Chinas Gewissen

Titelbild
Mitglieder einer „Gruppe für die Belange von Rechtsanwälten“ demonstrierten am 4. Februar 2010 vor dem China Liaison Büro in Hongkong für die Freilassung des Pekinger Menschenrechtsanwalts Gao Zhisheng.Foto: Mike Cklarke/AFP/Getty Images

Chinas in aller Welt berühmtester Anwalt Gao Zhisheng wurde dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert (2007, 2008 und 2010). Sein Wirken im Angesicht und trotz großer Gefahr für seine eigene Person hat ihm den Beinamen „Chinas Gewissen“ gebracht. Nachdem er kurzfristig frei gelassen worden war, verschwand er erneut in der letzten Woche am 30. April. Wir alle in der demokratischen Welt sollten Druck auf den Parteistaat ausüben, damit man erfährt, wo sich Chinas bekanntester Rechtsanwalt jetzt befindet.

Furchtlos hat er die Schutzlosesten vertreten – behinderte Kinder, entlassene Arbeiter und zum Tode verurteilte Gefängnisinsassen. Er hat auch Bergarbeiter, Mitglieder der Hauskirchen, Petitionssuchende und Opfer von Zwangsräumungen vertreten. Er kümmert sich intensiv um das einfache chinesische Volk und ist entrüstet über die zahllosen Ungerechtigkeiten des (chinesischen) Rechtssystems.

Drei seiner Klienten waren Yang Maodong, Zheng Yichun und Pastor Cai Zhuohua. Yang wurde verhaftet, weil er Dorfbewohnern in Südchina rechtlichen Beistand geleistet hat. Sie hatten versucht, einen führenden Dorfbewohner wegen Korruption aus dem Amt zu entfernen. Zheng, ein ehemaliger Professor und Journalist, wurde wegen seiner Online-Veröffentlichungen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Cai kam für drei Jahre ins Gefängnis, weil er Kopien der Bibel druckte.

Gao wurde in einer Höhle, in der seine Familie wohnte, in Nordchina geboren. Seine Eltern konnten es sich nicht leisten, ihn zur Schule zu schicken. Darum hörte er draußen vor dem Fenster des Klassenzimmers zu, um eine Grundausbildung zu bekommen. Er wurde zuerst Wanderarbeiter, ging dann mit 15 Jahren unter Tage in den Bergbau und schließlich in die Armee, PLA, wo er seine zukünftige Frau (Geng He) kennen lernte. Er erhielt dort eine weiterführende Bildung und wurde Mitglied der KPCh.

Nach seiner Entlassung wurde Gao Straßenverkäufer, studierte aber gleichzeitig Jura, um Rechtsanwalt zu werden. Er gehörte zu dem einen Prozent der Autodidakten, die die Anwaltsprüfung im Jahre 1994 bestanden. Im Jahre 2001 ernannte ihn Chinas Justizminister in einem nationalen Fernsehwettbewerb zu einem der „zehn besten Anwälte Chinas“.

Es war schon schlimm genug für die Parteibosse, dass er die Bauern vertrat, die ihr Land für nur sehr wenig oder ganz ohne Entschädigung verloren hatten. Als er aber auch die Falun Gong-Anhänger vertrat, deren Mandat den Rechtsanwälten verboten worden war, wurde sein Handeln für sie inakzeptabel.

Falun Gong

Falun Gong ist eine spirituelle Bewegung mit Qi Gong-Übungen und Meditationen. Diese Bewegung wurde anfangs seit 1992 vom Parteistaat unterstützt, weil die Praktizierenden ihre Gesundheit verbesserten. Ihre Lehren fanden in allen Schichten des Volkes Zustimmung. Auch viele Parteimitglieder gehörten zu den Praktizierenden. Die Bewegung breitete sich so schnell aus, dass die Regierung die Anzahl der Praktizierenden in China auf 70 – 100 Millionen schätzte. Der damalige Präsident Jiang Zemin fürchtete die Popularität und die Prinzipien der Bewegung, vor allem ihre wichtigsten Prinzipien der Wahrhaftigkeit, des Mitgefühls und der Toleranz. Darum erließ er Mitte 1999 ein Verbot Falun Gong und begann mit einer gnadenlosen Verfolgung, die bis heute andauert.

