Türkei Beitritt

Von 23. Dezember 2004

Am 17. Dezember haben die 25 Staats- und Regierungschef der EU beschlossen, ab Oktober 2005 mit der Türkei über die Vollmitgliedschaft zu verhandeln. Der Weg zu dieser Entscheidung war lange und mühsam. Alle Zeichen stehen dafür, dass sich diese Mühsal in der Zukunft sogar noch verstärken wird.

Bereits1963 hat die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Vorläuferin der heutigen EU, der Türkei ernsthafte Hoffnungen auf eine Vollmitgliedschaft gestellt. Und dass die Türkei es ernst meint, Vollmitglied der EU werden zu wollen, ist mit einem nur flüchtigen Blick auf die Arbeiten des türkischen Parlaments und der türkischen Regierung zu erkennen. Im April 1987 beantragte die Türkei offiziell die Aufnahme zur damaligen Europäischen Gemeinschaft. Neun Jahre später tritt eine Zollunion zwischen der nun neu gegründeten EU und der Türkei in Kraft, was die Modernisierung der türkischen Unternehmen zur Folge hat. Weitere drei Jahre später 1999, bekommt die Türkei bei dem Gipfeltreffen der europäischen Staatschefs in Helsinki den Status des Beitrittskandidaten verliehen. Um den Weg in die EU geschmeidiger zu gestalten, verabschiedet das türkische Parlament 2002 ein umfassendes Reformpaket in welchem unter anderem auch die Todesstrafe abgeschafft wird. Im Dezember des gleichen Jahres erhält Ankara dann die konkrete Beitrittperspektive: Ende 2004 soll über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen entschieden werden.

Aufgrund eines Reform-Berichtes über die Türkei wurde jetzt entschieden, dass weitere Beitrittsverhandlungen geführt werden. Dass diese Entscheidung zugunsten der Türkei ausfiel, dafür sollen umfassende Umsetzungsarbeiten in der türkischen Rechtslandschaft gesorgt haben.

Europa uneins

Dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden sollen, zeichnete sich bereits im Vorfeld ab. Weitgehend offen bleibt allerdings alles Weitere. Dies liegt daran, dass sich kaum ein europäisches Land finden wird, in dem eine einheitliche Meinung über die Türkei Frage besteht. Obgleich am Mittwoch, den 14. Dezember, das europäische Parlament mit einem klarem „Ja“ alle Einwände gegen einen Beitritt der Türkei abgelehnt hat, ist dies keine Widerspiegelung der gesamteuropäischen Stimmungslage über diese heikle Frage.

Wenn in Deutschland die Regierung einstimmig auf eine Vollmitgliedschaft der Türkei hinarbeitet, spricht die oppositionelle CDU/CSU Fraktion von katastrophalen Auswirkungen auf die europäische Einheit im Falle der türkischen Vollmitgliedschaft. Merkel favorisiere viel mehr eine sogenannte privilegierte Partnerschaft zwischen EU und Türkei. Diese Ansicht teilt auch ihr konservativer Ideologiepartner Wolfgang Schüssel, der österreichische Bundeskanzler. Bei Joschka Fischer trifft der Vorschlag dagegen auf schroffe Abneigung. Seiner Ansicht nach befindet sich die Türkei wegen der derzeitigen Zollunion bereits in einer privilegierten Partnerschaft zur europäischen Union. Wolfgang Schüssel wurde von der europäischen Volkspartei zum Türkei- Koordinator bestellt, weil er in Europa als hartnäckiger und diplomatischer Verhandler bekannt ist. Er soll die EU-Forderungen, wie etwa permanente Schutzklauseln für den Arbeitsmarkt, durchsetzen.

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac änderte des Öfteren seinen Standpunkt mit Verweis darauf, wie weit der türkische Beitritt entfernt sei und dass das französische Volk die letztendliche Entscheidung mittels Volksabstimmung hätte. Am Tag der Abstimmung votierte er für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, was ihm in Paris herbe Kritik einbrachte. Man sprach sogar von monarchischem Führungsstil. Ebenfalls Befürworter des Türkei Beitritts waren in Brüssel Silvio Berlusconi und Tony Blair, der ganz auf Amerikas Seite zu den stärksten Befürwortern der Türkei zählt.

Zusammengefasst ging es in Brüssel in der ersten Runde darum, Kompromisse für die größten Konflikte zu finden. So wurde vonseiten EU „Null Toleranz gegen Folter“ eingefordert und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erkannte sogar, zumindest indirekt, die griechischen Republik Zypern an. Insgesamt, so meinen viele Beobachter, hat sich Erdogan mit seiner Beharrlichkeit und seinem diplomatischem Geschick sehr gut verkauft und viele von den Konservativen geforderten angestrebte Bedingungen konnten nicht umgesetzt werden.

