Die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien und ihr bitterer Beigeschmack

Titelbild
Offiziere des Military Polices Special Operations Battalion in Rio de Janeiros Morro da Mangueira. Die „Säuberung“ einer von Verbrechen heimgesuchten Barackenstadt war Teil des Befriedungsplans vor der Fußballweltmeisterschaft 2014.Foto: Vanderlei Almeida/AFP/Getty Images
Von 4. April 2012

„Die Menschen glauben, dass die Fußballweltmeisterschaft ihnen Wohlstand bringen wird, aber die Wahrheit ist, dass sie brutal unterdrückt werden“, warnt Roberto Morales.

„Bei der Fußballweltmeisterschaft wird viel Geld verdient. Aber nur die großen Sportartikelunternehmen und die, die autorisiert sind, Essen und Getränke zu verkaufen, haben etwas davon“, beklagt sich Morales.

Morales ist Mitglied des Popular Committee of the World Cup. Dieses Komitee wurde gegründet, als Bewohner sich dazu entschieden, sich gegen die gewaltsame Zwangsräumung aus ihren Häusern zu wehren, die den neuen Einrichtungen bei den Pan-American Games in Rio de Janeiro im Jahr 2007 zu weichen hatten.

„Wir begannen zu verstehen, dass die Zwangsräumungen nicht das einzige Problem bei solchen großen Events sind. Es gibt auch andere Probleme wie die Korruption. Die neuen Gebäude für die Pan-American Games sollten 300 Millionen Real kosten, aber am Ende waren es 3,5 Milliarden.“ Das entspricht fast 1,5 Milliarden Euro.

Diese Situation ist in Rio de Janeiro besonders offensichtlich. Rio de Janeiro ist einer der wichtigsten Austragungsorte für die Fußballweltmeisterschaft und Gastgeber für die Olympischen Sommerspiele 2016. Die Popular Committees wurden in allen zwölf Städten gegründet, in denen die Fußballweltmeisterschaft Brasiliens stattfinden wird. Dabei folgen sie dem Leitspruch „Die Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele müssen die Menschenrechte respektieren“.

Am 12. Dezember 2011 überreichten die Komitees den Funktionären der zwölf Städte ein Dossier mit dem Titel „Mega-Events und Menschenrechtsverletzungen in Brasilien“. Das Dokument thematisiert unter anderem das Recht auf Wohnen, die Arbeitsrechte für die Arbeiter, die die neuen Gebäude gebaut haben und den Mangel an Studien über die Auswirkungen auf die Umwelt von Projekten, die unter Zeitdruck fertiggestellt werden müssen.

Das Recht auf Wohnen

In Brasilien fehlen fünf Millionen Wohnungen. Die Kosten für die Bauprojekte zur Fußballweltmeisterschaft, also die Stadien und Renovierungen für den Flughafen und die Autobahnen, betragen fast 15 Milliarden Euro. Und das alles für ein Turnier, das weniger als einen Monat dauert. Zum Vergleich: das ist fast die Hälfte von Uruguays jährlichem Bruttosozialprodukt. Diese kolossalen Investitionen werden vom brasilianischen Steuerzahler getragen, damit dann einige wenige Unternehmen davon profitieren können.

Die Regierung veröffentlicht keine Informationen über die Anzahl der Familien, die aufgrund der neuen Bauprojekte umgesiedelt werden. Schätzungsweise sind 170.000 Menschen davon betroffen.

Nahezu alle Betroffenen leben in den armen Gegenden und oftmals in einer prekären Wohnsituation. In der Großstadtregion von Curitiba sind 1.173 Grundstücke vom Bau eines 52 Kilometer langen Verkehrskorridors, neuen Eisenbahnhaltestellen und der Sanierung und Verbreiterung von verschiedenen Alleen und Autobahnen betroffen.

Für den Ausbau des Flughafens und dessen Parkplatzgelände müssen 320 Häuser abgerissen werden. Aber die Inhaber wurden weder über eine entsprechende Entschädigung noch über den Ort informiert, an den sie umgesiedelt werden sollen.