Die Co-Autoren von „Blutige Ernte“, David Matas und ich, kamen bei unseren unabhängigen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Falun Gong-Praktizierende wegen ihrer Organe getötet wurden.

„Wir haben die Schlussfolgerung gezogen, dass die Regierung Chinas und ihre Behörden in zahlreichen Landesteilen, vor allem in Krankenhäusern aber auch Zwangsarbeitslagern und Volksgerichten seit dem Jahre 1999 eine große aber unbekannte Anzahl von Falun Gong-Anhängern, die wegen ihres Glaubens inhaftiert waren, getötet haben. Ihre Organe, wie Nieren, Leber, Hornhaut und Herzen wurden ohne Einwilligung entnommen und zu einem hohen Preis verkauft, besonders an Ausländer, die normalerweise lange Wartezeiten für freiwillige Organspenden in ihrem Heimatland haben. Unsere Schlussfolgerung beruht nicht auf einem Einzelbeweis, sondern auf der Zusammenführung aller Beweise, die wir zusammengetragen haben.

Anwaltsbüro geschlossen

Seit Beginn des Jahres 2005 wurden Gao und seine Familie schikaniert und seine Anwaltspraxis geschlossen. Nachdem Gao einen Offenen Brief an den Präsidenten Hu Jintao und den Premierminister Wen Jiabao geschrieben hatte, entzog man ihm die Rechtsanwaltslizenz. In den Briefen forderte Gao die Einstellung der Verfolgung der Falun Gong durch die Regierung und beschrieb detailliert eine große Anzahl von Missbräuchen, denen die Anhänger in der Haft ausgesetzt waren. Dazu gehörten Folter, Sexualverbrechen, Schläge und Exekutionen.

In einer für ihn typischen Reaktion verkündete Gao im Dezember 2005 öffentlich seinen Austritt aus der kommunistischen Partei und erklärte danach in der Öffentlichkeit, dass er Christ sei.

Gao, Geng He und ihre beiden Kinder wurden im Herbst 2005 rund um die Uhr unter polizeilichen Hausarrest gestellt. Sie befanden sich unter ständiger Begleitung und wurden unaufhörlich eingeschüchtert. Selbst die damals dreizehnjährige Tochter wurde von der Polizei geschlagen. Mitte Januar 2006 berichtete Amnesty International, dass Gao nur knapp einem Mordanschlag entkommen war, der wie ein Verkehrsunfall aussehen sollte und wahrscheinlich von der chinesischen Geheimpolizei organisiert worden war.

Am 4. Februar 2006 begannen Gao, Hu Jia und andere Aktivisten einen „Hungerstreik für die Menschenrechte“, in dem Aktivisten und Bürger abwechselnd 24 Stunden fasteten. Menschen in 29 Provinzen Chinas schlossen sich dem Hungerstreik an. Wegen ihrer Teilnahme wurden viele in China verhaftet.

Entführung durch Beamte

Nach zahlreichen Drohungen und andauernder Belästigung verhaftete die chinesische Geheimpolizei Gao am 15. August 2006. Am 22. Dezember 2006 wurde er der „Subversion“ für schuldig befunden und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil wurde ausgesetzt und in eine Bewährungsstrafe von fünf Jahren umgewandelt. Obwohl die Gefängnisstrafe aufgehoben war, wurde er unter Hausarrest und ständige Beobachtung gestellt.

