Leicester – eine Stadt feiert sich selbst

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Leicester City steht kurz vor dem Gewinn der englischen Fußball-Meisterschaft.Foto: Narong Sangnak/dpa
Epoch Times2. Mai 2016
Im Zentrum von Leicester steht ein Monument für die Sportler der mittelenglischen Stadt. Drei Figuren aus Bronze – ein Cricket-Spieler, ein Rugby-Spieler und ein Fußballer – sind ineinander verkeilt, als würden sie um denselben Ball kämpfen.

Die Fußball-Mannschaft Leicester City, heißt es auf der Inschrift, habe 1996/97 den Coca-Cola Cup gewonnen – den unbedeutenderen der beiden englischen Liga-Pokale. Magere Erfolge zu feiern, waren die Menschen in Leicester gewohnt.

Das hat sich seit dieser Saison grundlegend geändert. Aus dem Abstiegskandidaten der vergangenen Spielzeit ist Leicester City zum wahrscheinlichsten Anwärter auf die Meisterschaft in der Premier League geworden. Wer darauf zu Beginn der Saison wetten wollte, dem wurde der 5000-fache Betrag seines Einsatzes in Aussicht gestellt. Niemand hätte den Foxes, wie die Spieler genannt werden, das zugetraut.

Glaubt man den Menschen in Leicester, dann wurde nicht nur der Fußball-Club viel zu lange unterschätzt, sondern die ganze Stadt. Der mögliche Titelgewinn ist demnach nur das weithin sichtbare Symbol für die Neuerfindung einer Stadt, die vorher maximal als mittelmäßig galt.

Davon ist auch Johannes Arens überzeugt. Der Deutsche ist seit fünf Jahren Priester der anglikanischen Kathedrale von Leicester. Zusammen mit anderen Geistlichen hat der 46-Jährige im vergangenen Jahr Richard III. beigesetzt. Die Überreste des mittelalterlichen Monarchen wurden 2012 unter einem Parkplatz im Zentrum von Leicester entdeckt. Der Sensationsfund lenkte die internationale Aufmerksamkeit auf die 300 000-Einwohner-Stadt und brachte Scharen von Touristen.

Ähnlich ist es jetzt. Denn die Premier League ist die weltweit am meisten beachtete Fußball-Liga. Die Fahne des Fußballvereins weht jetzt über der Kathedrale. In jedem zweiten Laden hängen weiße und blaue Wimpel. Die Schaufensterpuppen tragen Leicester-Trikots, und selbst die Statue Richards III. ziert ein Fanschal.

„Als ich hier ankam, war die Stadt wenig selbstbewusst“, sagt Arens. Das mittelalterliche Stadtzentrum sei in den fünfziger und sechziger Jahren durch Bausünden und mehrspurige Straßen zerstört worden. Eine Beton- und Asphaltwüste mit ausgestorbenen Einkaufsmeilen. Leicester? Viele Menschen seien einfach daran vorbei gefahren. Doch in den vergangenen Jahren habe die Verwaltung hart daran gearbeitet, der Stadt wieder ein freundliches Gesicht zu verleihen – und das zahle sich jetzt aus.

Das bestätigt Andy Salkeld. Der Stadtplaner hat sich kurz vor dem Anpfiff des Leicester-Spiels gegen Manchester United am Sonntag (1:1) mit Hunderten anderen Fans in einen Pub gezwängt. Er glaubt, dass mittelgroßen Städten wie Leicester die Zukunft gehört, nicht den Metropolen wie London mit ihrem milliardenschweren Finanzplatz. Das Fußball-Team mit dem deutschen Verteidiger Robert Huth repräsentiere diesen Wandel. Die Mannschaft, die ohne große Stars auskommt, sei das Spiegelbild einer multitethnischen, engagierten Zivilgesellschaft. „Die Spieler von Leicester City zeigen dank ihrer Leidenschaft den besten Fußball der Liga“, sagt Salkeld.

Auch abseits des Rasens hält er den Club für vorbildlich. Das Vereinsmanagement engagiere sich mit Sportevents für Behinderte und pflege den Kontakt zu den Fans. „Leicester City ist gut zu den Menschen“, sagt der 49-Jährige. Und diesem Motto folge die Stadtverwaltung seit einigen Jahren auch. Fußgänger- und radfahrerfreundlich sei die Stadt geworden, die Verwaltung serviceorientiert. Das habe einen Dominoeffekt in Gang gesetzt, meint Salkeld: Die Menschen in Leicester wollten ihren Beitrag für die Gemeinschaft leisten, egal welcher Herkunft sie sind. Zu dem sozialen Gewinn käme auch der wirtschaftliche Erfolg. Immer mehr Firmen siedelten sich in Leicester an, leere Schaufenster gebe es kaum noch.

Das Wir-Gefühl in Leicester ist zum Anfassen in diesen Tagen. Priester Johannes Arens fasst es so zusammen: „Richard der III. hat uns mit unserer Geschichte verbunden, und das Fußballteam hat uns gezeigt, dass unsere Gegenwart auch etwas zum Feiern ist.“

(dpa)

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