Rebiya Kadeer: „Jetzt zerstören sie unsere Kultur“

Chinas „Staatsfeindin Nr. 1“ zur Lage der muslimischen Uiguren in China
Titelbild
Rastlos unterwegs für das uigurische Volk. (Foto: Getty Images)
Von 23. Oktober 2007

Ein warmes Lächeln strömt mir entgegen, dabei haben wir uns einander noch gar nicht vorgestellt. Und eigentlich ist da auch noch ein anderer Interviewtermin, der die volle Aufmerksamkeit bekommen müsste, doch das scheint für einen Moment, in dem sich in ihrem jugendlich wirkenden Gesicht ein freundliches Lächeln entfaltet, nicht wichtig – so lerne ich Rebiya Kadeer, Vorsitzende des Uigurischen Weltkongresses, in Hamburg kennen. Kaum zu glauben, dass diese 60-jährige Dame mit den dunkelgrauen Haaren, die sauber zu zwei langen Zöpfen geflochten sind, Chinas Staatsfeindin Nr. 1 sein soll. Doch es ist so – diese so lebhaft, aber klar kontrolliert gestikulierende Dame mit den verräterisch-schelmischen Lachfalten ist die nach dem Dalai Lama wohl bekannteste Vertreterin einer in China unterdrückten Nationalität – der Uiguren. Auf der Liste der Gesellschaft für bedrohte Völker stehen die Uiguren weit oben. Im Oktober 1949 habe das Leiden ihres Volkes begonnen, so Kadeer, als die Volksrepublik China in Ostturkestan, der heutigen Autonomen Region Xinjiang, einmarschierte.

Ihr persönlicher Leidensweg begann erst später. Kadeer geriet bei der KP-Führung in Ungnade, als sie 1997 eine Rede vor dem chinesischen Volkskongress gab, in der sie die Politik der chinesischen Regierung in der Provinz Xinjiang scharf verurteilte. Kurz darauf wurde sie aus dem Volkskongress ausgeschlossen. Ebenfalls 1997 gründete sie die „Tausend-Mütter-Bewegung“, um die Rechte von Frauen und ihre wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten zu fördern. Im Jahre 1999 verurteilte man sie wegen „Weiterverbreitung von Staatsgeheimnissen“ zu acht Jahren Gefängnis. 2004 wurde sie auf internationalen Druck hin vorzeitig entlassen.

Im Epoch Times-Interview spricht die nach eigenen Angaben ehemals reichste Frau Chinas, Mutter von elf Kindern und Bestsellerautorin („Die Himmelsstürmerin“) über die unverändert harte Vorgehensweise gegen Vertreter ihres Volkes. Durch geplante Zuwanderung, Zwangsabtreibungen und neuerdings auch durch die Ausrottung ihrer Kultur werde an den Uiguren ein von der Weltöffentlichkeit nur wenig beachteter Völkermord begangen.

ETD: Frau Kadeer, wie geht es ihren Kindern, die in der Xinjiang-Region geblieben sind?

Rebiya Kadeer: Zwei, die im Gefängnis sitzen, haben keine Möglichkeit, mit ihrer Frau Kontakt aufzunehmen. Es gab bisher keine Möglichkeit, sie zu besuchen. Drei stehen unter Hausarrest. Meine Verwandten und Freunde werden beobachtet und haben Angst, Probleme zu bekommen. Meinen Bekannten in der Heimat wurden die Pässe entzogen, damit sie nicht ausreisen können. Jemand, der mich unterstützt hat, wurde von einem Auto angefahren. Ich glaube nicht, dass das ein Zufall war. Die chinesische Regierung versucht, meine Aktivitäten im Westen einzustellen, deshalb schreibt sie auch Briefe an die Regierungen. So hat die chinesische Botschaft an alle europäischen Parlamentarier Briefe geschrieben, keinen Kontakt mit mir aufzunehmen, da ich ein Terrorist und Separatist sei. Sonst würde das die Beziehungen stören. Auch in meinem Land haben sie Leute gekauft und gegen mich Aussagen lassen und das im Internet-TV gesendet. Ist das die Arbeit, die ein ehrbarer Staat macht? Ich bin kein Terrorist, der chinesische Staat ist der Terrorist. Er ist es, der unschuldige Menschen ins Gefängnis steckt und tötet – wer sonst sollte ein Terrorist sein? Ich bin fest davon überzeugt, dass ich Recht habe, weil ich für Demokratie kämpfe, für Menschenrechte, ich werde mich nicht einschüchtern lassen.

ETD: Was für ein Problem hat die chinesische Führung aus ihrer Sicht mit den Uiguren?

