„Lohengrin“ an der Deutschen Oper Berlin

Kasper Holtens Neuinszenierung von Wagners „Lohengrin“ misstraut an der Deutschen Oper Berlin dem Werk derart gründlich, dass selbst Publikumsliebling Klaus Florian Vogt die gehirntote Aufführung nicht mehr retten kann.
Titelbild
Klaus Florian Vogt, als Schwanenritter derzeit weltweit gefeiert, war der Star der gestrigen Berliner Lohengrin Premiere.Foto: Marcus Lieberenz im Auftrag der Deutschen Oper Berlin
Von 16. April 2012

 

Männer bei Wagner sind zwiespältige Gestalten: Man denke nur an Tannhäuser und seinen unausgeglichenen Hormonhaushalt, den antiautoritären Naturburschen Siegfried und seine zynisch-aggressiven Züge, den fliegenden Holländer, der de Facto ein Zombie ist – vom unberechenbaren Göttervater Wotan ganz zu schweigen. Allen diesen Schwerenötern stellte der Meister in seinen Werken starke Frauen zur Seite. Diese dürfen ihre Männer dann durch aufopfernde Liebe retten, oder müssen mindestens deren Fehler ausbügeln.

Endlich mal ein Mann als Retter

Aber es gibt eine strahlende Ausnahme – einen Fall, in dem Wagner ein klassisches Geschlechterverhältnis zeigt; ein Stück in dem ein anständiger Mann eine unschuldige Jungfrau vor der Boshaftigkeit der Welt zu beschützen versucht: Lohengrin. Und leider, ja leider bleibt es bei diesem Versuch. Denn er schafft es schließlich nicht, sie vor ihren (Selbst)-zweifeln zu schützen.

Vertrauen oder Misstrauen? Das ist das Thema von Wagners romantischer Oper von 1850.

Und Wagner erzählt uns damit nicht nur seine zarteste und poetischste Liebesgeschichte. Er überblendet in der Gestalt des Lohengrin, des unbekannten Ritters, gleich zwei archaische Motive: Das Vertrauen oder Misstrauen in einen Lebenspartner und das Vertrauen oder Misstrauen in eine göttliche Macht.

Niemals solle Elsa nach seinem Namen fragen, sagt er ihr gleich zu Beginn, sonst könne er nicht mehr bei ihr bleiben. Dieses Frageverbot – und damit das ganze Stück – macht nur dann Sinn, wenn man Lohengrin als reales höheres Wesen begreift, das gezwungen ist, in der Menschenwelt unerkannt zu bleiben.

Mit Engelsflügeln und Superman-Faust

Bei der Premiere des neuen Lohengrins, die am Sonntagabend an der Deutschen Oper über die Bühne ging, überwog eindeutig das Misstrauen. Das begann damit, dass Regisseur Kasper Holten, (ein begnadeter junger Däne mit großem Theaterinstinkt) bereits dem Stück misstraute.

Er versuchte uns die Geschichte von Elsa und Lohengrin als eine ungesunde, dominant-submissive Beziehung zu verkaufen. Das basierte auf seiner Idee, dass Wagners himmlischer Retter eigentlich gar nicht echt ist, sondern ein Blender, der sich dem Volk als eine Art Superman und Heilsbringer präsentiert, um die politische Macht an sich zu reißen. (Klaus Florian Vogt schnallte sich denn auch mehrmals auf offener Szene die Engelsflügel um, um seine Show abzuziehen und ballte gelegentlich die Superman-Faust.) Die prekäre Lage der armen Elsa nutzt er dabei schamlos aus, um ihr das Ehe- und Schweigeversprechen abzunötigen. Dem ging eine Gewaltdarstellung einher, die sadistisch und geschmacklos genannt werden darf.

Das Bühnenbild matschig, aber perfekt

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Das Bühnenbild matschig, aber perfekt

Überhaupt war der Bühnenbild, das mit einigen spektakulären Verwandlungen aufwartete, relativ  düster. Brutalität und Blutvergießen schienen allgegenwärtig (Bühne und Kostüme: Steffen Aarfing). Dazu passte der Chor in seinen grauen, blutverschmierten Uniformen verschiedener Zeitalter. Das Kostümbild war sehr plastisch und stimmig, und trotz der allgemeinen Schmuddeligkeit passten sich Elsas Ecrú-farbenes Brautkleid sowie Lohengrins persilweißes Outfit stilistisch nahtlos ein. Die geschlossene ästhetische Wirkung von Bühnen und Kostümbild, die hervorragende Lichtführung (Jesper Kongshaug) und Choreographie der einzelnen Szenen und Abläufe auf der Bühne sollen an dieser Stelle hoch gelobt werden. Diese handwerklich perfekte Inszenierung war der Grund, warum das Publikum beim Schlussapplaus auf das Regieteam erstaunlich wohlwollend und anerkennend reagierte und seinen Frust über den emotional unbefriedigenden Abend an anderen Unschuldigen ausließ …

Denn zu erdrückend war diese düstere Welt, in der Männer in Schlamm und Blut waten müssen und Frauen die ewigen Opfer sind. Es war ein deprimierendes Zeugnis des Misstrauens in das Gute im Menschen und eine totale Verkehrung von Wagners Intention.

Auch der Dirigent wirkte misstrauisch

Hörbares Misstrauen gab es leider auch. Es kam von Donald Runnicles am Dirigentenpult. Er, der noch vor wenigen Wochen einen vorzüglichen Tristan geleitet hatte, misstraute offenbar der Länge des Stückes (3,5 Stunden Musik netto).