In der Stadt Fortaleza werden 15.000 Familien betroffen sein. 10.000 Familien müssen umgesiedelt werden, aber sie wurden noch immer nicht darüber informiert, wo sie in Zukunft leben werden.

Die Mehrheit der Betroffenen wird wegen der Erweiterung bestehender Straßen oder dem Bau neuer Straßen vertrieben. Der Fortaleza Expressway wird 22 Wohngegenden durchqueren, um Hotels mit dem Castelâo Stadion zu verbinden.

Hunderte von Häusern, die in diesem Jahr in der Umgebung von Fortaleza zum Abriss vorgesehen sind, wurden mit grüner Farbe markiert. Aber die Bewohner dieser Häuser haben kein einziges Wort von offizieller Seite gehört, wann sie abgerissen werden.

Die Popular Committees of the World Cup bekräftigen, dass die Regierung in sieben gastgebenden Städten in insgesamt 21 Villenvierteln und Slumstädten „Kriegs- und Verfolgungsstrategien“ anwendet. „Zum Beispiel werden Häuser ohne jegliche Erklärung für den Abriss gekennzeichnet, ohne gesetzliche Grundlage wird in Häuser eingedrungen. Es findet eine unangemessene Enteignung und Zerstörung von Besitz statt.“ Das sind die schlimmsten Bedrohungen: das Unterbrechen der Versorgung und andere Akte der Einschüchterung.

Die Arbeiten, die für die Fußballweltmeisterschaft durchgeführt werden müssen, ermöglichen eine Art „sozialer Reinigung“, die sich auf Immobilienspekulationen gründet und die Zwangsräumungen von Familien nach sich zieht, die seit vier oder fünf Jahrzehnten in ihren Häusern wohnen.

Durch die Erfahrungen mit Mega-Sportereignissen in Industrie- und Entwicklungsländern weiß man, dass die Lebenshaltungskosten steigen und die Spekulationen auf Immobilien beginnen werden, sobald die Entwicklung manche vertreibt und diejenigen anzieht, die sich teuren Besitz leisten können. Tausende Vertriebene werden an den Stadtrand gedrängt.

Ausnahmezustand

Das brasilianische Parlament ist gezwungen, das General Law of the World Cup zu verabschieden. Das Gesetz regelt, wie der Confederations Cup im Juni 2013 und die Weltmeisterschaft im darauffolgenden Jahr ausgetragen werden.

Der Gesetzesentwurf wurde dem brasilianischen Kongress von der Exekutive vorgelegt. Der Gesetzesentwurf übernahm die Kriterien der FIFA. Am 6. Dezember 2011 sollte die Abstimmung stattfinden. Diese wurde aber wegen einigen Abgeordneten aufgeschoben, die die Gesetzesvorlage als mit der brasilianischen Rechtsordnung unvereinbar interpretierten. Zum Beispiel soll das in Stadien grundsätzlich geltende Alkoholverbot nach den FIFA-Regeln gelockert werden. Eine Maßnahme, die laut manchen Politikern verheerende Folgen haben könnte.

Ein anderer Streitpunkt dreht sich um die Weigerung der FIFA, spezielle Preisermäßigungen für Studenten, Pensionäre, Sozialhilfeempfänger und Behinderte zu gewähren.

Ein großer Teil der nationalen Rechtsordnung muss für die Vorgaben der FIFA geändert werden.

Der Bericht des Volkskomitees der WM prangert zudem die Verletzung der Arbeiterrechte im informellen Sektor (beinahe zwei Drittel in Brasilien) an. Nach Artikel 11 der WM ist jeder Verkauf von Waren „in unmittelbarer örtlicher Umgebung oder auf Zufahrtswegen zu WM-Veranstaltungsorten“ ohne ausdrückliche Erlaubnis der FIFA verboten.

Die exakte Weite dieser restriktiven Zone wurde immer noch nicht definiert, aber Erfahrungswerte lassen den Schluss zu, dass diese „Exklusivzone“ auf zwei Kilometer bemessen wird.

Nach Artikel 23 ist es Lokalen verboten, WM-Spiele ohne entsprechende Genehmigung oder gemeinsam mit nicht genehmigten Produktwerbungen zu übertragen.

