Fulminanter „Don Giovanni“ mit Daniel Barenboim und Erwin Schrott

Titelbild
"Reich mir die Hand, mein Leben": Christopher Maltman und Anna Prohaska in Don Giovanni.Foto: Monika Rittershaus
Von 25. Juni 2012

 

Es war witzig, tragisch und zärtlich zugleich und das lückenlos von Anfang bis zum Ende. Selten erlebt man heute einen Opernabend mit solcher Sogwirkung, wie ihn die gestrige Premiere von Mozarts „Don Giovanni“ in der Berliner Staatsoper im Schillertheater hatte.

Dank Daniel Barenboim am Pult wurde die Musik das Maß der Dinge – schon bei der pulsierenden, dramatischen Ouvertüre. Und auch die Inszenierung von Claus Guth funktionierte dazu reibungslos: Die Alltagsgegenstände, die Guth gern in seinen Inszenierungen verwendet, sorgten für eine ebenso selbstverständliche, wie surrealen Stimmung. Es entfaltete sich eine spannende Geschichte über Menschen, ihre Gefühle und ihre Erwartungen an das Leben.

Es geht diesmal nicht um einen zynischen, egoistischen und gewaltbereiten Verführer Don Giovanni, der die gesellschaftliche Ordnung zerstört und am Ende seine gerechte Strafe erhält. Es geht um einen selbstvergessenen Träumer, der langsam stirbt und versucht, solange er kann, seinen Traum vom Leben zu leben. Denn am Anfang bedroht der Komtur Don Giovanni mit einer Pistole – dieser kann sich nur mit einem herumliegenden Holzknüppel verteidigen. Ein Schuss trifft Don Giovanni in den Bauch und der Komtur stirbt vor Schreck am Schlag. Die Szene wirkt gleichermaßen komisch wie tragisch und mehrere ähnlich verrückt-theatralische Momente sollten folgen. Don Giovanni erlebt das ganze Stück mit einer blutenden Wunde, die ihn erst ganz am Ende umbringt.

Wer hier Jäger und wer Gejagter ist, ist nicht mehr zu klären. Claus Guths großes Verdienst bei dieser Inszenierung ist, dass er den ganzen Abend lang Bilder entstehen lässt, die im Kopf des Zuschauers zu arbeiten beginnen, jedoch niemals kaputtanalysiert oder in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Dadurch gelingt ihm eine nicht zu leugnende Poesie.

Und es nicht auch so, dass sein Don Giovanni dauernd die Frauen nötigt. Nein, sie fliegen von selbst auf ihn! Vermutlich deshalb, weil er einfach lebendiger, emotionaler und echter ist als die anderen braven Kerle im Stück, die darum zwingend mit ihm in Konflikt geraten. Und so manche Szene besitzt tragikomischen Erkenntniswert. Die uns allen vertraute Situation, den Dummheiten eines Lebenspartners hilflos zusehen zu müssen, gibt es gleich mehrfach.

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Der Freigeist Don Giovanni

Weil der Freigeist Don Giovanni (übrigens ein Yuppie im Designeranzug) mit seinem Diener unter ungeklärten Umständen im Wald haust, bekommt er die Unschuld und Gesetzlosigkeit eines sinnlichen Naturwesens. Ähnlich einem Satyr folgt er einfach seiner Emotion und hat deshalb nie das Gefühl, etwas falsch zu machen. Er kalkuliert seine Abenteuer auch nicht, sondern verliebt sich tatsächlich alle fünf Minuten – dann meint er alles, was er sagt und tut ganz ernst. Das hatte etwas Berührendes (besonders beim berühmten „Laci darem la mano“) und kreierte eine beklemmende Ausweglosigkeit.

Das Ganze klappte nur deshalb, weil die Darsteller fulminant waren und diesen Nuancen derart Leben einhauchten, dass man jede Minute des Stückes neu zu entdecken glaubte.

Allen voran Christopher Maltman als Don Giovanni und Erwin Schrott als Leporello. Die Beiden bilden eine unzertrennliche Schicksalsgemeinschaft und waren sängerisch wie schauspielerisch hochvirtuos und ebenbürtig. Beide verschmolzen so sehr mit ihren Rollen, dass man mit Maltmans langsamem Todeskampf sprachlos mitlitt und auch beim skurril gestikulierenden Erwin Schrott Realität und Spiel nicht mehr unterscheiden konnte.

