Drama mit Dame

„Der Schwarze Braunschweiger” von John Everett Millais besticht durch bewusste Schwarz-Weiß-Malerei
Titelbild
Foto: Puplic Domain
Von 8. April 2010

In der Mitte des 19. Jahrhunderts, vor dem Hintergrund  dramatischer sozialer Wandlungen, entstand in einer bürgerlich geprägten Gesellschaft das Bedürfnis nach repräsentativer und gleichzeitig gefühlvoller Kunst. John Everett Millais hatte ein treffsicheres Gespür für die Ideale und Träume seiner Zeitgenossen und wurde zum erfolgreichsten und populärsten Maler Großbritanniens. „Der Schwarze Braunschweiger“ markiert einen Wendepunkt in der Karriere des Künstlers, der zuvor mit gemalter Sozialkritik die Gemüter erhitzt hatte. Er gewann die Anerkennung der Royal Academie wieder und erzielte den Rekordpreis von 100 Guineen.

Der damalige Kriegskorrespondent der Times hatte Millais auf das Thema gebracht: „Die Schwarzen Braunschweiger“ waren 1809 als „Schar der Rache“ von Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel-Oels (1771-1815) gegründet worden und hatten überall in Europa gegen Napoleons Besatzung gekämpft. „Sieg oder Tod“ war ihr Wahlspruch, in England hießen sie „The Death or Glory“, es gab sogar Lieder, die den Mut und das Pflichtbewusstsein der „Black Brunswickers“ rühmten. Nicht zuletzt ihre Uniform mit dem Totenkopf-Abzeichen versprach ein  wirkungsvolles Motiv für die Malerei.

„Das Kostüm und der Vorfall sind so kraftvoll, mich wundert, dass das Thema bisher noch nicht bearbeitet wurde“, schrieb Millais seiner Frau, als er 1860 mit der Arbeit  an dem Gemälde begann. Doch auch wenn sich die darin abgebildete Liebesgeschichte auf ein Ereignis während der Befreiungskriege bezieht, ist sie frei erfunden.

Bild und historische Wahrheit

Wir werden Zeugen des Zusammentreffens eines jungen Soldaten in schwarzer Uniform mit einer ebenso jungen Dame im weißen Ballkleid. Sie versucht ihn daran zu hindern, durch die Tür den Saal zu verlassen, er schaut ernst und entschlossen auf sie, in der Hand den Helm mit dem Totenkopf-Emblem der Braunschweiger.

Neben ihm auf dem Boden sitzt ein kleiner Hund mit erhobenen Pfötchen, er trägt eine rote Schleife um den Hals die ihn optisch und psychologisch mit der Frau verbindet, die eine ebenso rote Schleife am Ärmel ihres Kleides trägt.

Auf der dunkelgrünen Seidentapete des Hintergrunds prangt ein Kupferstich nach Jaques Louis David´s Gemälde „Napoleon auf dem Großen St. Bernhardt“. Etwas merkwürdig, denn Napoleons Feinde hätten sich vermutlich kein solches Bild an die Wand gehängt, hier dient es als Hinweis auf das dargestellte Ereignis.

Es geht um die Schlacht bei Quatre Bras in Belgien am 16. Juni 1815, zwei Tage vor Napoleons entscheidender Niederlage bei Waterloo. Sie markierte Napoleons letzten taktischen Sieg. Am Abend davor, dem 15. Juni gab die Herzogin von Richmond einen Ball, der sein jähes Ende fand, als gemeldet wurde, dass Napoleon auf  Brüssel zu marschiere. Um die Eroberung zu verhindern, brachen die Männer sofort zur Schlacht auf, in der viele Braunschweiger, einschließlich ihres „Schwarzen Herzogs“ Friedrich Wilhelm, den Tod finden sollten.

Eine komplizierte Hintergrundgeschichte, doch Millais Zielgruppe war hochgebildet und er konnte von seinen Zeitgenossen solches Detailwissen erwarten, schließlich wollte man von einem Kunstwerk   emotional und intellektuell angeregt werden. Doch auch wenn man die Fakten nicht kennt, spricht aus dem Bild die tragische Liebesgeschichte:  Der möglicherweise Todgeweihte nimmt von seiner engelsgleichen Geliebten Abschied, die als Opfer der Umstände zu Hause ausharren muss. Der bettelnde Hund als Symbol für Liebe und Treue kommt noch erschwerend hinzu – wer kann da schon ungerührt bleiben?