Schließlich besagt Artikel 38, dass die Beauftragten, die Berater und die Angestellten der FIFA „befreit sind von Kosten, Bezügen, Gebühren und anderen Ausgaben an Institutionen des Justizministeriums, des Arbeitsministeriums und des Verteidigungsministeriums“ sowie an andere Behörden der brasilianischen Regierung.

Das Internationale Olympische Komitee hat ähnliche Vorgaben. Im Jahr 2009 wurde das Gesetz Nr. 12.035 erlassen. Es bestimmt einen monetären Transfer von Immobilienerträgen an die Olympischen Spiele sowie eine Überlassung von öffentlichen Plätzen und „die Festlegung von Ressourcen, die eventuelle betriebliche Defizite des Organisationskomitees bei den Spielen in Rio abdecken sollen.

Das Gesetz besagt, dass zwischen dem 5. Juli und dem 26. September „alle geltenden Werbeverträge, die für öffentliche Plätze, Flughäfen oder Regierungsviertel, die für die 2016 in Rio stattfindenden Spiele von Interesse sind, wirksam sind“ – null und nichtig sind.

Die Macht, die sich die Sportverbände in den letzten Jahrzehnten angeeignet haben, ist in der Lage, Millionen von Bürgern, von denen sie eigentlich getragen werden, weltweit ihren Willen aufzuzwingen – und sie üben ihre Macht ebenso auf mächtige Staaten auf jedem Kontinent aus, ohne sich jemals irgendeiner Debatte stellen zu müssen, die die dahinterstehenden Interessen aufdecken könnte.

Aufwertung der Stadien

Zur Weltmeisterschaft 1950 im Maracanà-Stadion in Rio de Janeiro kamen an die 203.000 Zuschauer. Achtzig Prozent der Sitze im mittelpreisigen Segment waren besetzt von Menschen der Mittel- und Arbeiterklassen. Die Zuschauer blieben während des ganzen Spieles stehen, damit Platz füreinander blieb, denn immerhin hatte das Stadion nur eine Kapazität für 199.000 Menschen.

Die Stadien, in denen sich die verschiedenen Gesellschaftsschichten durchmischten, änderten sich in den 1990er-Jahren. Die Rechtfertigung für diese „Europäisierung“ der Stadien war Sicherheit und Komfort und es war Teil einer globalen Kampagne, an welcher sich die FIFA, örtliche Fußballvereine und Klubs (finanziert von privaten Sponsoren) beteiligten.

Nach einem Umbauprojekt 1999 sah sich das legendäre Maracanà-Stadion auf 103.022 Zuschauerplätze halbiert. Zwischen April 2005 und Januar 2006 war das Stadion wegen Renovierungen geschlossen – danach war die Kapazität auf 82.238 reduziert worden.

Momentan erleidet das Maracanà seit Mitte 2012 eine weitere Umgestaltung. Das Stadion ist geschlossen, um dem Diktat der „FIFA-Herren“ gerecht zu werden, die geschlossene Stadiondächer fordern.

Es wird mehr als bloß ein Fußballstadion sein. Es wird ein Theater werden. Ein Theater mit nummerierten Zuschauersitzen, wo man nicht stehen kann. Die kreativen Plätze für die Fans – spaßliebend, lebendig, leidenschaftlich und rüpelhaft wie sie eben sind – sind damit abgeschafft worden.

Das Maracanà war einst das größte Stadion der Welt, jetzt ist es auf den bescheidenen 14. Rang zurückgestutzt. Aber am meisten spricht für sich, dass das Maracanà nicht mehr ein Ort der allgemeinen Erholung ist, sondern zu einem Werkzeug für Geschäftemacherei und Spektakel geworden ist – Aspekte, die nicht mehr viel mit dem ursprünglichen Fußballgeist zu tun haben.

Raul Zibechi ist internationaler politischer Analyst des wöchentlich erscheinenden Brecha de Montevideo, Professor und Forscher der Basisbewegungen an der Multiversidad Franciscana de Amèrica Latina. Mit freundlicher Genehmigung von Foreign Policy in Focus.

Artikel auf Englisch: The Bitter Taste of Brazil’s World Cup

 

 



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