„Wir wurden von ihm betrogen, wir alle!“

Die Mao-Biografie öffnete einer Chinesin die Augen
Titelbild
Arbeiter müssen sich noch immer geschlossen vor Mao verneigen, hier bei der Einweihung einer neuen Mao-Statue am 6. September in Changchun, einer Millionenstadt im Nordosten Chinas. (Foto: China Photos/Getty Images)
Von 14. Oktober 2005

„Wir wurden von ihm betrogen, wir alle!“, damit blickte meine Mutter auf von dem dicken Buch „Mao“ und zeigte auf das Portrait von Mao Tse-tung auf dem Buchumschlag. Die Autorin des Buches, Jung Chang, die bereits für ihr Erinnerungsbuch Wilde Schwäne – in 30 Sprachen übersetzt, in 12 Ländern lange auf Platz 1 der Bestsellerlisten – zahlreiche Preise erhalten hat, ist meiner Mutter nicht unbekannt. Sie wurde als Chinesin, die alle politischen Kampagnen seit der Machtübernahme der kommunistischen Partei in China am eigenen Leib erlebt hat, sowohl durch die Lektüre von Wilde Schwäne als auch von Mao sehr zum Nachdenken gebracht.  

„Ich habe Mao wie einen Gott verehrt  und seine Lehre für die absolute Wahrheit gehalten! Ich wusste nicht, dass er ein Massenmörder war!!“ Mit Entsetzen und Enttäuschung stellte meine Mutter dies beim Lesen fest. Seitdem ich die umfangreiche Biografie „Mao“ für meine Mutter gekauft habe – sie spricht sehr gut Deutsch -, höre  ich oft von ihr, die bisher sehr gerne meinen einjährigen Sohn spazieren fuhr: „Kannst Du heute mal mit dem Kleinen spazieren gehen? Ich möchte lieber weiter lesen.“

So etwas wie den ersten Satz des Buches hätte meine Mutter in ihrem 62-jährigen Leben in China nie hören dürfen: „Mao Tse-tung, der jahrzehntelang absolute Macht ausübte über das Leben eines Viertels der Weltbevölkerung, war verantwortlich für über 70 Millionen Tote in Friedenszeiten – kein anderer politischer Führer des 20. Jahrhunderts reicht hier an ihn heran.“

Sohn einer „ausbeutenden Klasse“

Der Vater meiner Mutter, also mein Großvater, wurde beinahe einer dieser 70 Millionen Toten. Meine Mutter erzählte mir: „Als Sohn einer „ausbeutenden Klasse“ – der Grundbesitzerklasse – war er in den 50er Jahren gezwungen, mit der ganzen Familie zu fliehen, um einer möglichen Ermordung zu entgehen. Der Kulturrevolution (1966-1976) konnte er jedoch nicht entkommen. In dieser Zeit wurde er von Peking in seine Heimat in Nordostchina zurückgeführt und dort öffentlich gedemütigt. Später fand meine Mutter heraus, dass ihr Vater Selbstmord begehen wollte, weil er die Schikanen und jahrelangen Qualen durch die viel zu harte Arbeit nicht mehr aushielt. Zum Glück hat meine Urgrossmutter ihn in der schwierigen Situation zum Durchhalten ermutigt. 1979, einige Monate vor seinem 60. Geburtstag, erhielt mein Großvater eine Rehabilitationsmitteilung, die besagte, dass er nicht mehr als „Anti-Klasse“ eingestuft wird und wie „normale“ Menschen arbeiten darf. Üblicherweise beginnt mit 60 Jahren in China aber das Rentenalter.

Noch 29 Jahre nach Maos Tod

Auch 29 Jahre nach Maos Tod hängt sein mehrere Meter hohes Portrait noch immer vor dem Hauptgebäude am Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Vor der „Erinnerungshalle des Vorsitzenden Mao“, fast in der Mitte des Platzes, stehen Menschen aus ganz China Schlange, um einen kurzen Blick auf Maos Leichnam zu werfen, die einen mit Respekt, die anderen aus Neugier. Dafür muss man besonders an Feiertagen stundenlang warten und wird von Polizisten überwacht- angeblich um zu verhindern, dass jemand eine Bombe legt.
Meine Mutter ist froh, dass sie Germanistik studiert hat und Deutsch lesen kann. An viele Informationen über China gelangen Chinesen nur in einer Fremdsprache. Auf Deutsch konnte sie zum Beispiel Wilde Schwäne lesen. Die chinesische Version des Buches Mao ist noch in  Bearbeitung. Aber es wird dann nur in Taiwan, nicht in der VR China zu kaufen sein. Jung Changs weltberühmte Bücher, weltweit zu kaufen, in China sind sie verboten.

Von der KPC verordnete Tabus

Webseiten kann die KP Chinas blockieren und tut das auch, doch die Öffnung des Landes kann sie nicht  stoppen, das Verlangen der Menschen nach der Wahrheit über die letzten 50 Jahre in China noch viel weniger. Obwohl meine Mutter wie alle chinesischen Touristen und „guten“ chinesischen Staatsbürger in Deutschland keine „anti-chinesischen“, sprich antikommunistischen, Materialien entgegen sollte, hat sie hier alles, was sie über China lesen konnte, heißhungrig angenommen und studiert. Der Besitz „anti-chinesischen“ Materials kann in der Volksrepublik China zu mehrjähriger Freiheitsstrafe führen. Aber meine Mutter ist nicht anti-chinesisch eingestellt, allerdings lernt sie immer mehr zu unterscheiden, dass die KPC nicht China ist und dass auch die Regierung nicht China ist. Das aber will die Propaganda den Chinesen seit Jahrzehnten einreden.  

Keine Frage, meine Mutter hat nichts „Gefährliches“ im Gepäck bei ihrer Rückreise nach China, zumindest nichts Sichtbares, denn sie hatte niemals die Ambition, etwas politisch zu verändern und möchte in der streng kontrollierten und auf Strafe aufbauenden chinesischen Gesellschaft keine Unannehmlichkeiten haben. Ihre veränderte Einstellung gegenüber der KPC nimmt sie allerdings auf jeden Fall mit: „Mao war nicht nur selbst ein Verbrecher, sondern er hat auch noch mehrere Generationen der KPC in der Nach-Mao-Zeit bis zum heutigen Tag stark beeinflusst. Wo bleibt ein chinesischer Gorbatschow?“  



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