ARD-Sendung „Terror – Ihr Urteil“: Kampfjetpilot Mörder oder Held? 87 Prozent sprechen ihn frei

In der ARD-Sendung „Terror – Ihr Urteil“ wurden Deutschlands Fernsehzuschauer gestern gefragt, ob ein Kampfpilot freigesprochen werden sollte, der durch den eigenmächtigen Abschuss eines Passagierjets 164 Menschen tötet, um einen Terroranschlag auf ein vollbesetztes Fußballstadion zu verhindern. 87 Prozent der Zuschauer stimmten mit „Ja“ – und damit gegen das Grundgesetz, wie Ex-Innenminister Baum daraufhin bei Plasberg feststellte.
Titelbild
Deutschlands Fernsehpublikum sprach gestern einen fiktiven Bundeswehrmajor frei, der ein Passagierflugzeug abschoss, um einen Terroranschlag zu verhindern.Foto: Screenhot ARD
Von 18. Oktober 2016

Darf man 164 Menschen töten, um 70.000 zu retten? Diese Frage beantworteten Deutschlands Fernsehzuschauer gestern mit einem überwältigendem „Ja“ – Anlass war die ARD-Sendung „Terror – Ihr Urteil“: Ein fiktiver Bundeswehrpilot schießt ein von Terroristen entführtes Passagierflugzeug ab, um zu verhindern, dass es auf ein vollbesetztes Fußballstadion stürzt. Dies war die Geschichte, die zunächst in einem Film gezeigt wurde und dann fiktiv vor der großen Strafkammer des Schwurgerichts Berlin verhandelt wurde. Wichtiges Detail der Geschichte: Der Pilot handelte gegen ausdrücklichen Befehl.

Die Zuschauer wurden zu Schöffen und wurden am Ende der Sendung gebeten, das Urteil über Lars Koch zu fällen. Ist er des Mordes an den Flugzeuginsassen schuldig oder nicht schuldig? Held oder Mörder? In der Sendung waren auch Statements von Zuschauern gezeigt worden, die erklärten, wie und warum sie beim Ansehen des Films ihre Meinung bis zu dreimal änderten. „Die Ebenen zwischen Fiktion und Realität verschwammen“, so „Spiegel Online“. Die ARD habe „fast einen Staatsakt aus dem ‚TV-Event‘ gemacht“.

„Übergesetzlicher Notstand“

Deutschlands Fernsehpublikum plädierte am Ende mit 86,9 Prozent für nicht schuldig. 13,1 Prozent stimmten mit schuldig. Laut “Spiegel Online“ gab es bei der Abstimmung jedoch technische Probleme und mancher konnte sein Urteil gar nicht loswerden: Das Onlinetool habe nicht funktioniert und die Telefone seien dauerbesetzt gewesen, beanstandeten viele Nutzer.

Das Publikums-Urteil wurde laut „Berliner Kurier“ dann rechtlich wie folgt begründet: „Unser Gesetz entschuldigt einen Täter, der einen Schaden von einem anderen abwendet. (…) In Frage kommt hier der sogenannte übergesetzliche Notstand.“ (Auch für den Fall einer Verurteilung hatte die ARD ein Video vorbereitet, dessen Argumentation man HIER ansehen kann.)

Durch Paris-Terror änderte sich die Stimmung

Der Film war die Fernsehversion eines Theaterstücks von Ferdinand von Schirach. Auch in Theateraufführungen wurde das Publikum gebeten, ein Urteil über den Piloten zu fällen. Laut „T-Online“ plädierten in Theatern nur rund 60 Prozent der Zuschauer für Freispruch, vor den Anschlägen von Paris im vergangenen November waren es sogar noch weniger.

Das gleiche TV-Experiment wurde auch in Österreich und der Schweiz gemacht. Dort urteilten 86 Prozent bzw. 84 Prozent für Freispruch.

Diskussion bei Plasberg

Anschließend wurde das Ergebnis in der ARD-Sendung „hart aber fair“ bei Frank Plasberg diskutiert. Die Gesprächsteilnehmer waren Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU), Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP), der ehemalige Kampfflieger Thomas Wassmann und die Theologin Petra Bahr. Die designierte Bischöfin von Hannover war laut „Spiegel Online“ die einzige, die wiederholt darauf hinwies, das „nur über das Ende eines Films“ abgestimmt wurde, jedoch nicht über die Verfassung. Das sei eine wichtige Unterscheidung, „sonst sind wir schnell bei Volksjustiz“.

Die Diskussion war emotional. Die Teilnehmer waren erstaunt zu hören, dass neben Autor von Schirach auch der Filmregisseur Lars Kraume auf „schuldig“ plädieren würden. Der Angeklagte werde als „Held“ dargestellt, meinte Theologin Bahr.

Mehrheit stimmte „gegen das Grundgesetz“

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2006 entschieden, dass man in einem solchen Fall kein Flugzeug abschießen dürfe: Ein Abschuss mache die Menschen in der Maschine „zum Objekt nicht nur der Täter“, zitierte „T-Online“.

Ex-Innenminister Baum war einer der Kläger, die diese Entscheidung von 2006 erstritten hatten. Er verteidigte bei Plasberg deshalb leidenschaftlich die Verfassung und sagte: „Er bleibt ein Täter.“ Und: „Es ist wichtig, dass der Staat da eine Grenze zieht.“

Ex-Verteidigungsminister Jung berief sich auf „übergesetzlichen Notstand“ und die Argumentation: Die Menschen im Stadion haben auch ein Lebensrecht.

Baum hielt dagegen, dass man nicht wissen könne, ob es nicht vielleicht in letzter Sekunde den Passagieren gelingt, die Terroristen zu überwältigen. Menschenleben dürfe man nicht gegeneinander abwägen. Die Mehrheit der Zuschauer habe „gegen das Grundgesetz gestimmt“, sagte er laut „T-Online“.

Ex-Pilot würde schießen

Ex-Pilot Wassmann meinte, das Verfassungsgericht lasse „die Piloten im Stich“. Er selbst würde in einem solchen Fall schießen. Allerdings rät sein „Verband der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Bundeswehr“, den Mitgliedern, einen Abschuss-Befehl nicht auszuführen.

„Es ist eine Versuchsanordnung“, hatte Autor Ferdinand von Schirach im Vorfeld gesagt, der eine Abstimmung über einen tatsächlichen Fall „totaler Quatsch und irre gefährlich“ fände.

„Nächste Phase auf dem Weg zur Diktatur wurde erprobt“

Sehr kritisch über den gesamten TV-Abend äußerte sich ein Leser des Blogs „Macht steuert Wissen“, dessen Zuschrift Autor Heiko Schrang veröffentlichte: Man wollte in Wahrheit testen, „ob das Terror Management der letzte Jahre erfolgreich genug war, um nun ohne Widerspruch des Volkes einem solchen Gerichtsurteil eine gesetzliche Grundlage zu geben“, so seine These. „Wenn das veröffentlichte Ergebnis keine Lüge war, ist die dumme Masse nun bereit zu akzeptieren, dass man ihr Leben und sogar das ihrer geliebten Kinder gegenüber dem Kampf gegen den Terrorismus auf die Waagschale wirft.“ Der Satz: „Es dient dem Kampf gegen den Terrorismus!“ könnte in Zukunft „der Obrigkeit die Legitimation geben, uns jede Würde und jede Freiheit zu nehmen“, so der Leser.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion