Walter Sittler protestiert gegen den geplanten Bahnhof Stuttgart 21

Die braven und fleißigen Schwaben aus dem Musterländle der Republik gehen seit Monaten in Stuttgart mit Trillerpfeifen auf die Barrikaden.
Titelbild
Walter Sittler, Schauspieler, kämpft für Vernunft und Kreativität.Foto: Thomas Niedermueller/Getty Images
Von 22. September 2010

Die Bandagen im Kampf um das Bahnprojekt Stuttgart 21 werden härter. Die Abrissarbeiten haben begonnen, die Stuttgarter wollen mit Zeltstädten im Schlosspark den Bahnhof und die alten Bäume schützen. Die Polizei hat die Zeltenden vertrieben.

Die Bürger wehren sich mit Demonstrationen gegen die immer teurer werdenden Neubaupläne für einen tiefer gelegten Bahnhof. Politiker stellten die Probleme zunächst als Kommunikationsmängel hin.

Die SPD machte eine Kehrtwende und befürwortet jetzt einen Baustopp, um einen Volksentscheid zu ermöglichen. Daraufhin trat am Freitag Wolfgang Drexler, der 64-jährige SPD-Landtagsabgeordnete, von seiner Sprecherfunktion für Stuttgart 21 zurück. Die Sprecherfunktion sei nicht mehr vereinbar mit der geänderten Haltung der SPD im Land und im Bund.

Und während in Stuttgart am Samstag wieder Zehntausende auf die Straßen gingen, krempelte Baden-Württembergs CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus in Ehingen nach Berichten der Badischen Zeitung vor dem Parteinachwuchs die Ärmel hoch und verkündete: „Die Landtagswahl im März als Volksabstimmung über Stuttgart 21? Natürlich, wir stehen zum Projekt.“

Dass ein Großprojekt wie der neue Tiefbahnhof in der fünfzehnjährigen Planungszeit zwar alle bürokratischen Hürden nahm, aber schon heute der technischen Entwicklung hinterherhinkt und überflüssig ist, werfen die Kritiker den Verantwortlichen vor.

Abgesehen davon steigen die Kosten in umstrittene Milliardenhöhen. Sogar nach einem Gutachten, das vom Umweltbundesamt ins Netz gestellt wurde, schaffen die Drehung, die Tieferlegung und der Umbau zum Durchgangsbahnhof dauerhafte Engpässe, unnötig hohe Geldausgaben, eine Gefährdung der unterirdischen Mineralquellen und keinen Nutzen. S 21 wird das Projekt genannt für Stuttgart 21.

Der Bürgerprotest geht weiter, obwohl der Abriss schon begonnen hat.Der Bürgerprotest geht weiter, obwohl der Abriss schon begonnen hat.Foto: Thomas Niedermüller/Getty Images

Die Stuttgarter finden sich seit Monaten in wachsender Zahl – am Samstag waren es an die 50.000 – zu Protest-Demonstrationen ein. K 21 als Abkürzung für den beizubehaltenden und aufgefrischten Kopfbahnhof 21 ist ihre Parole. Der Schauspieler Walter Sittler wird als Gesicht des Protestes bezeichnet, weil er sich immer wieder deutlich zu Wort meldet. Er wohnt mit seiner Familie in Stuttgart. Die Epoch Times sprach mit ihm.

Epoch Times: Herr Sittler, was treibt Sie an?

Walter Sittler: Es geht darum, dass ich nicht einsehen kann, wenn eine Stadt, die – wie alle Städte übrigens – so viel sparen muss wie jetzt, dann so viel Geld ausgibt für ein Projekt, das gar nicht den Nutzen bringt, der 15 Jahre lang versprochen worden ist.

Und wenn man angelogen und an der Nase herumgeführt wird, weil es letztlich darum geht, Immobilienflächen zu schaffen für Leute, die dort bauen wollen, dann mache ich den Mund auf. Ich höre, man muss Stuttgart zum Zentrum Europas machen, da kann ich nur lachen. Stuttgart ist eine Landeshauptstadt, es ist keine Welthauptstadt, es wird auch keine werden, muss es auch gar nicht.

Wenn in einer technischen Zeit, in der wir leben – da sind 15 Jahre fast schon zwei Generationen – da muss man fragen, wenn das jetzt gebaut werden soll, ob das noch auf der Höhe der Zeit ist. Bei dem jetzigen Plan kann man leider auch nichts mehr verändern, nie mehr, der Engpass in der Talsohle bleibt. Das ist doch Harakiri, technisch gesehen.

Ich würde doch auch nicht mehr mit einem Computer von 1995 zu arbeiten, das macht kein Mensch. Wenn sie sich die neue Technik bei der Bahn anschauen, die neue Signaltechnik, die Wendetechnik, das geht ja alles viel schneller auch im Kopfbahnhof. Aber die neuen Möglichkeiten wurden gar nicht mehr angeschaut. Es ist offensichtlich eine politische Entscheidung, eine rein politische. Es ist von der technischen Entwicklung her Unsinn, das sagen auch viele Ingenieure. Es ist von der Planungsebene her Unsinn.

Epoch Times: Ist das nun Schuld der Architekten und Ingenieure?

Sittler: Es sind die Politiker, die haben eben auch eine Vision mit dem quergelegten Bahnhof, der sie folgen wollen. Aber dann muss man auch die Fakten auf den Tisch legen. Wenn man bedenkt, was die Architekten als Vorgaben für den neuen Bahnhof bekamen, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Es hieß, dass der Bahnhof um 90 Grad gedreht und tiefer gelegt werden sollte. Sie konnten also überhaupt nicht in Variationen denken, es sollte nur eine geben. Und es ist schon sehr viel Geld ausgegeben worden. Die Stadt hat das Gelände von der Bahn gekauft. Die Bahn verdient sogar, wenn Stuttgart 21 gebaut wird. Das ist ein dreistelliger Millionenbetrag und das sind alles Steuergelder.

Epoch Times: Ist die Situation mehr parteipolitisch beeinflusst oder faktenorientiert?

Sittler: Wir sind da wirklich faktenorientiert. Man kann den Grünen auch nicht vorwerfen, dass sie sich da reinhängen, sie waren immer gegen das Projekt, nicht gegen die Schiene, aber gegen dieses Projekt. Die Menschen werden sich immer häufiger an Projekten und richtigen oder falschen Entscheidungen orientieren, egal, wer sie gefällt hat. Die Parteien verlieren zunehmend an Einfluss – aus meiner Sicht.

Epoch Times: Wie organisieren sie sich?

Sittler: Es ist ein kreatives Chaos, aber es gibt auch ein sogenanntes Aktionsbündnis K21, in dem sich viele Gruppierungen und viele Einzelne zusammenfinden. Ideen werden ausgetauscht und die Demos werden organisiert von dem Aktionsbündnis. Wenn die Menschen wirklich überzeugt sind und inhaltlich dahinterstehen, dann geht eine Kreativität los, die ist atemberaubend.

Epoch Times: Der Winter kommt, gehen Sie bald wieder zur Tagesordnung über?

Sittler: Nein, es gibt keinen Kompromiss in diesem Fall. Man baut es oder man baut es nicht. Und wenn die Landesregierung ihre Abrissarbeiten verstärkt und demnächst auch die Bäume fällen lässt, dann hat sie ein großes Problem, das wird ein emotionales Problem. Die Bäume sind zum Teil 200 Jahre alt und noch älter, die sind vom König dem Volk geschenkt worden. Das sind 280 Bäume, die brauchten über 100 Jahre, um so zu wachsen. Nicht mal in der Nachkriegszeit haben die Stuttgarter diese Bäume als Brennholz gefällt, da gab es eine Übereinkunft.

Epoch Times: Jetzt sind neue Kommunikationsberater für S 21 im Gespräch, was halten Sie davon?

Sittler: Ich halte es nicht für sinnvoll, dass nun mangelnder Inhalt durch Geschaume schön gemacht werden soll. Das funktioniert nicht, die Leute wollen das auch nicht.

Epoch Times: Gibt es noch Möglichkeiten zum Zusammensetzen?

Sittler: Ja, wenn die politisch Verantwortlichen es wirklich wollten, sie wollen es aber nicht, den Volksentscheid wollen sie auch nicht, eine Bürgerbefragung wollen sie auch nicht, sondern sie sagen, das ist alles demokratisch legitimiert, wir ziehen das jetzt durch.

Die Aussage von Frau Merkel im Bundestag empfinde ich als höchste Form von Zynismus, die mir in den letzten Jahren begegnet ist. Sie sagte, die Landtagswahl im März wird entscheiden, was geschehen soll. Na toll, dann ist Dreiviertel von dem schon zerstört, worüber wir jetzt reden. Und sie kriegt Applaus dafür von ihren eigenen Leuten, wo haben die ihren Verstand gelassen?

Es sieht so gut aus auf den Bildern, aber wenn man das Türchen in dieses Potemkinsche Dorf aufgemacht hat, dann denkt man: „Oh, mein Gott!“

Epoch Times: Herr Sittler, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Renate Lilge-Stodieck

 

 



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