Türkische Opposition startet in Ankara „Marsch für Gerechtigkeit“

Mit dem seltenen Protestmarsch fordert Kilicdaroglu Präsident Recep Tayyip Erdogan heraus. In Ankara war die Polizei zwar massiv präsent, doch schritt sie anders als bei vielen Protesten nicht ein. Kilicdaroglu legt an erstem Tag 20 Kilometer zurück.
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Kemal KilicdarogluFoto: Erhan Ortac/Getty Images
Epoch Times15. Juni 2017

Die Festnahme eines Abgeordneten der türkischen Opposition hat in Ankara tausende Menschen zu einem „Marsch für Gerechtigkeit“ auf die Straße getrieben. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu stellte sich am Donnerstag mit einem Schild mit der Aufschrift „adalet“ (Gerechtigkeit) an die Spitze des ungewöhnlichen Protestzuges und kündigte an, bis nach Istanbul zu marschieren. Am ersten Tag legte er bereits 20 Kilometer zurück.

Die Anhänger der Republikanischen Volkspartei (CHP) gingen in Ankara auf die Straße, um gegen die Festnahme des CHP-Abgeordneten Enis Berberoglu zu protestieren, der am Vortag wegen eines Artikels der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ über geheime Waffenlieferungen an Rebellen in Syrien zu 25 Jahren Haft verurteilt worden war.

Kilicdaroglu kündigte an, bis zum Istanbuler Gefängnis von Berberoglu zu Fuß zu marschieren. „Ich werde den ganzen Weg bis Istanbul laufen. Wir werden diesen Marsch fortsetzen, bis es Gerechtigkeit in der Türkei gibt“, sagte Kilicdaroglu. Bis zum Gefängnis von Maltepe am Ostrand von Istanbul sind es gut 400 Kilometer, zu Fuß dürfte der Marsch drei Wochen dauern.

Mit dem seltenen Protestmarsch fordert Kilicdaroglu Präsident Recep Tayyip Erdogan heraus. Dem CHP-Vorsitzenden war bisher oft vorgeworfen worden, nicht standhaft genug zu sein. In Ankara war die Polizei zwar massiv präsent, doch schritt sie anders als bei vielen Protesten nicht ein. Im Gegensatz zu anderen Demonstrationen wurde der Marsch auch im Fernsehen übertragen.

„Schulter an Schulter gegen den Faschismus“, riefen die Demonstranten in Ankara. Andere hielten Plakate hoch, die „Gerechtigkeit für inhaftierte Abgeordnete“ forderten. Auch in Istanbul versammelten sich hunderte Oppositionsanhänger im Macka Park und riefen „Wir werden durch Widerstand siegen“.

„Wir sind gekommen, um Gerechtigkeit zu fordern“, sagte die Demonstrantin Funda Sakalioglu in Ankara der Nachrichtenagentur AFP. „Wir haben es mit einer Diktatur zu tun.“ Die unabhängige Abgeordnete Aylin Nazliaka sagte, die Proteste richteten sich dagegen, dass Justizentscheidungen von oben diktiert würden.

„Berberoglu wurde wegen eines Presseartikels inhaftiert“, sagte der Demonstrant Cem in Istanbul. „Dies bedeutet, dass einige die Realität fürchten, die in dem Artikel beschrieben wurde.“ Der frühere Chefredakteur von „Hürriyet“ ist der erste CHP-Abgeordnete, der seit dem Putschversuch vom 15. Juli inhaftiert wird.

Ihm wird vorgeworfen, „Cumhuriyet“ ein Video eines Konvois des türkischen Geheimdiensts MIT gegeben zu haben, der angeblich Waffen für islamistische Rebellen in Syrien geladen hatte. Wegen des Berichts von Mai 2015 wurden bereits der frühere „Cumhuriyet“-Chefredakteur Can Dündar zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Dündar lebt heute in Deutschland.

Das Urteil gegen Berberoglu traf in der CHP auf scharfe Kritik. Auch die prokurdische HDP, die selbst massiven Repressionen ausgesetzt ist, verurteilte die Festnahme. Die prominente Oppositionspolitikerin Meral Aksener schrieb auf Twitter, es sollte alle zum Nachdenken bringen, dass der Oppositionsführer zu diesem Protestmarsch gezwungen sei.

Die deutsche Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen nannte Berberoglus Verurteilung einen „Justizskandal“, der die größte Oppositionspartei einschüchtern solle. Sie forderte die Freilassung Berberoglus und aller politischer Gefangener und drängte die Bundesregierung, endlich „die Unterstützung ihres langjährigen Premiumpartners in Ankara“ einzustellen.

Die CHP hatte sich nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli mit Präsident Recep Tayyip Erdogan solidarisiert. Doch die Initiative Erdogans zur Einführung eines Präsidialsystems, die Mitte April in einem umstrittenen Verfassungsreferendum knapp gebilligt wurde, hat zu starken Spannungen zwischen der CHP und der Regierung geführt.  (afp)



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