Ein chinesischer Dissident in Berlin

Interview mit dem Publizistik-Professor Jiao Guobiao
Von 22. Mai 2006

„Globale Unterstützung der Demokratiebewegung in China/Asien“, so nannte sich eine Konferenz, an der in Berlin Bürgerrechtler, Menschenrechtsorganisationen und Dissidenten aus aller Welt teilnahmen. Eine Woche vor der Reise von Bundeskanzlerin  Merkel nach China wollte man ein Zeichen setzen für Demokratie und insbesondere eine unabhängige Untersuchung der illegalen Organentnahme und des Organhandels in China einfordern.

Jiao Guobiao, Professor für Publizistik in China, war einer der Teilnehmer. Bekannt geworden durch kritische Artikel im Jahr 2004 über das kommunistische System, lebt er in Peking inzwischen als Schriftsteller. Im Interview mit der Neuen Epoche sagte er:

„Meine Artikel sind nicht beliebt, aber noch nicht so unbeliebt, dass man mir nicht erlaubt auszureisen. Es gibt auch keinen konkreten Maßstab, wie weit man gehen kann in solch einem Artikel.“

Epoch Times: Aber Sie haben ihre Arbeit verloren an der Universität.

Jiao Guobiao: Ja, das ist der Fall. Der Hauptgrund, warum ich entlassen wurde, ist schon der Artikel über das Propagandaministerium. Ich habe auch nicht nach den Anweisungen der Partei gehandelt. Sie haben verlangt, nicht mit ausländischen Journalisten in Kontakt zu treten oder Interviews zu geben, oder Artikel weiterhin zu schreiben, die das politische System in China kritisieren

Epoch Times: Würden Sie China als einen Polizeistaat bezeichnen?

Jiao: China kann man nicht nur als einen Polizeistaat bezeichnen, mit Polizeistaat erfasst man noch nicht alle Kontrollsysteme Chinas, sie haben ein ganz besonderes System aufgebaut mit chinesischem Charakter.

Epoch Times: Würden Sie das als Gedankenkontrolle bezeichnen?

Jiao: Es beinhaltet nicht nur Gedankenkontrolle, es ist auch ein entsprechendes Verwaltungssystem aufgebaut worden mit entsprechenden Gesetzen.

Zum Beispiel die Verfolgung von Falun Gong, das ist nicht nur eine Verfolgung vom Glauben, das ist auch eine physische Verfolgung der Körper, sie werden gefoltert.

Epoch Times: Ist den chinesischen Bürgern im Allgemeinen bewusst, dass viel Kontrolle ausgeübt wird oder hält man das für normal?

Jiao: Manche Leute finden das einfach normal, aber manche finden es einfach unerträglich.

Epoch Times: Was hilft Ihnen, diese Situation zu ertragen?

Jiao: Es ist ein bisschen schwierig, diese Frage zu beantworten.

Epoch Times: Wie hat man sich das Leben vorzustellen in China, jetzt, wo es heißt, dass die Neun Kommentare weit verbreitet sind? Wo sind sie verbreitet? In Firmen, bei Intellektuellen, in Universitäten?

Jiao: Das ist eine unumstrittene Wahrheit, dass die Neun Kommentare in China weit verbreitet sind, aber das geschieht alles im Untergrund. Ich gehöre nicht zu denen, die sie verbreiten, deshalb weiß ich nicht, welche Methoden dafür benutzt werden.

Epoch Times: Mit wem spricht man darüber, liest man das alleine oder spricht man mit Freunden darüber?

Jiao: In meinem Freundeskreis sprechen wir schon über die Neun Kommentare, aber ich habe auch einen besonderen Freundeskreis von Dissidenten oder Andersdenkenden. Ich habe inzwischen auch Freude unter den Falun Gong-Übenden, da sprechen wir schon darüber.

Epoch Times: Hat es in den Neun Kommentaren etwas gegeben, was sie vorher nicht wussten?

Jiao: Viele Fragen, die darin bearbeitet wurden, gehen schon über unsere bisherigen Kenntnisse und Gedanken hinaus, auf eine andere Ebene. Als ich im Juli letzten Jahres den „Wan Renjie-Medienkulturpreis“ entgegen nahm, habe ich auch erwähnt, dass dieser Preis im nächsten Jahr den Autoren der Neun Kommentare verliehen werden sollte. Ich persönlich habe ich auch keine Angst, über Falun Gong oder die Neun Kommentare zu sprechen.

Epoch Times: Wie ist die Stimmung in China gegenüber der KPC?

Jiao: Die KP hat immerhin noch ein ganz strenges Kontrollsystem, aber die allgemeine Meinung zur Legitimität der Alleinherrschaft der KP ist eindeutig negativ.

Epoch Times: Wie tritt die Partei im Alltag in Erscheinung, oder kann man so leben, als wäre da gar nichts?

Jiao: Man spürt schon, dass da überall die Partei ist (lacht). Diese Kontrolle steckt in allen Teilen der Gesellschaft, im  Straßenkomitee, in der Nachbarschaft, an den Universitäten in allen Ebenen, in Minderheitsgebieten wie Tibet und Xinjiang auch, überall in allem.

Epoch Times: Zu den Austrittserklärungen auf der Webseite von Epoch Times: halten Sie die Zahlen für korrekt?

Jiao: Die Menschen, die aus den Parteiorganisationen austreten, kommen häufig aus Falun Gong-Kreisen oder aus den Gruppen, die mit Falun Gong Kontakt haben. Ich finde diese veröffentlichte Anzahl glaubwürdig. Ich weiß mindestens von dieser Zahl der 10 Millionen. Genau weiß ich von drei Leuten, die auf meine Anregung hin ihre Austrittserklärung veröffentlicht haben. Ich selber war kein Parteimitglied, aber ich war Mitglied im kommunistischen Jugendverband; als ich von Freunden angesprochen wurde, hatten wir auch darüber geredet. Daraufhin hatte ich meine Austrittserklärung veröffentlicht.

Epoch Times: Fühlten sie sich besser hinterher?

Jiao: Für mich betrachtet habe ich mich nicht besonders anders gefühlt (lacht), ich finde es aber schon wichtig, es hat eine große Bedeutung. Wir machen das jetzt in dieser Form über das Internet.

Epoch Times: Wie bekannt ist diese Möglichkeit?

Jiao: Ich kenne keine genauen Zahlen, aber ich denke, die Anzahl derer, die informiert sind, ist schon sehr groß.

Epoch Times: Ist durch die Neun Kommentare die Verfolgung von Falun Gong noch einmal bekannter geworden?

Jiao: Ja, ich glaube ja. In offiziellen Medien wurde Falun Gong nur verleumdet, es gab große Propaganda ab 1999, von der wirklichen Verfolgung wurde nichts berichtet. Die Leute wissen gar nicht, dass es solch eine große Verfolgung gibt. Aber durch die Neun Kommentare wissen sie jetzt, dass auch so furchtbare Folter besteht.

Epoch Times: Das ist im Ausland auch nicht so klar, dass die eigene Bevölkerung in China nicht weiß, was geschieht.

Jiao: Ja, das kursiert nur im ganz kleinen Kreis, etwa wenn Familienmitglieder verfolgt werden. In den Medien wurde natürlich gar nichts von der Verfolgung berichtet. Viele Chinesen akzeptieren auch, dass Folter in Arbeitslagern stattfindet, etwa wenn jemand wegen Diebstahl von der Polizei gefoltert wird.

Aber das ist nicht so grausam wie gegenüber Falun Gong. In manchen Familien gibt es auch Gewalt, auch Schlägereien auf der Strasse. Gewalttätigkeit ist in China ein allgemein auftretendes Phänomen. Deshalb erschreckt es die Bevölkerung auch nicht, wenn sie erfahren, dass Falun Gong verfolgt wird, sie sind da nicht so erschüttert, es ist eher normal. Aber die Folter gegen Falun Gong ist besonders grausam.

Epoch Times: Sollte die KP zusammenbrechen, wird es dann ein Chaos in China geben?

Jiao: Ich denke nein, kein großes Chaos.

Epoch Times: Können Sie der Theorie zustimmen, dass das chinesische Volk zu intelligent ist, um in ein Chaos zu stürzen?

Jiao: Ja, ich bin sicher, sie haben die Intelligenz, eine neue Ordnung zu schaffen.

Epoch Times: Wodurch ist ihre gemeinsame Untersuchung mit Rechtsanwalt Gao Zhisheng über Falun Gong zustande gekommen?

Jiao: Rechtsanwalt Gao hat mich eingeladen, an dieser Untersuchung teilzunehmen. Gao hatte schon vorher Falun Gong-Praktizierende juristisch vertreten.

Epoch Times: Hatten sie früher schon Kontakte mit Falun Gong-Praktizierenden?

Jiao: Ich hatte früher nur Kontakte mit Falun Gong, als ich 2004 in Übersee war. Aber innerhalb Chinas kamen die ersten engeren Kontakte während dieser Untersuchung mit Gao zustande. Vor der Verfolgung habe ich sie in den Parks bei den Übungen gesehen.

Epoch Times: Was Sie dann bei dieser Untersuchung gehört haben, war es neu für Sie und glaubwürdig?

Jiao: Ich finde ihre Informationen sehr glaubwürdig. Die Folterungen, von denen sie berichtet haben, übersteigen unsere Vorstellungen. Solche schlimmen Folterungen habe ich früher nur in Romanen gelesen, dass so etwas in unserer jetzigen Zeit vorkommen kann, habe ich nicht gedacht.

Epoch Times: Wir haben jetzt von den vermehrt auftretenden Organtransplantationen gehört, ist das auch in dieser Größenordnung für sie vorstellbar?

Jiao: Ich glaube schon, dass es wirklich passiert.

Epoch Times: Wie ist das vorstellbar, dass niemand davon gewusst hat, kommt das durch das Einschalten des Militärs als Aufsicht?

Jiao: Das ist in China ganz normal, dass so etwas vollkommen zugedeckt werden kann. Das ist in China nichts Besonderes.

Epoch Times: Liegt das an dem Einfluss der KP oder kann niemand so schweigen wie die Chinesen?

Jiao: Je grausamer die Methoden, desto geheimer. Die Zeugen wissen, dass sie sofort gefährdet sind, wenn sie „auspacken“.

Epoch Times: Aber Sie packen jetzt aus!

Jiao: Ich habe keine Angst. Ich meine, diejenigen, die direkt beteiligt sind, Ärzte oder Polizisten, die wagen nicht, darüber zu sprechen. Für Chinesen ist es auch nicht unvorstellbar, dass Organe entnommen werden, denn man hat kein Eigentum, es gibt nichts, was einem wirklich persönlich gehört, man hat kein Privateigentum, auch der Körper gehört nicht zu dem Menschen.

Epoch Times: Möchten Sie noch etwas sagen, was ich nicht gefragt habe?

Jiao: Ja, ich wünschte, dass die deutsche Regierung mehr Aufmerksamkeit auf die Verfolgung von Falun Gong lenkt und ihre Beendigung verlangt. Bundeskanzlerin Merkel sollte auf ihrer Chinareise offen davon sprechen.

 



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