Forschung an Hochwindanlagen: Mit Lenkdrachen Strom gewinnen

Titelbild
Testlauf. Die Kites für die Höhenwindanlagen werden deutlich größer sein.Foto: Fraunhofer IPA
Von 7. November 2012

 

Der Trendsport Kite-Surfen, diese Mischung aus Drachenfliegen und Windsurfen, brachte die Gründer der Berliner NTS Energie- und Transportsysteme GmbH auf folgende Idee: Mit der Flugbewegung des Drachens kann man auf dem Boden auch einen Wagen auf einen Schienenrundkurs ziehen. Ein Generator wandelte die entstehende Bewegungsenergie um in elektrische Energie. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart wollen sie das Vorhaben realisieren. In 300 bis 500 Metern Höhe soll so ein Kite den Wind einfangen. Da in diesen luftigen Höhen mehr Wind zur Verfügung steht als in den zum Beispiel 200 Metern, die die Rotorspitzen eines herkömmlichen Windrades berühren, versprechen sich die Projektpartner nicht nur eine höhere Windenergie-Ausbeute, sondern auch neue Standorte im Flachland, die für die Windenergie infrage kämen. Wir sprachen mit Joachim Montnacher, Diplom-Ingenieur am IPA, über dieses Projekt.

Epoch Times: Acht Kites mit einer Größe von bis zu 300 Quadratmetern sollen rechnerisch 20 konventionellen 1-Megawatt-Windkraftanlagen entsprechen. 300 Quadratmeter? Soll das die Fläche des Rundkurses sein, auf dem die Kites dann fahren oder die Gesamtfläche der Segel?

Joachim Montnacher: 300 Quadratmeter soll die Fläche eines einzigen Drachen sein. Wir sprechen aber eindeutig von der Zukunft. Es gibt noch keinen Drachen mit einer Fläche von 300 Quadratmetern.

Epoch Times: Beeindruckend.

Montnacher: Das ist die Hochskalierung von dem jetzigen.

Epoch Times: Wie wäre denn der Flächenverbrauch im Vergleich zu konventionellen Windkraftanlagen?

Montnacher: Wenn wir eine konventionelle Windkraftanlage hinstellen oder eine Höhenwindanlage, kommen wir auf einen etwa gleichen Flächenverbrauch. Aber die Ausnutzung des Windes ist wesentlich höher bei einer Höhenwindanlage.

Epoch Times: Kann so ein Kite nicht auch mal abstürzen? Und wenn ja, wer bringt den riesigen Drachen wieder hoch?

Montnacher: Nein, der würde gar nicht herunterfallen. Es wird ja so weit oben geplant, dass es selten mal eine Flaute von vielleicht einer Viertelstunde gibt. Wenn es mal eine Grundflaute von mehreren Tagen geben sollte, könnten wir die Kites auch aktiv bewegen und bräuchten sie nicht landen zu lassen.

Epoch Times: Würde das vollautomatisch gehen?

Montnacher: Es würde sicher einen Operator geben, der die Entscheidung dazu trifft, aber sonst würde das automatisch gehen.

Epoch Times: Es heißt, die Materialkosten für den Bau einer solchen Anlage sollen deutlich geringer sein, weil kein Hunderte von Tonnen schwerer Turm benötigt wird. Wenn man den tonnenschweren Windkraftanlagen-Turm mit einem luftig-leichten Drachen vergleicht, kann man sich aber auch vorstellen, dass so ein Windkraft-Kite öfter ausgetauscht werden muss. Wie hoch wird denn die Nutzungsdauer eingeschätzt?

Montnacher: Die Materialentwicklung läuft gerade. Sowohl für die Kites als auch für die Seile sollen Hochleistungsmaterialien entwickelt werden. Zur Dauerbelastbarkeit ist daher noch keine Aussage verfügbar.

Epoch Times: Derzeit werden viele Energiegenossenschaften gegründet. In Gegenden mit wenig Wind wird über höhere Windräder nachgedacht. Da könnten die Höhenwindanlagen mit Lenkdrachen eine interessante Alternative sein. Wie lange wird es etwa dauern, bis Sie Angaben über Kosten, Verfügbarkeit und Haltbarkeit machen können?

Montnacher: Die Angaben für die Kosten werden in 12 bis 15 Monaten verfügbar sein; Schätzungen gibt es jetzt schon. Wir sind jetzt erst in der Phase, dass die Flugversuche erfolgreich absolviert wurden. In der nächsten Phase werden wir in den Rundkurs gehen.