Menschenrechtsproblematik

Um der wohl eindringlichsten Forderung Europas entgegen zu kommen betrieb die Türkei in den letzten Jahren intensive Rechtshygiene. Neben der Abschaffung der Todesstrafe hob das türkische Parlament den umstrittenen Eheparagraphen auf. Natürlich sind die Reformbemühungen der Türkei anerkennenswert, doch kommen in ländlichen Gebieten in der Türkei immer noch Zwangsheirat und Vielweiberei vor. Ob die Versprechen Ankaras, sämtliche Folterpraktiken in den türkischen Gefängnissen abzuschaffen, verwirklicht werden können, bleibt abzuwarten.

Auch wenn Erdogan kürzlich im Blitzlicht der Presse einen „Garten der Religionen“ an der türkischen Riviera eröffnete, ist dies wenig überzeugend, wenn in der übrigen Türkei die christlichen Kirchen nach wie vor keinen öffentlich rechtlichen Status genießen, keine Gebäude besitzen dürfen und keine Geistlichen ausbilden dürfen. Deshalb vernahm man von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), dass sich die Türkei eigentlich von Europa wegbewegt.

Vollmitgliedschaft ist Prinzipsache

Fragt man den Durchschnittstürken auf der Straße, ob er zur EU wolle, wird dieser mit großer Wahrscheinlichkeit darauf mit „Ja“ antworten. Diese feste Einstellung haben sich die Türken vor allem deshalb angeeignet, weil ihnen schon seit 40 Jahren der Vollbeitritt in Aussicht gestellt wird. Auch für die türkischen Politiker ist eine andere Option als die Vollmitgliedschaft undenkbar, auch wenn damit die akribisch genaue und umfangreiche Aufgabe verbunden ist, das 83,000 Seiten starke Gesetzeswerk, das so genannte aquis communitaire, in die nationale Rechtsordnung zu übernehmen. Selbst wenn ihnen eine „privilegierte Partnerschaft“, wie viele vor allem konservative europäische Regierungen vorschlagen, angeboten wird, wehrt die türkische Regierung diesen Vorschlag uni sono mit Entschiedenheit ab, selbst wenn diese inhaltlich gleichwertig mit der Vollmitgliedschaft wäre. Der türkische Außenminister Abdullah Gül meinte hierzu: „Mit der Zollunion und unserer Mitwirkung bei der Sicherheitspolitik der EU haben wir bereits einen speziellen Status. Daher ist es unmoralisch, uns die privilegierte Partnerschaft als Zukunftsmodell anzubieten.“

Pro und Contra

Abgesehen davon, ob die Türkei bereits jetzt alle Auflagen der EU erfüllt oder nicht, sind mit ihrer Aufnahme in die Gemeinschaft einfach sehr viele grundsätzliche Entscheidungen von prinzipieller Wichtigkeit verbunden. Die einen sehen mit der Aufnahme der Türkei eine Brückenfunktion zwischen dem Westen und der islamischen Welt erfüllt. Andere wieder sehen genau darin die Entstehung bzw. den Ausbau einer einheitlichen Identität gefährdet. Denn trotz Laizismus sind nach wie vor 99% der Türken Islamiten, die im Gegensatz zu vielen christlichen Europäern ihren Glauben äußerst ernsthaft betreiben. Genau dadurch entstehe eine tiefe Kluft innerhalb der EU, die sich kontraproduktiv für die Einheit auswirke, wie Gegner der Aufnahme meinen. Für dieses Argument spreche auch die türkische Rolle der Frau, die ebenfalls noch keineswegs mit europäischen Verhältnissen verglichen werden könne, selbst wenn es hier noch gewisse Regionale Unterschiede gibt. Bestimmt sind skandinavische Frauen emanzipierter als sizilianische, aber die in der Türkei vorkommenden erzwungene Ehen, die Ehrenmorde sowie die Tatsache, dass bislang lediglich ¼ der türkischen Frauen berufstätig sind, ist vielen EU Bürgern befremdlich.

Natürlich würde die Aufnahme der Türkei als ein Signal des Westen für Annäherung an die islamische Welt gedeutet werden, ebenso ist aber die Auffassung möglich, dass dadurch auch die Gefahr als unmittelbar Beteiligter in Konflikte hineingezogen zu werden vergrößert werde– die Türkei hat mit dem Iran eine gemeinsame Außengrenze.



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