Zwei unbeschreibliche Desperados, die man gehört und gesehen haben muss. Vom Pianissimo bis zum großen Klang spielten sie wirklich mit allem, was sie zu bieten hatten. Kongenial gelangen ihre gemeinsamen Szenen, die zum Herz der Handlung wurden.

Erwin Schrott (Leporello) versorgt Christopher Maltman (Don Giovanni), der im Duell verletzt wurde.Erwin Schrott (Leporello) versorgt Christopher Maltman (Don Giovanni), der im Duell verletzt wurde.Foto: Monika Rittershaus

Das Trio der Damen war ebenso trefflich besetzt: Maria Bengtsson gab Donna Anna als die kühle Blonde, die heftig zwischen Don Ottavio und Don Giovanni schwankt. Eine brillante Leistung, ihre Leidenschaft und Zerbrechlichkeit setzte sie in berückend schöne Töne um und ihre Arien waren Glanzpunkte.

Dorothea Röschmann machte als Donna Elvira die ganze Scala von himmelhoch jauchzender Enthemmtheit bis zum zu Tode betrübt sein durch. Und das wörtlich und makellos vom tiefsten bis zum höchsten Ton. Sie schilderte furios und mitreißend die 180-Grad-Drehungen dieser Frau, die –kopflos vor Sehnsucht – vom Würdevollen ins Lächerliche schlittert.

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Begeisterung für alle Musiker – Buhs für die Regie

Die Traumbesetzung für die unschuldig zärtliche Zerlina, die unbedingt mal etwas Abenteuerliches erleben will und sich damit nur Ärger und ein blutiges Kleid holt, war Anna Prohaska. Guth setzte sie elfengleich auf einer Schaukel in Szene. Prohaska sang nicht nur ihre publikumswirksamen Arien wunderschön, sie schaffte sogar eine berührende kleine Charakterstudie. Stefan Kocan war ein anständiger Masetto, der ihr zwar stimmlich gewachsen war, aber es partout nicht schaffte, auf sie aufzupassen.

Etwas hölzern (aber das harmonierte mit dem Erzählkonzept) war Giuseppe Filianoti als Don Ottavio. Bei „Dalla sua pace“ stemmte er ziemlich unangenehm, was schade und möglicherweise seiner Tagesform geschuldet war. Seine zweite Arie klang schon viel geschmeidiger. Als korrekter, verklemmter Spießer, der mit der Gesamtsituation und seiner Beziehung heillos überfordert ist, machte er den perfekten Eindruck. Er war sogar zu schusselig, um Leporello mit einer Pistole zu stellen.

Einen kleinen, aber souveränen Auftritt hatte der Chor, einstudiert von Eberhard Friedrich, der die exzessive Party, die schon bei Mozart nur Kulisse der eigentlichen Handlung ist, gespenstisch am Rande darstellte (Choreographie: Ramses Sigl).

Chor der Staatsoper im Schillertheater, ein Höhepunkt des Don Giovanni in der Inszenierung von Claus Guth.Chor der Staatsoper im Schillertheater, ein Höhepunkt des Don Giovanni in der Inszenierung von Claus Guth.Foto: Monika Rittershaus

Das absolut naturalistische Bühnenbild von Christian Schmidt, der nächtliche Wald, der so unheimlich echt aussah, war ein maßgeblicher Grund, warum das Stück so glaubwürdig gelang. Wenn es auf das Ende zugeht, kriecht die Todesahnung (Licht: Olaf Winter) in Form von Nebelschwaden bis in den Zuschauerraum und es fängt zu schneien an. Der Komtur wird zum Tod, der mit schwarzem Mantel und Hut im Hintergrund das Grab des Helden schaufelt. Alexander Tsymbalyuk sang ihn mit großem, hallendem und endgültigen Bass.

Das Publikum war am Ende des Abends einhellig begeistert von den großartigen Solisten, Daniel Barenboim und der Staatskapelle. Doch es war sehr gespalten in Bezug auf das Regieteam, es gab viele Buhs. Vielleicht, weil das Bild des Testosteron-sprühenden Latin Lovers doch sehr tief im Bewusstsein sitzt und gerade diese Erwartung nicht erfüllt wurde.

 



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