Rebiya Kadeer: Die Kommunistische Partei will uns assimilieren, und wir wehren uns dagegen – das ist das Hauptproblem. Die Chinesen sind Chauvinisten, da wir eine eigene Kultur haben und mit einer eigenen Identität existieren. Sie sind als Besatzungsmacht bei uns, haben das Land 1949 besetzt. Jetzt haben sie Angst, dass unser Anliegen ein Weltthema wird. Man glaubt manchmal, die Chinesen wollen das Wort „Genozid“ (Anm. d. Völkermord) ganz aus dem Wörterbuch löschen, dann hätten sie Ruhe. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir haben nichts gegen die Chinesen, wenn wir in Frieden und mit unserer eigenen Identität leben können. Seit 48 Jahren versuchen die Uiguren, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen. Wir haben nicht gegen das Gesetz verstoßen. Im Jahr 1954 haben sie unsere reichen und intelligenten Leute mit der Beschuldigung, sie seien Separatisten, fanatische Religionsanhänger etc., verhaftet. 1957 haben sie alle unsere Intellektuellen mit der Beschuldigung, sie seien gegen das kommunistische Regime, ins Gefängnis gesteckt. 1966 haben sie unsere führenden Personen willkürlich festgenommen. Die Unterdrückung kam in drei großen Wellen.

ETD: Die KPCh versucht, sich ein moderneres Image zu geben. Hat sich an der Lage der Uiguren in den vergangenen Jahren etwas geändert?

Rebiya Kadeer: Die Politik gegenüber anderen hat sich vielleicht geändert, gegenüber den Uiguren hat sich nichts geändert. Auch auf dem 17. Parteitag nicht. Bis vor zehn Jahren haben sie versucht, uns nur mit anderen Mitteln zu zerstören.

Jetzt greifen sie auch unsere Kultur an. Heute ist noch im Gang, dass sie unsere Schrift und Sprache abschaffen wollen. Die Schulkinder werden nach China zur Gehirnwäsche transferiert. Sie haben jetzt auch ein Auge auf unsere Mädchen geworfen. Mädchen zwischen 14 und 25 Jahren werden ohne Zustimmung ins Innere Chinas geschickt. Das ist ein großes Drama für uns, sie müssen dort in Bars arbeiten und werden ins Schaufenster gestellt. Sie wollen die Anzahl dieser Mädchen auf 1,2 Millionen erhöhen. Das ist eine Art von schleichendem Genozid, dass sie uns unsere Mädchen wegnehmen. Auch die Geburtenkontrolle, die Uiguren werden zur Zwangsabtreibung gezwungen. Stattdessen bringen sie Han-Chinesen. Uiguren mit Uni-Abschluss bekommen keine Arbeit. In der Verwaltung werden nur Han-Chinesen eingestellt. Als sie uns 1949 besetzten, waren nur zwei Prozent Han-Chinesen, jetzt sind es über 60 Prozent.

Die ungeplante Zuwanderung führt auch zu Umweltschäden. Drei Seen sind dadurch ausgetrocknet. Wir werden ausgebeutet, die Bodenschätze werden ausgebeutet, wodurch auch die Umwelt gestört wird. Früher konnten Uiguren zumindest in der Landwirtschaft arbeiten und so ihren Lebensunterhalt bestreiten. Jetzt haben sie diese Möglichkeit nicht mehr, da so viele Han-Chinesen zu uns gekommen sind. Gegen so große Unterdrückung wehren sich die Leute.

ETD: Wie ist die Situation der Uiguren in den Arbeitslagern? Gibt es auch hier Fälle, bei denen die Häftlinge für ihre Organe umgebracht wurden, wie dies ein Bericht bei Falun Gong-Praktizierenden nahe legt?

Rebiya Kadeer: Das ist ein brennender Punkt. Im Jahr müssen Uiguren drei Monate ins Arbeitslager, umsonst arbeiten. Auch Kinder, nicht nur Erwachsene. Sie werden willkürlich festgenommen und bestraft. Den Verkauf von Organen gibt es, aber wir haben keine Beweise dafür, deshalb möchte ich darüber nicht viel sagen. Die Organe von Uiguren, die hingerichtet wurden, werden nicht zurückgegeben. Was machen sie dann mit den Organen? Das ist sehr selten, dass die Angehörigen eines politischen Gefangenen die Leiche wieder zurückbekommen. Das kommt nur bei einem von tausend Fällen vor.

ETD: Wie ist der traditionelle uigurische Zugang bezüglich dieses Themas?

Rebiya Kadeer: Nach unserer Tradition ist die Bestattung eine heilige Sache, solche Dinge, wie die Organe eines Toten zu verwenden, sind ein Tabu. Er müsste nach unserer Tradition bestattet werden. Was kann man machen, wenn die Soldaten die Leiche mitnehmen? Es gibt solche Fälle, dass wir die Leichen überhaupt nicht zu sehen bekommen. Es wird dann gesagt, nein, das können wir nicht erlauben, das war ein Regimekritiker. Bei Zwangsabtreibungen wird oft gesagt, dass die Kinder tot auf die Welt gekommen sind, aber was passiert mit diesen Organen?

