Wahl der Unentschlossenen in Frankreich – Sehnsucht nach einem Wandel

In Umfragen sagte zuletzt rund jeder dritte Franzose, der sicher wählen gehen will, noch keine feste Entscheidung für einen Kandidaten getroffen zu haben.
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Fahne von FrankreichFoto: über dts Nachrichtenagentur
Epoch Times5. April 2017

Ganze vier Stunden lang debattierten die elf französischen Präsidentschaftskandidaten. Doch während die Mammut-Diskussionsrunde mit hitzigen Wortgefechten am Dienstagabend immer wieder ein Spektakel bot, war sie nur sehr bedingt aufschlussreich. In der häufig zerfahrenen Debatte gaben die Politiker viele altbekannte Phrasen von sich, in die Tiefe ging es selten, und die ohnehin chancenlosen Kandidaten nahmen viel Raum ein.

Eine Entscheidungshilfe für die französischen Wähler war dies kaum – viele von denen sind weniger als drei Wochen vor der Wahl noch ziemlich orientierungslos. In Umfragen sagte zuletzt rund jeder dritte Franzose, der sicher wählen gehen will, noch keine feste Entscheidung für einen Kandidaten getroffen zu haben. So kurz vor einer Präsidentschaftswahl – die erste Runde ist schon am 23. April – hat es das in Frankreich noch nicht gegeben.

Zugleich könnte die Wahlenthaltung einen Rekordwert erreichen: Meinungsforschungsinstitute schätzen sie derzeit auf womöglich 35 Prozent. Normalerweise geben bei Präsidentschaftswahlen nur 20 Prozent der französischen Wahlberechtigten keine Stimme ab.

Die Wut und Enttäuschung der Wähler

Die Zahlen zeigen, wie verunsichert die Franzosen sind – und wie groß ihre Enttäuschung über die Politiker ist, ihre Wut auf den Politikbetrieb mit seinen Skandalen und Mauscheleien.

„Es gibt eine furchtbare Kluft zwischen der Sehnsucht nach einem wirklichen Wandel und der Feststellung, dass es dafür keine eindeutigen Kandidaten gibt“, sagt der Meinungsforscher François Miquet-Marty. Die Politikwissenschaftlerin Anne Jadot bedauert: „Die Affären und Skandale haben den Wahlkampf stark beeinträchtigt, das hat zu viel Unsicherheit geführt.“

Gerade die beiden großen Traditionsparteien geben derzeit ein erschreckendes Bild ab: Der konservative Kandidat François Fillon ist durch eine Scheinbeschäftigungsaffäre in Verruf geraten und wirft als Gegenstrategie mit Verschwörungstheorien um sich. Bei den Sozialisten des unpopulären Staatschefs François Hollande laufen viele vom blassen Parteikandidaten Benoît Hamon zum parteilosen Emmanuel Macron über.

Macron – Notlösung oder Kompromisskandidat?

Angesichts der Krisen bei Konservativen und Sozialisten ist der erst 39-jährige Ex-Wirtschaftsminister Macron zum Präsidentschaftsfavoriten aufgestiegen. Doch während die einen in dem sozialliberalen Reformpolitiker den großen Hoffnungsträger sehen, ist er für die anderen eher eine Notlösung, ein Kompromisskandidat.

Weil Fillon für viele unwählbar geworden ist und Hamon sowieso als chancenlos gilt, geht die Stimme eben an Macron. So dürften viele sozialistische Wähler, wenn sie nicht ihr Heil im wortgewaltigen Linksaußen Jean-Luc Mélenchon suchen, aus strategischen Gründen für den Ex-Investmentbanker stimmen – damit Macron und nicht Fillon es in die Stichwahl schafft.

Zumal der sozialliberale Politik-Jungstar der Mann ist, der die Rechtspopulistin Marine Le Pen stoppen soll. Denn in diesen unsicheren Zeiten erscheint eines als ziemlich sicher: dass die Front-National-Chefin in die Stichwahl am 7. Mai einziehen wird.

Die Chancen von Marine Le Pen

Während es lange Zeit unvorstellbar erschien, dass die Kandidatin der Rechten Präsidentin werden könnte, mahnen Experten Vorsicht an. Bei einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung in der Stichwahl, so die Rechnung, hätte die auf einen festen Wählerstamm zählende Le Pen durchaus Chancen. Zumal sie für viele konservative Wähler an Schrecken verloren hat: Von den Fillon-Anhängern würden bei einem Stichwahl-Duell zwischen Le Pen und Macron ebenso viele für die Rechts-Kandidatin stimmen wie für den Mitte-Kandidaten.

Die Unsicherheit bei vielen Wählern ist auch ein Problem für Meinungsforscher. „Die Fragezeichen hinter den Umfragen betreffen nicht das Thermometer, sondern den Patienten selbst“, sagt der Meinungsforschungsexperte Matthieu Chaigne. „Eine Umfrage kann korrekt messen, aber sie untersucht eine höchst instabile Wählerschaft.“

Die Präsidentschaftskandidaten werden also noch viele Anstrengungen unternehmen müssen, um Wähler zu gewinnen und an sich zu binden. Der Wahlkampf in Frankreich geht langsam in die Zielgerade.   (afp)



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