Grenznahes belgisches Akw Tihange deutlich gefährlicher als bekannt

Die bedrohlichen Zwischenfälle häufen sich: Das grenznahe belgische Atomkraftwerk Tihange ist einem Bericht zufolge wesentlich gefährlicher als bislang bekannt.
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In den Jahren 2013 bis 2015 gab es insgesamt acht «Precursor»-Fälle in Tihange-1.Foto: Oliver Berg/dpa
Epoch Times1. Februar 2018

Das grenznahe belgische Atomkraftwerk Tihange ist einem Bericht zufolge wesentlich gefährlicher als bislang bekannt. Im Reaktor Tihange-1 hätten sich zwischen 2013 und 2015 potenziell bedrohliche Zwischenfälle gehäuft, berichteten der WDR und das ARD-Magazin „Monitor“ am Donnerstag unter Berufung auf ein Schreiben der belgischen Atomaufsicht (FANC). Das Bundesumweltministerium erklärte, es könne Belgien nicht zur Abschaltung zwingen.

Zwischen 2013 und 2015 habe es acht sogenannte Precursor-Fälle in Tihange-1 gegeben, also mehr als die Hälfte aller derartigen Vorfälle in ganz Belgien, hieß es vorab aus dem „Monitor“-Bericht, der am Donnerstagabend ausgestrahlt werden sollte. Demnach können die Zwischenfälle unter bestimmten Voraussetzungen zu schweren Schäden am Reaktorkern bis hin zur Kernschmelze führen.

Das deutsche Umweltministerium erklärte als Reaktion auf die Berichte, über die Ereignisse informiert worden zu sein. Es wünsche sich zwar, dass „auch in unseren Nachbarstaaten alte Anlagen vom Netz genommen werden“; die Bundesregierung habe jedoch „keine Hebel“, die andere Länder zur Abschaltung von Anlagen wie Tihange-1 zwingen könnten. Der Reaktor nahm 1975 den Betrieb auf, das Akw liegt rund 70 Kilometer von Aachen entfernt.

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) habe Belgien bereits 2016 dazu aufgefordert, Akws vom Netz zu nehmen. Klagen zwischen EU-Mitgliedsstaaten auf nationalstaatlicher Ebene würden aber nicht weiterführen, teilte das Ministerium weiter mit. Aufgrund der Anzahl der Precursor-Ereignisse könne man außerdem nicht auf die Sicherheit einer Anlage schließen.

Risse in den Reaktordruckbehältern

Der ehemalige Chef der deutschen Atomaufsicht im Bundesumweltministerium, Dieter Majer, sagte dem WDR hingegen, bei den Betreibern in Belgien und dem Bundesumweltministerium müssten eigentlich „die Alarmglocken angehen“.

Auch die belgischen Reaktoren Tihange-2 und Doel-3 sind bereits seit längerem umstritten, weil Risse in Reaktordruckbehältern gefunden wurden. Das Öko-Institut übte gegenüber dem SWR Kritik an den Sicherheitsstandards des Kraftwerks. Wegen einer geringen Zahl von Dieselnotstromaggregaten sei etwa eine Absicherung gegen Stromausfall im Precursor-Fall schlechter.

Die Anlagen an dem Standort würden zu einer Baureihe gehören, die heute nicht mehr genehmigungsfähig wären, sagte Instituts-Geschäftsführer Michael Sailer. Er führte das Problem auch auf belgische Strukturen zurück – dort gebe es einen „sehr mächtigen“ Betreiber, sagte Sailer.

Es habe schon Konflikte zwischen der belgischen Regierung und den Experten der Atomaufsichtsbehörde gegeben: Geforderte Nachrüstungen seien nicht so gelaufen, wie sie hätten laufen müssen, gab der Geschäftsführer an. Außerdem priorisiere der Staat die Stromversorgung, wodurch die Sicherheit „ein Stück nach hinten rückt“, kritisierte Sailer.

Rebecca Harms, atompolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, bemängelte ebenfalls: „Schon lange steht auch der Altreaktor Tihange 1 in der Kritik. Die belgischen Behörden dürfen sich nicht weiter blind stellen.“ Aber auch die Bundesregierung müsse dem eine größere Dringlichkeit geben. „Es ist offenkundig, dass die bisherigen Regelungen den großen Risiken für die Menschen im Grenzgebiet nicht gerecht werden“, kritisierte Harms am Donnerstag in Brüssel. (afp)

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