Abkehr von pädagogischen Irrwegen – hin zu Werte-orientierter Erziehung

Die Tat von Lünen hat die bildungspolitische Landschaft aufgeschreckt. Jetzt wird wieder nach Erziehung in der Schule gerufen. Werte sollen vermittelt werden. Doch wer hat denn das Thema Erziehung den Schulen und den Lehrern weggenommen? Eine nachdenkliche Betrachtung will einige Hinweise geben.
Titelbild
Weniger Handys dafür mehr Bücher für Kinder?Foto: Felix Heyder/dpa

Die Zeit der großen visionären bildungspolitischen Reformeuphorie ist endgültig zu Ende. Übriggeblieben sind enttäuschte Hoffnungen, Überdruss, Resignation bei allen Betroffenen, bei Eltern, Lehrern und Schülern gleichermaßen. In dieser Situation ist eine Abkehr von pädagogischen Irrwegen und eine Besinnung auf eine an Werten orientierte Erziehung notwendig.

Die Pflicht, sich mit Wertvorstellungen auseinanderzusetzen

Wertorientierte Erziehung ist im traditionellen Sinne eine Tautologie (verdoppelte Aussage). Da aber auch in der Erziehung im Rahmen der sogenannten Bildungsreform vieles bisher Feststehende angezweifelt wurde, soll die wertorientierte Erziehung einen ausdrücklichen Kontrast zu den Versuchen emanzipierter Erziehung herstellen. Das Problem der wertorientierten Erziehung besteht in der Schwierigkeit, in der pluralistischen Gesellschaft einen Kanon allgemein verbindlicher Normen zu erstellen.

Der Mensch lebt hinsichtlich seiner Wertvorstellungen in einer pluralistischen Weit, die ihm heute nur noch diejenigen Normen auferlegt, die strafrechtlich sanktioniert, kaum noch die für den Bestand der Gesellschaft unerlässlich sind. Diese aber werden kaum noch ernsthaft eingefordert. Der Mensch hat aber das Recht und als mündiger Mensch sogar die Pflicht, sich mit Wertvorstellungen kritisch auseinanderzusetzen. Konkret gesprochen heißt dies auch, sich um den Menschen zu kümmern ist wesentlich schwieriger, als über die Menschheit zu philosophieren.

Wenn junge Menschen von der Schule zu Recht erwarten, dass die Schule sie auf das Leben in der Gesellschaft vorbereite, dann dürfen die entscheidenden Fragen menschlicher Existenz – Erlaubnis und Verbot – aus dem Geschehen der Erziehung nicht ausgeklammert werden. Die Schule gerät sonst in Gefahr, nicht zur Selbstverwirklichung, sondern eher zur Verstümmelung des sich selbst finden wollenden Menschen beizutragen.

Die vornehmste Fähigkeit des Menschen ist die Fähigkeit zur Entscheidung

Denn die vornehmste Fähigkeit des Menschen besteht ja wohl darin, sich entscheiden zu können, das heißt angesichts der Grundfragen der geschichtlichgesellschaftlichen Existenz,  sein eigenes Dasein als das von ihm zu lebende und zu verantwortende Dasein zu begreifen. Dies aber kann nur geschehen, wenn er ein Verhältnis zu dem Sinn seines Lebens gewinnt. Denn Entscheidung will von sich selber her sinnvolle Entscheidung sein. Erst wenn dies geschieht, kommt menschliches Leben zu der ihm möglichen geschichtlichen Freiheit, die nun nicht mehr ein bloßer leerer Begriff wäre, eine bloße Freiheit von etwas, sondern eine partizipative, erfüllte und gelebte Freiheit.

Jede Erziehung, wenn man sie als vernünftige und daher begründbare Tätigkeit ansieht, setzt Zustimmung zum Leben voraus. Die Bejahung des Lebens ruht auf dem Fundament einer grundsätzlichen Sinnbejahung. Eine solche Erziehung hat es freilich erheblich schwerer als eine die Beliebigkeit unterstützende Auffassung des Heranwachsens. Sie muss Wertvorstellungen entwickeln und Haltungen anbahnen.

Sofern wir als ein wesentliches Element der Erziehung die Fähigkeit zur Verbesserung gegebener Verhältnisse und nicht deren bloße Ablehnung ins Auge fassen, bedeutet das, zu einer grundsätzlich positiven Lebenshaltung zu führen. Erziehung erschöpft sich keineswegs im Negieren und Befreien, sie muss auch etwas geben, etwas anzubieten wagen und zu fordern, aber auch in Ablehnung.

Unterricht und Erziehung können als solche nur begriffen werden, sofern sie von einer grundsätzlichen Bejahung zum Leben, zum Menschen, zur Welt und zu einem letzten Sinn getragen sind. Andernfalls führen sie sich selbst ad absurdum. Wer selbst nicht an einen verantwortbaren und sittlich verpflichtenden Sinn des Lebens zu glauben vermag, kann andere kaum dazu befähigen, das Leben zu bejahen und die Zukunft vertrauensvoll und hoffnungsfroh in Angriff zu nehmen.

Als Gegensatz zur wertorientierten Erziehung wurde die wertfreie, die emanzipatorische Erziehung verstanden. Ihrem Wortsinn  nach bedeutet Emanzipation die Loslösung von persönlicher oder sozialer Vormundschaft und Bevormundung, also das Selbständig werden des Menschen oder ganzer gesellschaftlicher Gruppen.

Kinder sind keine Mini-Erwachsenen

Die Vorkämpfer für die Befreiung aus Abhängigkeit machten der bisherigen Erziehung den Vorwurf, sie habe weniger die Selbständigkeit des jungen Menschen im Auge gehabt, als vielmehr ihn zum Gehorsam gegen die elterliche Autorität, zur Botmäßigkeit gegenüber den Lehrenden und zu einem folgsamen Staatsbürger angeleitet. Dieser Auffassung liegt ein Menschenbild zugrunde, das von absoluter Unabhängigkeit und Freiheit bestimmt ist und keinerlei soziale Bindungen und Verpflichtungen, die der Einzelne nicht selbst einzugehen bereit ist, kennt.

Es ist ein ausgesprochen individualistisches Menschenverständnis, wonach jeder sich selbst vollkommen genügt und, wenn nur keine Abhängigkeiten ihm aufgezwungen werden, sich auch in der Welt zurechtfindet. Dabei wird übersehen, dass das Kind eben nicht ein Mini-Erwachsener ist, sondern auf die Familie, auf Sozialisation und auf Erziehung angewiesen ist. Es wird auch nicht erkannt, dass diese Art von Emanzipation den Menschen in eine leere Freiheit entlässt und den geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört. Das Ergebnis war nicht der erhoffte selbständige Mensch, sondern Standortlosigkeit und eine neue Abhängigkeit, nicht mehr vom personalen Einfluss von Eltern und Lehrern, dafür aber von anonymen Mächten. Erziehung, die nicht wertorientiert ist, führt zur Spassgesellschaft und damit zur Unfreiheit.

Zur Person: Der 1947 in Bad Dürkheim geborene Wünschel ist seit mehr als 20 Jahren akademischer Direktor des historischen Seminars der Universität Landau. Seit 2002 ist der Historiker außerdem Honorarprofessor der polnischen Universität Tschenstochau.

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