Im September 2007 wurde Gao erneut entführt. Er schrieb einen Offenen Brief an den Kongress der Vereinigten Staaten, in dem er seine Besorgnis über die Verschlechterung der Menschenrechte in China, die den Olympischen Spielen von 2008 vorausging, Ausdruck verlieh. Nach der Veröffentlichung des Briefes wurde er gefoltert. Im November 2007 wurde er nach Hause entlassen und gab später eine Erklärung ab, in der er die Folterungen beschrieb, die er in der Haft erlitten hatte. Detailliert beschrieb er schwere Schläge, wiederholte Elektroschocks an seinen Genitalien und brennende Zigaretten, die dicht an seine Augen gehalten wurden. Die Schmerzen und die Demütigungen waren so entsetzlich, dass er an Selbstmord dachte. Er schrieb auch, dass seine Kidnapper ihm gedroht hatten, ihn umzubringen, wenn er öffentlich über dieses Angelegenheit berichtete.

Gaos Eintreten für die Belange der Falun Gong-Gemeinschaft verdeutlicht seine Bereitwilligkeit, jeder Person oder Gruppe, die unfair behandelt wird, ohne Furcht zu helfen. Unberührt von der Staatspropaganda und der anhaltenden Verunglimpfung von Falun Gong-Anhängern, bestand Gao darauf, dass sie das Recht hatten, ihren Glauben zu praktizieren, dass sie nicht gefoltert werden durften, vor dem Gesetz gleich waren und entsprechend behandelt werden mussten.

Dass Gao all‘ dieses getan hat, ohne sich um seine eigene Sicherheit zu kümmern, ist ein Beweis für sein grenzenloses Engagement für menschliche Würde, Gerechtigkeit und demokratisches Verhalten.

Am 4. Februar 2009 nahmen ihn die Sicherheitsbeamten erneut fest und er blieb mehr als ein Jahr verschwunden. Seine Frau und seine Kinder, die die unaufhörlichen Schikanen nicht mehr ertragen konnten, flohen im Januar 2009 heimlich aus China und erhielten Asyl in der Vereinigten Staaten.

Anfang April 2010 tauchte Gao plötzlich wieder auf und konnte kurz Kontakt zu den Medien aufnehmen. Aber er konnte sich nicht frei äußern. Seine Situation ist weiterhin sehr besorgniserregend. Das Regime kontrolliert strengstens alle Aspekte seines Lebens. Viele, die seinen früheren Bericht über seine Folter in der Haft, die ihn an Selbstmord denken ließ, betrachten, sind der Überzeugung, dass er im vergangenen Jahr einem ähnlichen Schicksal ausgesetzt war. Seine Frau und andere Beobachter erkennen auf einem Foto in seinem Gesicht und in seinen Augen, dass er wieder gefoltert wurde.

Wieder verschwunden

Am 30. April berichtete die „New York Times“, dass Gao wieder verschwunden ist. Nachdem er eine Woche in Urumqi verbracht hatte, kam er nicht in seine Wohnung in Peking zurück. Er hatte Urumqi, die Hauptstadt der Region Xinjiang in Westchina besucht, um seinen Schwiegervater zu treffen. Vor seinem Abflug von Urumqi am 20. April telefonierte Gao mit seinem Schwiegervater und sagte ihm, er werde ihn nach seiner Ankunft in Peking anrufen. Li Heping, ein Menschenrechtsanwalt in Peking und Gaos Freund, erklärte, er sei zu wiederholten Malen zu Gaos Wohnung gegangen – jedes Mal jedoch vergeblich. „Auf der Türklinke lag dicker Staub“, sagte Li, der zuletzt am 29. April bei Gaos Wohnung war. „Eine ganze Zeit lang ist niemand dort gewesen. Ich weiß nicht, wen ich anrufen soll und auch nicht, wer ihn mitgenommen hat.“

Aller Wahrscheinlichkeit nach hat die Regierung Gao wieder verhaftet und die kurzzeitige Entlassung war nur erfolgt, um den weltweiten Spekulationen, dass Gao während der Haft getötet worden sei, ein Ende zu setzen.

Trotz der Appelle der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und der Vereinten Nationen blieb Gao ab dem 4. Februar 2009 verschwunden. Beamte hatten ihn entführt und erst im letzten Monat tauchte er plötzlich in einem buddhistischen Kloster in Nordchina wieder auf. In einem Telefoninterview mit der „The New York Times“ erklärte er, dass er seine Arbeit als Menschenrechtsverteidiger aufgegeben habe und nur noch daran denke, „Frieden zu finden und ein ruhiges Leben zu führen.“ Er lehnte es ab, Auskunft darüber zu geben, ob er während seiner Gefangenschaft unter Misshandlungen gelitten habe. Am 7. April fand ein Interview mit „The Associated Press“ statt und er sagte nur: „Ich habe nicht mehr die Kraft, noch länger durchzuhalten.“

Die „South China Morning Post“ mit Sitz in Hongkong, die über Gaos letztes Verschwinden am 30. April berichtet hatte, führte in einem Artikel an, dass „Gao“ am 6. April während eines Interviews in seiner Wohnung in Peking „ganz offen gesprochen habe“, obwohl er sicher sein konnte, dass die Unterhaltung von Sicherheitsagenten aufgezeichnet wurde. Aus dem Artikel war auch ersichtlich, dass Gao darum gebeten hatte, Details über seine Behandlung durch die Behörden während seiner Gefangenschaft nicht zu veröffentlichen. „Wenn das berichtet wird“, so sagte er „werde ich wieder verschwinden.“

Wir müssen alle und überall das Äußerste tun, um das Leben von Chinas prominentestem Anwalt zu retten. Er ist zum Symbol der Bewegung für die Würde des Menschen und für die Herrschaft des Rechts in China geworden. Wir müssen diese Rechtssache, der er sein Leben gewidmet hat, weiter unterstützen.

Schlussgedanken

Seit Jahren haben mein Respekt und mein Gefühl für das chinesische Volk meine Kritik an seiner Regierung gedämpft. Meine Kritik hätte intensiver sein müssen, als ich erklärte, wenigstens sei sie nicht so wie das Regime unter Mao Tse Tung, das allein bei seinem unmenschlichen „Sprung nach Vorn“ (1958 – 1961) den Hungertod von schätzungsweise 35 Millionen Bürgern verursacht hat. Als die Fürsprecher für den Parteistaat darauf bestanden, dass die wirtschaftliche Situation einer wachsenden Anzahl der Bevölkerung besser geworden sei, war ich, wie viele andere, nur allzu gewillt, über vieles hinwegzusehen – über die ungeheuer schlechte Regierungsführung, über die anhaltende Gewalt durch Beamte, über die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft, über das vollständige Fehlen einer Rechtsstaatlichkeit und über eine weit verbreitete Vetternwirtschaft und Korruption.

Das chinesische Volk will die gleichen Dinge wie wir. Der Lebensstandard an Chinas Ostküste hat sich verbessert, aber der größte Teil der Bevölkerung wird immer noch vom Parteistaat und heimischen Industrieunternehmen ausgebeutet. Diese sind in Besitz oder stehen unter Kontrakt mit multinationalen Konzernen, die in ganz China so operieren wie es die Räuberbarone der Industrie im 19. Jahrhundert gemacht haben. Dieses erklärt teilweise, warum die Preise der Produkte „made in China“ so niedrig sind – diese externen Effekte werden von Arbeitern, ihren Familien und der Umwelt getragen.

In Protesten und auf andere Art und Weise haben die Menschen in ganz China deutlich gemacht:

„Genug ist genug!“ Überall müssen ihre Freunde die Stimmen unterstützen, die nach Gerechtigkeit rufen. In einer Meinungsumfrage von UPI/Zogby im Jahre 2007 erklärten 79 Prozent der Amerikaner, dass sie eine gute Meinung vom chinesischen Volk haben, aber 78 Prozent hielten seine Regierung für schlecht. Heute würde eine ähnliche Umfrage in irgendeinem Rechtsstaat einschließlich Kanadas zweifelsfrei zu ähnlichen Ergebnissen führen. Gaos schlimme Situation trägt im Wesentlichen dazu bei.

Ich danke Ihnen

Diese Ansprache hielt David Kilgour am 5. Mai 2010 in einem Forum über das chinesische Rechtssystem im Gebäude des Unterhauses in Ottawa, Kanada.

Originalartikel auf Englisch: Gao Zhisheng: ‘Conscience of China’

 

 



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