Wie eine Filmszene

Die Faszination des „Braunschweiger“-Gemäldes liegt im Arrangement der Figuren, welches dem Betrachter den inneren und äußeren Kampf des Liebespaars wie in einer Filmszene vor Augen führt. Eine unwiderstehliche Dynamik entsteht durch die Art und Weise, wie der Maler die beiden räumlich und gestisch in Szene setzt. Geradezu dramaturgisch wird der Blick des Betrachters durch das Bild geführt, in dem verschiedene Momente und Bewegungsabläufe zusammengefasst scheinen. Unbewusst nimmt man eine Kettenreaktion von Ereignissen wahr, die hier abläuft.

Zuerst schreitet der Soldat auf die Tür zu: Die Bewegungsrichtung seines Körpers, besonders seine Unterarme, die als horizontale Pfeile Richtung Tür weisen, sowie sein gebeugtes Knie zeigen ihn zum Aufbruch entschlossen. Sie stürzt ihm förmlich mit einem  „Nein!“ entgegen, sichtbar an der gegenläufigen Bewegungsrichtung ihres Körpers und der Diagonalen, die sich in der Falte ihres Kleides vom Boden bis zur Taille durchzieht. Diese Bewegung schließt in der Hand ab, die sie gegen seine Brust drückt, um ihn aufzuhalten. Gleichzeitig wirkt diese Diagonale wie die Verlängerung seines schmerzlichen Blickes auf sie, den man dadurch besonders intensiv wahrnimmt.

Von ihrem Gesichtsausdruck mit den niedergeschlagenen Augen gelangt man zum Boden, wo  ihr Blick von dem des Hundes aufgefangen wird. Dieser schaut wiederum zu seinem Herrchen auf, man folgt seiner Blickrichtung und wird beim zweiten Blick auf den Soldaten gewahr, dass er seinen Arm als geradlinige Horizontale bereits hinter ihr ausgestreckt hat, um die Tür zu öffnen. Dies ist der Moment in dem sie einen letzten Versuch unternimmt, die Türe zuzudrücken, mit einer stark fallenden, geschwächten Diagonale ihres Armes, dessen weißer Ärmel hier im Schatten liegt.

Viele Skizzen führten zum Ziel

Wenn das ganze Gemälde an eine Filmszene erinnert, dann genau wegen dieser imaginären Kettenreaktion, die Millais mit kompositorischen Kniffen auszulösen vermochte. Wie lang jedoch der Prozess war, um diese erzählerische Dichte zu erreichen, zeigen erhaltene Skizzen des Paares, die in der Tate Gallery London und der Lady Lever Art Gallery in Liverpool aufbewahrt werden. Hier wird deutlich, wie viele Posen durchprobiert wurden, die sich stark vom Endresultat unterscheiden und bei weitem nicht so natürlich wirken. Die Umsetzung des Gemäldes insgesamt dauerte drei Monate.

Alles nur gestellt

Eine nicht von der Hand zu weisende Sinnlichkeit wohnt dem Gemälde inne, einerseits durch die blendende Schilderung des Seidenkleides, aber auch in der wellenartigen Bewegung des Paares, die sich besonders an der Schnittstelle ihrer Silhouetten und dem scharfen schwarz-weiß  Kontrast zeigt.

Ihr Dialog wirkt so aufwühlend, dass kaum vorstellbar ist, dass der Maler mit jedem Modell getrennt arbeitete. Kate Perugini, die Tochter des Literaten Charles Dickens und ihr Partner im Bild, ein Angehöriger der Life Guard, standen nie gemeinsam Modell, weil für den  Moral-Standard des viktorianischen England diese Pose zu gewagt gewesen wäre. Beide mussten sich an Holzpuppen lehnen, als sie gemalt wurden.

Ein suggestives Kunstwerk

„Der Schwarze Braunschweiger“ ist ein dramatisches Gemälde, eines das in der bedrückenden Enge seiner eleganten Kulisse keinerlei Möglichkeit zur Flucht lässt. Emotional greift es an, da einem durch die Pointiertheit der künstlerischen Mittel nur ein einziger Blickwinkel gestattet wird und deshalb unweigerlich Gefühle erzeugt werden. Möglicherweise wird mancher sich sogar peinlich berührt fühlen, ob der Direktheit und Sentimentalität der Darstellung. Hier wird man als Betrachter nicht geschont: Man muss entweder ganz wegschauen oder man wird in die tragische Liebesgeschichte hineingezogen.

Natürlich ist dies genau das Gegenteil objektiver Kunst, es ist vielmehr subjektiv und hoch suggestiv und damit Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die sagen, Millais habe seine künstlerischen Ideale und  Talente für kommerziellen Erfolg verkauft. Und doch ist die Parallele zur heutigen Ästhetik, die wir aus Kino, Fotografie und Werbung gewöhnt sind, unübersehbar. Ein Zeichen dafür, dass Maler Millais, der seinerzeit eine Frau und acht Kinder zu ernähren hatte, auf einer noch größeren Welle der  Entwicklung mitschwamm.

Foto: Puplic Domain


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