazu äußere und auch direkt Kritik am Internationalen Olympischen Komitee (IOC) übe, indem ich sage, dass die Olympischen Spiele wie eine Werbeveranstaltung sind, bei der die Sportler nichts mehr zählen.

Wenn Sie sich so äußern, bekommen Sie von allen Seiten Feuer. Da kommt einiges auf Sie zu, aber das stört mich nicht. Ich habe niemanden beleidigt und in sofern bin ich da ganz entspannt.

ETD: Wie fassen Sie es auf, wenn Ihnen jemand sagt, sie sollen sich nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen?

Duplitzer: Es gibt zum Beispiel in China die Einkindpolitik, da will ich mich nicht einmischen, das können die Chinesen machen, wie sie wollen.

Es ist eine andere Sache – und es hat nicht unbedingt etwas mit innerer Politik zu tun, wenn man auf die Menschenrechte und die Tibetfrage aufmerksam machen will. Denn als westliche Welt und globalisierte Gemeinschaft haben wir uns darauf geeinigt, oder sollten uns darauf einigen, dass Menschenrechtsfragen und kulturelle Unabhängigkeit transparent gelöst werden. Und das ist in China nicht der Fall.

Das IOC hat die Spiele an ein Land und an ein System vergeben, in dem Transparenz nicht großgeschrieben wird, was auch nicht unbedingt für das IOC spricht. In der letzten Zeit ist das IOC auch wieder in die Schlagzeilen geraten. Leider, auf der anderen Seite ist es vielleicht auch wieder sehr heilsam, weil dem IOC genauso die Transparenz fehlt. Beide Systeme arbeiten sehr ähnlich. Da muss ich sagen, das ist ein sportliches Umfeld, in dem ich mich als Athlet nicht mehr richtig wohl fühle. Es geht nicht um sportliche sondern um harte sportpolitische und wirtschaftspolitische Interessen.

ETD: Wenn Sie vor diesem Hintergrund nach China reisen, schwingt bei Ihnen ein Unwohlsein mit?

Duplitzer: Gut, da bin ich schon Profi genug. Ich bin schon nicht mehr so aufgeregt. Das sind meine vierten Olympischen Spiele. Ich habe jetzt schon drei Mal festgestellt, dass auch nach Olympia das Leben weiter geht. Sicher, wenn man sich als Sportler da hinstellt – wir durften die Wettkampfstätte schon sehen – rein von der Architektur her, ist es für jeden Athleten ein wunderbares Dorf und alles meist in Fußentfernung. Wenn man nur mal den Sportler und die Wettkampfstätten da hinstellt, sagt man: „Das ist toll.“

Aber, wenn man sich etwas weiter damit beschäftigt und überlegt, unter welchen Bedingungen die entstanden sind, dann muss man ehrlich sagen, da kommt ein Unwohlsein auf. Am 13. August werde ich mich wahrscheinlich hier und da mal über die Menschenrechte unterhalten, aber in erster Linie bin ich dann Sportler, weil das unser Job ist. Es ist auch mein Job, dann alle anderen Dinge hinter mir zu lassen.

ETD: Bleiben Sie nach dem Wettkampf noch etwas in China?

Duplitzer: Ich fliege am 15. direkt nach Hause. Das war von vorneherein so geplant. Ich möchte nicht länger da bleiben, weil ich nicht wirklich Spaß an den Spielen habe, was ich sonst immer hatte.

Imke Duplitzer mit der kürzlich erschienenen Autobiographie des Anwalts GAO Zhisheng, der seit fast einem Jahr an einem unbekannten Ort inhaftiert ist und gefoltert wird. Er setzte sich dafür ein, dass in China Recht und Gesetz eingehalten werden. (Matthias Kehrein/ETD)Imke Duplitzer mit der kürzlich erschienenen Autobiographie des Anwalts GAO Zhisheng, der seit fast einem Jahr an einem unbekannten Ort inhaftiert ist und gefoltert wird. Er setzte sich dafür ein, dass in China Recht und Gesetz eingehalten werden. (Matthias Kehrein/ETD)

ETD: Werden es Ihre letzten Spiele sein?

Duplitzer: Wahrscheinlich nicht. Angepeilt ist vom deutschen Fechterbund und dem deutschen Bundestrainer, dass ich ab nächster Saison etwas kürzer treten werde, was mit 33 auch durchaus legitim ist. Aber vier Jahre wird im Hinblick auf die Qualifikation der deutschen Mannschaft für die nächsten Spiele sehr wahrscheinlich noch einmal drin sein. Wenn alles hält und ich gesund bleibe.

ETD: Was erwarten Sie von den Chinesen als Menschen?

Duplitzer: Ich habe sehr viele chinesische Freunde, auch in China, mit denen ich wunderbar diskutieren kann, mit allem Drum und Dran. Mit Sicherheit haben die Chinesen als Bevölkerung diese Olympischen Spiele verdient. Man sieht auch, dass sich die Leute sehr darauf freuen. Auf der anderen Seite hat das politische System Chinas die Spiele mit Sicherheit zu früh gekriegt.

Diese Spiele werden so perfekt sein, es ist wie wenn sie eine schöne Frau angucken, wenn die zu perfekt ist, ist sie nicht mehr schön. Gerade Olympia lebt von diesen Kleinigkeiten, die nicht hundertprozentig perfekt sind, auch von den kleinen Pannen, die passieren. Diese Spiele werden so perfekt sein, werden so Hochglanz sein, dass es schon klinisch rein ist. Dann stellt sich die Frage, ob unter den Athleten überhaupt eine Stimmung aufkommt. Für alle Beteiligten ist die Sicherheit wichtig, aber wenn alles überkontrolliert wird, dann kommt der olympische Gedanke nicht auf.

ETD: Was für eine Haltung drückt sich darin aus, dass es dort so klinisch ist?

Duplitzer: Es soll verhindern, dass sich auch Leute äußern, die von der KP und dem politischen System nicht hundertprozentig überzeugt sind … sowas wird nicht passieren

Länder und Menschen entwickeln sich durch Dialoge. Das IOC hat das Problem, dass das chinesische politische System jeglichen Dialog unterbindet. Es unterbindet jeglichen Dialog, den es nicht kontrollieren kann.

ETD: Ist das eine Form von Angst?

Duplitzer: Mit Sicherheit ist es auch eine Form von Angst, denn wenn 1,3 Milliarden Chinesen anfangen, kreativ zu werden oder eine neue Demokratiebewegung sich entwickeln sollte, dann hat Chinas Führung mit Sicherheit ein unglaubliches Problem.

Die Chinesen haben diesen unglaublichen Drang, zu zeigen, wie perfekt sie sind. Und wer ist schon perfekt? Und das ist etwas, das die chinesische Führung lernen muss mit der Zeit, es gibt nichts auf dieser Welt, was perfekt ist. Und dass man dadurch, dass man Schwächen eingesteht, Größe entwickeln kann. Wenn sie diese Schwächen immer nur kaschieren, dann werden sie weiter in ihrem kleinen Kasten vor sich hin leben aber werden einfach nie wirklich groß.

ETD: Sie haben bei der Aktion „Wir sind alle Chinesen“ der Süddeutschen Zeitung mitgemacht. Was wollten Sie damit ausdrücken?

Duplitzer: Diese Aktion soll darauf hinweisen, dass es Sportler gibt, die sich auch Gedanken über die Welt außerhalb des Sports machen und nicht nur wie ein Hamster stupide in einem Laufrad vor sich hinturnen.

Wenn die Welt nach China blickt und man die Hochglanzfassaden von Peking zu sehen bekommt, ist es das Statement von uns Athleten, dass man in dieser Zeit die anderen, wie den Anwalt GAO Zhisheng nicht vergessen soll. Jene, die jetzt nicht Teil dieses ganzen Geschehens sind, weil sie weggesperrt worden sind, weil sie sich frei geäußert haben, weil sie für Gerechtigkeit eingetreten sind, weil sie für ihre Privatsphäre eingetreten sind.

ETD: Ich danke Ihnen, viel Erfolg!

Die Fragen stellte Matthias Kehrein.



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