In dieser nächsten Projektphase werden die Versuche hinsichtlich der Betriebsfestigkeit laufen. Das wird im nächsten Jahr sein. Die Verfügbarkeit einer produktionsfähigen Anlage wird sicher noch zwei Jahre dauern.

Epoch Times: Vögel kollidieren mit Windrädern. Vögel würden diese dünnen Seile in mehreren hundert Metern Höhe sicherlich auch nicht sehen. Glauben Sie nicht, dass die Windkraft-Kites problematisch für die Vögel wären?

Montnacher: Das glaube ich nicht. Die Windkraftanlagen drehen ja mit viel höheren Geschwindigkeiten als die Drachen, die dagegen ja fast statisch am Himmel unterwegs sind. Wenn Sie einen Drachen steigen lassen, fliegt Ihnen da ja auch kein Vogel rein. Man müsste sich aber wirklich überlegen, wie man die Leinen kennzeichnet, damit die Vögel nicht darin hängen bleiben.

Epoch Times: Vielen Dank für das Gespräch.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Viel Energie, aber kaum noch Vögel?


[–]

Viel Energie, aber kaum noch Vögel?

Erst nach dem Gespräch mit Joachim Montnacher haben wir vom Bund für Naturschutz erfahren, dass Vögel vor Drachen am Himmel flüchten, vermutlich weil sie sie für Raubvögel halten. Die Vögel verlassen ihre Nester, füttern ihre Jungen nicht mehr und fressen auch selbst nicht. Was für Vögel gilt, gilt wohl auch für andere Tiere, die Raubvögel fürchten. Welchen Einfluss hätten 300 Quadratmeter große Drachen in 300 bis 500 Metern Höhe auf die Vogelwelt? Das wollten wir vom NABU-Vogelschutz-Experten Lars Lachmann wissen.

Lars Lachmann: Vermutlich wird es so ähnlich sein, wie bei der üblichen Windkraft, dass es darauf ankommt, wo die Windkraft-Anlagen hingestellt werden und dass man die tatsächlichen Auswirkungen auf die Vogelwelt erst einmal erforschen muss. Es ist ein potenzielles Problem, weshalb man es auf jeden Fall untersuchen muss.

Bei der derzeitigen Windkraft gibt es ja beide Probleme: Vogelschlag und die Scheuchwirkung. Der Vogelschlag wird dabei kein Problem sein, weil das eine Fläche ist, die sich nicht bewegt. Da wird kein Vogel dagegen fliegen, schon gar nicht in 300 Metern Höhe. Aber die Scheuchwirkung ist vermutlich größer als bei den konventionellen Windkraftanlagen. Ein Flugobjekt am Himmel kann mit einem Greifvogel verwechselt werden, insbesondere wenn es sich bewegt. Die Frage ist, ob die Vögel einschätzen können, dass das Ding einen Durchmesser von 300 Metern hat und somit nicht die Spannweite eines normalen Greifvogels. Oder ob ein 300-Meter-Lenkdrachen in 20 Kilometern Entfernung auf die Vögel wirkt wie ein gefährlicher Greifvogel, der relativ nah dran ist.

Epoch Times: Dann würden in einem ziemlich großen Umkreis keine Vögel mehr brüten.

Lachmann: Genau. Es gibt Untersuchungen zum Kite-Surfen am Wattenmeer. Da ist es ein großes Problem. Denn wo ein Kite-Surfer unterwegs ist, ist im Umkreis von zwei Kilometern keine größere Vogelmenge mehr zu sehen. Wenn wir pro Kilometer einen Kitesurfer hätten, gäbe es im gesamten Wattenmeer keine Vögel mehr. Deshalb wurden im Wattenmeer Zonen ausgewiesen, die für rastende Vögel nicht so wichtig sind, dort können die Kite-Surfer alle an einem Fleck surfen.

Bei den Lenkdrachen zur Energiegewinnung müsste man schauen, wie stark die Auswirkung tatsächlich ist. Ich kann mir vorstellen, dass es eine beträchtliche Störwirkung gibt. Vor allem für Arten, die im offenen Land leben. Man müsste Versuche machen.

Epoch Times: Sie meinen also, dass zu weiteren Untersuchungen auch Vogelkundler eingeladen werden sollten?

Lachmann: Auf jeden Fall. Und zwar möglichst früh, bevor ein teures System entwickelt wird, welches dann aufgrund der Auswirkungen nirgendwo gebaut werden darf. – Es kann natürlich sein, dass die Auswirkungen nicht groß sind. Aber man muss damit rechnen.

Epoch Times: Vielen Dank für das Gespräch.

Die Gespräche führte Heike Soleinsky.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion