Dramatischer Insektenschwund in Deutschland

Kiloweise sammelten Forscher in den vergangenen 27 Jahren Insekten aus aufgestellten Fallen. Die Auswertung der Sammeldaten bestätigt: Die Insektenzahl schwindet vielerorts erheblich.
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Eine Hummel landet bei Herdwangen auf einer blühenden Rapspflanze.Foto: Patrick Seeger/dpa
Epoch Times19. Oktober 2017

Die Zahl der Fluginsekten ist in Teilen Deutschlands erheblich zurückgegangen. In den vergangenen 27 Jahren nahm die Gesamtmasse um mehr als 75 Prozent ab, berichten Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden im Fachmagazin „PLOS ONE“.

Die Analyse bestätigt erste, im Sommer vorgestellte Ergebnisse. Nicht an der Studie beteiligte Experten sprechen von einer überzeugenden Arbeit, durch die bisherige Hinweise auf ein massives Insektensterben auf eine solide Basis gestellt worden seien. Der Deutsche Bauernverband ist hingegen der Meinung, dass die Studie mehr Fragen aufwerfe, als dass sie Antworten gebe.

Die Publikation liefere den Beleg, dass der Schwund nicht nur einzelne Standorte betrifft, sondern „wirklich ein größerflächiges Problem“ ist, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle, der nicht an der Untersuchung beteiligt war. Fachleute vermuten schon lange, dass die Zahl der Insekten in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen ist. Verlässliche Daten sind allerdings rar.

Caspar Hallmann von der Radboud University in Nijmegen (Niederlande) und seine Mitarbeiter werteten nun Daten aus, die seit 1989 vom Entomologischen Verein Krefeld gesammelt worden waren, also von ehrenamtlichen Insektenkundlern. Diese hatten in insgesamt 63 Gebieten mit unterschiedlichem Schutzstatus in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg sogenannte Malaise-Fallen aufgestellt. Das sind zeltartig aufgestellte Netze, in denen Fluginsekten in einen Sammelbehälter geleitet und getötet werden.

Die meisten Standorte wurden nur in einem Jahr des Studienzeitraums untersucht, einige in zwei, drei oder vier Jahren. Die Fallen wurden innerhalb einer Saison in regelmäßigen Abständen geleert. Für die Analyse wurde jeweils die Gesamtmasse darin gefangener Insekten bestimmt. Dann verglichen die Forscher, wie sich in einzelnen Lebensräumen – etwa in Heidelandschaften, Graslandschaften oder auf Brachflächen – die Biomasse über die Zeit verändert hatte.

Die Methodik der Forscher sei in Ordnung, urteilen Fachkollegen. „Die Tatsache, dass an vielen Probestellen nur einmal Proben genommen wurden, spielt für die Validität der Daten keine Rolle“, sagt etwa Johannes Steidle von der Universität Hohenheim. Dies zeige auch eine Teilanalyse der mehrfach beprobten Standorte. „Sie kommt zum selben Ergebnis wie die Hauptanalyse mit allen Probestellen.“

Insgesamt landeten 53,54 Kilogramm wirbellose Tiere in den Fallen – Millionen Insekten. Die Auswertung zeigte, dass im Verlauf der vergangenen 27 Jahre die jährliche Gesamtmasse im Mittel um gut 76 Prozent abgenommen hat. Am stärksten war der Verlust in der Mitte des Sommers, wenn am meisten Insekten herumfliegen. Er betrug knapp 82 Prozent. „Ein Schwund wurde bereits lange vermutet, aber er ist noch größer als bisher angenommen“, sagte Erstautor Hallmann.

Auf der Suche nach möglichen Gründen für den Insektenschwund untersuchten die Wissenschaftler etwa den Einfluss von Klimafaktoren, der landwirtschaftlichen Nutzung und bestimmter Lebensraumfaktoren. Die Analyse brachte jedoch keine eindeutige Erklärung. So gab es insgesamt einen positiven Zusammenhang zwischen Insektenbiomasse und Temperatur – der im Untersuchungszeitraum festgestellte Anstieg der Durchschnittstemperatur von einem halben Grad Celsius sollte sich also, wenn überhaupt, positiv auf den Bestand an Insekten ausgewirkt haben.

Vermutlich spiele die intensivierte Landwirtschaft samt dem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln sowie der ganzjährigen Bewirtschaftung eine Rolle, erklären die Forscher. Untersucht haben sie dies aber nicht. Fast alle Untersuchungsstandorte – 94 Prozent – waren von landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben. Es sei denkbar, dass Insekten in den Schutzgebieten zwar zunächst gediehen, die Insekten dann aber auf den angrenzenden Ackerflächen verschwänden, heißt es.

„Der dramatische Insekten-Rückgang zeigt, dass Schutzgebiete in nur noch sehr geringem Maße als Quellhabitate für die Besiedelung der Agrarlandschaft dienen können“, sagt Teja Tscharntke, Agrarökologe an der Georg-August-Universität Göttingen. Die Intensivierung der Landwirtschaft sei eine plausible Ursache für den Rückgang. Zu den Faktoren gehörten unter anderem große Felder, nur wenige schmale Feldränder und wenige Hecken und Gehölze.

Der deutsche Bauernverband pocht hingegen auf weitere Untersuchungen. „In Anbetracht der Tatsache, dass die Erfassung der Insekten ausschließlich in Schutzgebieten stattfand, verbieten sich voreilige Schlüsse in Richtung Landwirtschaft“, sagte Generalsekretär Bernhard Krüsken. „Die neue Studie bestätigt und betont ausdrücklich, dass es noch dringenden Forschungsbedarf zum Umfang und den Ursachen des dargestellten Insektenrückgangs gibt.“

Laut Settele vom UFZ könnten auch Klimaveränderungen nicht ganz als Ursache ausgeschlossen werden. „Zum Beispiel können klimatische Effekte auf der Landschaftsebene, wie höhere Temperaturen, in Kombination mit erhöhtem Stickstoffeintrag zu dichterer Vegetation und dadurch kühlerem Mikroklima führen, was Effekte kaschieren kann.“

Was immer die Gründe für den Insektenschwund sind – sie haben einen weit verheerenderen Effekt als bisher erkannt, fassen die Autoren der aktuellen Studie zusammen. Der Verlust der Insekten wirke sich kaskadenartig auch auf andere Lebewesen aus und habe weitreichende Folgen für die Ökosysteme insgesamt. Die Ursachen und das geografische Ausmaß müssten dringend genauer erforscht werden.

Dieser Ansicht ist auch Alexandra-Maria Klein, Landschaftsökologin von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Weitere Langzeitdaten seien nötig – aber wir sollten „nicht auf diese Ergebnisse warten, bis wir unsere Landnutzung ändern“, sagt sie. „Dies könnte für einige Insekten zu spät sein.“ (dpa)



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