Er hetzte über weite Strecken durch die Partitur und hangelte sich von Höhepunkt zu Höhepunkt. Derlei gibt es ja im Lohengrin viele und er inszenierte sie auch  immer irgendwie  prägnant und effektvoll. Aber es entwickelte sich kein erzählerischer Bogen. Und was noch schlimmer war: Es entwickelte sich keinerlei Atmosphäre. Das Charakteristische am Lohengrin, der scharfe Kontrast von Licht und Finsternis, die alles überstrahlenden A-Dur Sphärenklänge und ihre Lichtwolken, sie erklangen als Töne, wurden aber nicht als Energie fühlbar.

Ebenso die mulmige Düsternis, die einem in einer guten Lohengrin-Aufführung als schleichendes Fis-moll-Gift (in der Szene von Ortrud und Telramund) in die Magengrube krabbelt –  sie fand einfach keinen Ausdruck. Die Gesamtleistung des GMD und seines Orchesters kam nicht über das künstlerische Todesurteil hinaus: Es war Routine.

Besonders schmerzlich war dies in Elsas Szene „Euch Lüften, die mein Klagen“. Hier hätte die Zeit still stehen müssen, Ricarda Merbeth hätte Kantilenen entfalten können, doch bei dem viel zu schnellen Tempo rangen auch die virtuosen Solisten aus der Holzbläsergruppe verzweifelt danach, in Sekundenbruchteilen so etwas wie Verliebtheit und Süße zu produzieren.

Umso erstaunlicher, dass das Publikum diese Defizite klaglos hinnahm und den Dirigenten und sein Orchester genauso routinemäßig feierte. Der tadellose Chor von William Spaulding zeigte, dass er auch bei diesem Tempo in technischer Perfektion, jedoch fast ohne Aura, mitziehen konnte.

Dass die Inszenierung keinerlei Absicht hegte, eine Liebesgeschichte zu erzählen und sich die Lieblosigkeit so schmerzhaft in der Musik niederschlug, machte den Abend für die Hauptdarsteller zur Tour de Force. Die Sänger der Nebenrollen der vier brabantischen Edlen sowie der Edelknaben agierten solide und auf hohem Niveau.

Sänger, die mehr als alles geben mussten

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Sänger, die mehr als alles geben mussten

Am leichtesten hatte es noch Petra Lang als Ortrud. Sie gab die böse Hexe fies, mit sensationeller Stimmführung, aalglatten Linien, immer klangschön und mit sehr guter Textverständlichkeit. Sie wurde vom Publikum am Ende frenetisch gefeiert.

Ricarda Merbeth als Elsa hatte zwar alles, was sie als Rüstzeug für die Rolle brauchte, einen Engelssopran mit großem Kraftpotential, das sich nicht zu verbrauchen schien, Charme, Mädchenhaftigkeit, filigrane Gestaltungsmöglichkeiten in der Dynamik, schauspielerische Hingabe. Und doch wollte einem ihr Schicksal nicht zu Herzen gehen. Die Stimmung der Aufführung war schal und tot und dagegen konnte auch sie nichts ausrichten. Sie kam in der Applausgunst knapp nach ihrer Kollegin.

Einen schlechten Tag hatte wohl Albert Dohmen als König Heinrich erwischt, der als erfahrener Wagnerbass von Welt erschreckend blass und profillos blieb. Er erntete dafür einzelne Buhs.

Nach einer Aufwärmphase im ersten Akt steigerte sich Gordon Hawkins als Telramund im zweiten Akt zu einem ernstzunehmenden Empfehlungskandidaten für diese vertrackte Rolle. Als flammender, hochtimbrierter Bariton hatte er keine Schwierigkeiten, Telramunds trotzige Ausbrüche singend anstatt brüllend zu meistern – und das schaffen nur die Besten! Ausbaufähig an seiner intensiven Darstellung war lediglich seine deutsche Aussprache, weil bei ihm noch amerikanischer Akzent durchschlug. Er wurde am Ende stark ausgebuht. Zu Unrecht. Der Heerrufer Bastiaan Everink hatte stimmlich weit weniger zu bieten, dafür aber das  Publikum auf seiner Seite.

Wie die Sonne, die  durch Wolken bricht

Der Star des Abends war Klaus Florian Vogt als Lohengrin. Sein kurzfristiger Einsatz nach der Absage von Marco Jentzsch, der eigentlich die ganze Vorstellungs-Serie hätte singen sollen, war mit Spannung erwartet worden. Und Vogt war es, der dem Trauerspiel für Momente Lohengrin-Zauber einzuhauchen vermochte. Seine goldene Stimme  flutete den Raum mit wohltuender Reinheit, Natürlichkeit und perfekter Textverständlichkeit. Er überstrahlte alle anderen Beteiligten bei weitem und brach mit seinem „Nun sei bedankt mein lieber Schwan“ wie die Morgensonne durch eine trübe Nebelwand.

Gegen diese Nebelwand, die ihn in der Inszenierung von seiner Rolle und ihrer wahrhaft innewohnenden Güte trennte, sang er den ganzen Abend lang tapfer, doch mit bescheidener Haltung an. Seine Gralserzählung war ein Gedicht. Obwohl in der Brautgemachszene keinerlei Nähe aufkam und es auf ein leidenschaftliches Aneinandervorbeireden hinauslief, harmonierte er glänzend mit seiner Bühnenpartnerin. Und noch etwas machte Vogt als Künstler sympathisch: Es fiel ihm sichtlich schwer, am Ende noch einmal die Superman-Faust zu ballen.

 



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