Das Amazonas-Riff und das schwarze Gold

Forscher sprechen vom «wichtigsten meeresbiologischen Fund» seit Jahrzehnten. Bisher galten Flüsse als korallenfeindlich. Nun ist im Mündungsgebiet des Amazonas erstmals ein riesiges Riff in Augenschein genommen worden. Doch schon droht Gefahr für die Naturschönheit.
Titelbild
Spektakulär und einzigartig: Unterwasser-Aufnahme des Amazonas-Korallenriffs.Foto: Greenpeace/dpa
Epoch Times5. Februar 2017

Die ersten Bilder haben die Forscher verzückt. „Ein Sensationsfund“, meint die deutsche Meeresbiologin Sandra Schöttner. „Wir wollen einen verborgenen Schatz sichtbar machen.“

Schöttner spricht vom bisher wohl weltweit einzigen großen Korallenriff, das in einer Flussmündung entdeckt worden ist. Im Mündungsbereich des Amazonas im Atlantik vor Brasiliens Küste. Der Haken: Das Wunder der Natur steht hier in direkter Konkurrenz zu geplanten Ölbohrungen.

Allein die Ausmaße des Riffs sind enorm: 9500 Quadratkilometer bis an die Küste von Französisch-Guyana; zwischen 30 und 120 Meter tief, völlig unterschiedliche Strukturen. Es handelt sich um ein Gebiet, ungefähr so groß wie die Wattenmeer-Schutzgebiete von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und den Niederlanden zusammen, betont die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Hinweise, dass hier etwas sein muss, gibt es schon seit den 70er Jahren. Fischer berichteten von Fischarten, die nur an Korallenriffen vorkommen, zudem gab es eine Häufung von Schwämmen.

Ein Team um den Forscher Fabiano L. Thompson von der Universität Rio de Janeiro erkundete in den letzten Jahren das Riff-Gebiet. 2016 wurde der Fund erst in seiner Dimension bekannt – in einem Artikel für das Fachmagazin „Science Advances“ haben die Forscher die Besonderheiten ausführlich beschrieben. Aber erst in den vergangenen Tagen konnten erstmals mit einem Forschungs-U-Boot Unterwasseraufnahmen gemacht werden.

Zu Gesicht bekamen die Forscher eine einzigartige, blaugetünchte Welt von Schwämmen, Hart- und Weichkorallen, Rotalgen und Millionen von Fischen. Bisher sind nur kleine Teile kartiert. Und Thompson, der auch jetzt wieder dabei ist, und sein Team sind erstaunt: Das Riff könnte noch viel größer und tiefer sein als bisher angenommen.

Greenpeace hat aus Europa das Forschungsschiff „Esperanza“ („Hoffnung“) geschickt, von dort werden die Tauchgänge des Mini-U-Boots gesteuert. „Wir sind die allerersten, die das Riff, live, mit unseren Augen sehen“, sagt Schöttner. Die 38-Jährige ist auch an Bord – bei Greenpeace Deutschland ist sie zuständig für die Themen Meere und Biodiversität. Sie hat über Korallenriffe promoviert und vor genau zehn Jahren mit einem Tauchboot bereits das größte Kaltwasserkorallenriff der Welt in Norwegen in Augenschein genommen.

Warum ist dieser neue Fund so bedeutsam? Die Forscher – insgesamt sind rund 45 Personen an der Expedition beteiligt – sprechen von einem „der wichtigsten meeresbiologischen Funde seit Jahrzehnten.“

Eigentlich gelten Flussgebiete bisher als Lebensräume, die nicht für Korallen geeignet sind. Und in diesem Fall treffen Süß- und Salzwasser aufeinander, der Amazonas transportiert viel Sediment und organisches Material, dass das Wasser stark trübt. Aber Korallenriffe brauchen eigentlich klares Wasser: Das Licht dient ihnen als Energiequelle, damit ausreichend Fotosynthese der Algen möglich ist.

So hat sich im Mündungsgebiet des Amazonas ein ganz besonderes, dreigeteiltes Riff entwickelt: Von Süden nach Norden wechselt das Wasser von sehr hell zu dunkler, von viel Leben zu weniger Leben.

Interessant sei auch die Bedeutung des Riffs als Zukunftsorakel, sagt Schöttner. Es kann der Wissenschaft Hinweise liefern, wie Riffe sich verändern könnten, die durch den Klimawandel unter erschwerten Bedingungen überleben müssen. Die zunehmende Ozeanversauerung und der steigende Sediment- und Nährstoffeintrag seien schon jetzt ein massives Problem in vielen Riffsystemen. „In diesem bisher einzigartigen Ökosystem scheinen die riffbildenden Lebewesen wie Korallen, Kalkalgen und Schwämme aber zu überleben, ohne dass das Meerwasser ausgesprochen klar, sonnendurchflutet und sauerstoffreich ist“, betont Schöttner.

Fast hätte die Expedition abgesagt werden müssen, die brasilianische Marine gab lange Zeit kein grünes Licht. Und warum ist Greenpeace federführend mit von der Partie? Weil hier ein Umweltkonflikt am Horizont aufzieht. Und das Beispiel zeigt, wie die Umweltschützer weltweite Kampagnen aufziehen – in diesem Fall unter anderem gegen Ölkonzerne wie BP (Großbritannien) und Total (Frankreich).

„Wir bauen Druck auf, das Ganze bekommt ein Gesicht“, meint Schöttner mit Blick auf die einzigartigen Unterwasseraufnahmen. In dem Gebiet wurden schon vor einiger Zeit, als man noch nichts handfestes von dem Riff wusste, Umweltverträglichkeitsprüfungen gemacht. Es wurden Konzessionen für Ölprobebohrungen vergeben. Hier lagern wahrscheinlich große Mengen des schwarzen Goldes. Doch in Zeiten von Solar- und Windenergie, der Hoffnung auf eine E-Auto-Welle, kämpft Greenpeace verbissen gegen die geplante Ölförderung.

An den Küsten gibt es zudem eines der größten Mangroven-Ökosysteme der Erde, indigene Gemeinden leben dort. Durch einen Unfall bei der Ölförderung könnte es zu einer dramatischen Katastrophe kommen. In den nächsten Monaten wird es Aktionen gegen die Ölkonzerne geben – gefordert wird mindestens eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung. Das Ziel ist: Keine Ölförderung rund um das Amazonas-Riff. Doch die konservative brasilianische Regierung von Präsident Michel Temer hat zuletzt auch den Schutz indigener Gebiete im Amazonasgebiet eingeschränkt. Wirtschaftlichen Interessen räumt sie Priorität ein – bisher hält sie sich in Sachen Amazonas-Riff auffällig bedeckt. (dpa)



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