ETD: Denken Sie, dass sich viele Medien von der chinesischen Führung täuschen lassen? Viele berichteten, dass Staatschef Hu Jintao bei seiner Rede am 17. Parteitag das Wort Demokratie 60 Mal verwendet haben soll.

Rebiya Kadeer: Die Reporter sollten zuerst beobachten, dann berichten. Sonst sollten sie so trockene, seit Jahrzehnten zu hörende Aussagen nicht verbreiten.

Wenn Hu von Demokratie redet, soll er sie auch in Gang setzen. Journalisten freien Zugang in alle Gebiete Chinas ermöglichen. Er sollte Leute wie Chen Guangcheng, solche politische Aktivisten, die nur wegen ihrer Äußerungen im Gefängnis sitzen, freilassen. Er soll auch meine Kinder freilassen. Und freien Zugang zu Tibet und Ostturkestan geben, damit die Journalisten sehen, was dort los ist, und die Bevölkerung sich auch frei äußern lassen. Dann sollte auch, vielleicht nicht so wie in Europa, aber zumindest ein Zehntel der Demokratie wie hier in Europa sollte vorhanden sein. Und er sollte den Journalisten der Welt freien Zugang gewähren, damit sie mit den Falun Gong-Leuten reden können, mit der tibetischen Opposition, mit der uigurischen Opposition, mit Demokratieaktivisten – und dann sollen sie berichten, dass es Fortschritt gibt. Delegationen sollten von anderen Ländern hingeschickt werden, ob das ein bisschen realisiert wird.

Vor den Olympischen Spielen wird alles versprochen, aber es sind keine Schritte in diese Richtung gemacht worden. Die Weltmedien sollten sich nicht ausnutzen lassen. Nichts ist besser geworden.

Wenn wirklich etwas in Richtung Demokratisierung gemacht worden wäre, hätten sie den Empfang des Dalai Lama durch Angela Merkel begrüßen sollen. Wenn es wirklich Demokratie geben würde, warum versucht man dann, meine Aktivitäten einzustellen und verfolgt mich, schickt Briefe an alle möglichen offiziellen Stellen? Wenn es Demokratie wäre, warum können Falun Gong-Leute ihre Religion nicht ausüben? Wenn es Demokratie wäre, müssten sie akzeptieren, dass sie am Tiananmen-Platz Fehler gemacht haben und sich gegenüber der Welt entschuldigen. Die damals an der Macht waren, müsste man vor Gericht stellen. Am 5. Februar 1997 wurden viele unserer Leute festgenommen, die noch immer im Gefängnis sitzen. Wenn das alles gemacht wird, dann kann man von Demokratie reden, dann wäre Demokratie glaubwürdig.

ETD: Wie sollte sich der Westen verhalten, die Wirtschaft hat doch starke Interessen in China?

Rebiya Kadeer: Die europäischen Länder, die Länder im Westen und die Länder mit Demokratie sollten jede Gelegenheit wahrnehmen, Druck auszuüben, sonst wird diese Gefahr jeden Tag größer. China versucht, Länder zu unterstützen, die ihre Bevölkerung unterdrücken, den Iran, Burma,… Deshalb muss man auch die wirtschaftlichen Beziehungen von den Menschenrechten abhängig machen. Die demokratischen Länder müssten auch bereit sein, Opfer zu bringen. Da würden dann ja nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen Europas kaputt gehen, das schadet ja auch China, deshalb sollte man auch Risiken eingehen und Opfer bringen, dann sieht man, dass China nicht so stark ist, wie es von außen aussieht. Die westlichen Länder sollten zusammenarbeiten. Wenn Deutschland die Beziehungen abbricht, sollte auch Frankreich nicht mehr Handel mit China treiben. Man sollte geschlossen eine Meinung vertreten. Wenn Deutschland sich für Menschenrechte einsetzt und Frankreich und Großbritannien nicht, dann bringt das nichts.

ETD: Warum ist China nicht so stark?

Rebiya Kadeer: China ist nicht so stark, wie Europa glaubt. Falls westliche Firmen und Regierungen ihre Investitionen von China zurückziehen würden, würde das der chinesischen Regierung viel mehr schaden. Es würden Hunderttausende arbeitslos, das würde auch die Regierung schwächen. Die Unruhe von innen würde das Regime unter Druck bringen. Die chinesische Regierung nimmt zwei Wörter nur allzu gerne in den Mund: Frieden und Solidarität. Aber diese zwei Wörter beruhen auf Gerechtigkeit und Demokratie.



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