Weh dem, der Wagner nicht versteht

Philipp Stölzl begräbt an der Deutschen Oper Berlin Wagners „Rienzi“ unter NS-Klischees
Titelbild
Foto: Bettina Stoess im Auftrag der Deutschen Oper Berlin
Von 10. Februar 2010

Um das Elend abzukürzen: Er hat uns nichts erspart. Restlos jedes Klischee wurde ins Rampenlicht gezerrt, um dem Publikum die Schamröte ins Gesicht zu treiben: Das Liebespärchen scherzt und schäkert mit Maschinengewehr (sie als Eva Braun im Dirndl, er in schwarzer Uniform), der Führer streichelt Kinderköpfchen, Aufmärsche und Exekutionskommandos, Atombombenexplosionen …

Große Erwartungen hatte es gegeben für die erste szenische Rienzi-Inszenierung in Berlin seit 113 Jahren.

Multitalent Philipp Stölzl, der von Musikvideos über Filme und Opern schon viele Erfolge eingeheimst hat, durfte an der Deutschen Oper die Regie führen –  und es endete als totaler Krieg gegen das tragisch vorbelastete und völlig zu Unrecht unterschätzte Jugendwerk Wagners.

Hitlers erklärte Lieblingsoper zu werden war sicher ein herber Schlag für „Rienzi“, rechtfertigt aber keinesfalls den panisch-parodistischen Umgang mit dem Stück, wie ihn nun Stölzl praktizierte: Bei Wagner gibt es leider keine Ausreden und Halbwahrheiten, Erlösung oder Untergang heißt hier die Losung.

Der Held, ein unverstandener Gerechter

„Rienzi, der letzte der Tribunen“ spielt im mittelalterlichen Rom und fußt frei auf der Geschichte des Cola di Rienzo (1313-1354). Als unübersehbares Alter Ego des jungen Wagner, ist er im Stück der Gute, der Visionäre, der so sehr an das Streben nach Höherem und die Gottergebenheit seiner Mitmenschen glaubt, dass er sogar seine Feinde begnadigt, als sie ein Attentat auf ihn vorhaben. Sein Verhängnis – denn sie bessern sich nicht, wie er hoffte, sondern zetteln einen verheerenden Bürgerkrieg an. Am Schluss gelingt es ihnen, das ganze Volk moralisch soweit zu korrumpieren, dass es sich gegen Rienzi wendet und ihn samt seiner Schwester ermordet.

Wenn das Textbuch mit seinem naiven Pathos, zahlreichen „Heil!“-Rufen und Treueschwüren heutzutage als verdächtig empfunden werden kann, dann nur weil Hitler sich schamlos den hehren Tonfall des Komponisten und seiner Figuren aneignete.

Nur will man das heute offensichtlich gar nicht mehr so sehen – Vorsichtsmaßnahme! Man wittert politisch-ideologischen Sprengstoff, wo Junggenie Wagner  in aller Unverdorbenheit eigentlich nur seinen großen Traum träumte, nämlich die Welt zu verbessern: „Zu hellen den, der niedrig denkt, zu heben, was im Staub versenkt.“ So singt es Rienzi  in seinem Gebet.

Rienzi ist als Oper ein Sonderfall, ein Stück, das sich ganz auf den strahlenden Helden und sein Scheitern in einer entgleisenden Gesellschaft konzentriert; eine Kontemplation über die Fragen, wo für einen Herrscher die Grenze von Gut und Böse liegt und wie viel Gewalt man ausüben darf, um Frieden zu sichern. Sie schließt mit der erschütternden Einsicht, dass man machtlos ist, wenn sich die Leute partout nicht dem Guten zuwenden wollen.

Geschrieben im Jahr 1842, im globalisierten 2010 aktueller den je. Wozu dann altbackener Nazi-Klamauk? Hier wurde eine große Chance verschenkt.

Trotzdem: Ein musikalischer Triumph

Vom Schlamassel auf der Bühne abgesehen –  (einige äußerten ihren Unmut in verhaltenen Buhrufen), am Ende ließ sich das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißen, zumal sich bei dieser dritten Berliner Aufführung dem Zorn keine Zielscheibe bot, das Regieteam nicht wie bei Premiere vor den Vorhang kam und die Musiker nicht nur wie immer unschuldig, sondern geradezu fantastisch waren an diesem Abend.

Sebastian Lang-Lessing am Pult und das Orchester der Deutschen Oper gaben sich der Partitur (die um zwei Drittel gekürzt erklang) voll heiligem Ernst und Entschlossenheit hin: Strahlend schön und ehrlich klingt der junge Wagner unter ihren Händen. Das Feuer, die großen Bögen und der Tiefgang wurden vom Dirigenten voll ausgekostet, dabei folgte er ohne Sentimentalität und Effekthascherei der geradlinigen Musik – Respekt!

Gewaltig gelangen die Chorszenen: Chor und Extra-Chor der Deutschen Oper (Einstudierung William Spaulding) hatten viele Gelegenheiten zum Jubilieren, zu atmosphärischer Andacht oder Raserei. Rienzi ist schon wegen der Chöre atemberaubend und wenn diese dann so kultiviert und nuanciert dargeboten werden – Halleluja!

Die strahlende Klarheit der sehr hoch liegenden Frauenstimmen beeindruckte. Besonders in der Gebetsszene, in der im Krieg um Beistand gefleht wird, waren sie erschütternd. Hier und während  Rienzis Arie wurde im Publikum hörbar geweint –  wegen der Musik.

Großartige Sänger

Dem charismatischen Rienzi von Torsten Kerl hätte man gewünscht, dass ihm der Diktatoren-Clown erspart geblieben wäre, denn er war schauspielerisch sehr überzeugend. Sein schlanker, silbrig heldischer Tenor passte genau zur Rolle. Von kleinen Ermüdungen abgesehen wurde er den Anforderungen seines exponierten Parts voll gerecht. Rienzis Gebetsszene – ein Traum!

Flankiert wurde er von seiner getreuen Schwester Irene, der herrlich lyrisch-lichtvollen Sopranistin Camilla Nylund, die leider als die anfangs erwähnte arische Maid herhalten musste.

Star des Abends war Mezzosopranistin Kate Aldrich als junger Edelmann Adriano, der verzweifelt zwischen Liebe, Loyalität und Verrat schwankt. Mit flammender Stimme und schonungsloser Bühnenpräsenz riss sie das Publikum mit. Eine energiegeladene Frau, wie wir sie uns bei Wagner wünschen, nur bitte ohne obligates Maschinengewehr.

Mit von der Partie waren dann noch die solide düstren Verräter Rienzis, Ante Jerkunica als Steffano Colonna, Krzystof Szumanski als Paolo Orsini, sowie Lenus Carson, Clemens Bieber und Stephen Bronk in ergänzenden Rollen.

Am Ende blieb Kopfschütteln, gepaart mit der erlösenden Erkenntnis, dass Wagners Stern die Wirren der Weltgeschichte überstrahlt – mögen Tyrannen und Theatermacher auch noch so wüten …

Foto: Bettina Stoess im Auftrag der Deutschen Oper Berlin


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