Thilo Sarrazin – ein Mahner, der unerbittlich bleibt: „Der Staat an seinen Grenzen“

Er legt seit Jahren mit seinen Büchern den Finger in Deutschlands Wunden. Vorausschauend, zeitnah oder im historischen Rückblick, Thilo Sarrazin ist auf jeden Fall gründlich. Die Epoch Times sprach Ende August mit dem ehemaligen Berliner Finanzsenator – hier unser aktuelles Interview im Video.
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Von 20. September 2020

Thilo Sarrazin hat mit seinen Werken schon längst Sachbuchgeschichte geschrieben, von „Deutschland schafft sich ab“ über „Der neue Tugendterror“, „Europa braucht den Euro nicht“, „Wunschdenken“, „Feindliche Übernahme“ bis zur Neuerscheinung „Der Staat an seinen Grenzen“. Auf fast allen prangt das Siegel SPIEGEL-Bestsellerliste.

Der Kreis der journalistischen Rezensenten für Sarrazins Bücher hat sich längst gelichtet, denn das Totschweigen ist die gar nicht so neue Methode, sich unerwünschter, kritischer Mitbürger zu entledigen. Das hält Sarrazins Leser jedoch nicht ab, schon vor dem Erscheinen des neuesten Bandes „Der Staat an seinen Grenzen“ meldete der LangenMüller Verlag Vorbestellungen im sechsstelligen Bereich.

Mit einem Lächeln bezeichnete sich der ehemalige Finanzsenator Berlins im Interview mit Epoch Times als ‚gelernten Ministerialbeamten‘, der alles sichten und auch tief graben muss, um zunächst zu einer Bestandsaufnahme und erst danach zu konkreten Empfehlungen zu kommen.

Diese Sachlichkeit und Gründlichkeit zeichnet die vorliegende Neuerscheinung aus, die den Untertitel trägt: „Über Wirkung von Einwanderung in Geschichte und Gegenwart“.
Überrascht wurde der Autor in der Schlussphase seiner Arbeit, als im März die Schließung der Grenzen für Personen im Zuge der Corona-Maßnahmen durchgeführt wurde. Seine Schlussfolgerung in der Einleitung zielt auf die seit 2015 geöffneten deutschen Grenzen. Sein Buchtitel bekam so in letzter Minute eine doppelte Bedeutung.

„Die Coronakrise hat gezeigt, dass die arbeitsteilige Gewinnung von Wissen und die arbeitsteilige Warenproduktion in der globalisierten Welt auch dann funktionieren, wenn die Grenzen für den Verkehr der Menschen weitgehend geschlossen sind. Die ungehinderte Wanderung von Wissen und Waren und eine arbeitsteilige weltweite Warenproduktion sind möglich, ohne dass Menschen dazu in größerer Zahl wandern müssen. Das ist für mich eine zentrale Lehre aus der Coronakrise.

Eine zweite zentrale Lehre ist, dass die wirksame Kontrolle der Wanderungen von Personen über Staatsgrenzen hinweg auch in der modernen Welt möglich und praktisch umsetzbar ist, wenn der politische Wille dazu besteht.“ (Seite 10)

Die Wirkung von Einwanderung in Geschichte und Gegenwart

„Nachdem ich in den letzten Jahren wiederholt über Migrationsfragen geschrieben habe, stellte sich für mich am Beginn der Arbeit die Frage nach der Motivation zum vorliegenden Buch. Diesmal stehen für mich weder die deutsche Demografie noch die Mängel der europäischen Integration noch der Islam im Mittelpunkt. Vielmehr untersuche ich die Frage, wie sich Einwanderung auch langfristig so steuern lässt, dass Deutschland und Europa ihre kulturelle, soziale und wirtschaftliche Zukunft selbstbestimmt gestalten können.“ (Seite 20)

Bei seiner Bestandsaufnahme gelingt Sarrazin das Kunststück, zwischen historischer Darstellung von Wanderungsbewegungen zu ihren inhaltlichen Beweggründen zu wechseln. Er beschreibt die Variablen von der Anzahl der Migranten zu den Bewohnern im Einwanderungsland, kultureller Nähe oder Ferne, Aufnahme von Verfolgten oder Unterwerfung unter Eroberer. Kommentare von Beobachtern, Wissenschaftlern, Literaten, Zeitzeugen weiten den Blickwinkel. Eine Zusammenstellung zum Festlesen.

„Sine ira et studio“ (Tacitus) – Ohne Zorn und Eifer

So führt Sarrazin seinen Erkundungsgang durch die Geschichte durch, gleichzeitig als eine Auffrischung historischer und kultureller Kenntnisse für die Leser. Statistiken geben Datenunterstützung, Zwischenbilanzen des Autors halten das Interesse wach und stellen den Bezug zur Gegenwart her. Pflichtlektüre für künftige Entwicklungshilfe-Minister und selbsternannte Experten für Migration und Flüchtlinge.

„Bezogen auf die Ausgangsbasis 1950 hätte Deutschland heute bei einer Bevölkerungsentwicklung wie in Nordafrika und Westasien 370 Millionen Einwohner. Bei einer Entwicklung wie in Subsahara-Afrika würden heute 440 Millionen Menschen in Deutschland leben.

In den typischen Herkunftsländern der Migranten nach Europa – Ghana, Senegal, Nigeria in Westafrika oder Somalia, Eritrea, Äthiopien in Ostafrika – hat sich die Bevölkerung allein seit 1990, also in den letzten 30 Jahren, verdoppelt. Man stelle sich vor, welche Probleme Deutschland auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt zu bewältigen hätte, wenn sich unsere Bevölkerung seit der Wiedervereinigung von 79 auf 160 Millionen Menschen verdoppelt hätte.

Das Problem für die genannten Länder liegt darin, dass für die nächsten 30 Jahre eine weitere Verdoppelung der Bevölkerung zu erwarten ist. Stellen wir uns also bezogen auf Deutschland vor, wir müssten nicht nur eine Verdoppelung auf 160 Millionen seit 1990, sondern eine weitere Verdoppelung auf 320 Millionen bis 2050 bei Wirtschaft, Bildung, Ernährung und Infrastruktur verkraften. Das zeigt das Ausmaß der Herausforderungen, vor dem solche Länder stehen, wenn sie für ihre Bürger angemessene Lebensverhältnisse schaffen wollen.

Auch die Krisenländer des westlichen und südlichen Asiens, denen wir wegen kriegerischer Konflikte nahezu täglich in den Zeitungen und Nachrichten begegnen, zeichnen sich allesamt durch ein extremes Bevölkerungswachstum aus: In Afghanistan, im Jemen, im Irak und in Syrien ist die Bevölkerung seit 1950 auf das Fünf- bis Sechsfache gestiegen und hat sich allein in den letzten 30 Jahren durchweg verdoppelt, in Afghanistan sogar verdreifacht (vgl. Tabelle 5.3).“ (Seite 286)

Schlussfolgerungen im Kapitel 6: Wie sich Einwanderung steuern lässt

„Die Kapitel 1 bis 5 lieferten das Rüstzeug für eine realistische Betrachtung der komplexen Fragen rund um die Einwanderung. Dabei wurde klar, dass Wunschdenken und Gesinnungsethik die größten Gefahren für den Realismus der Betrachtung und damit für den Erfolg einer wie immer definierten Einwanderungspolitik sind. Die Ordnung der Welt beginnt immer im eigenen Kopf, von dort geht es weiter über die Herstellung kollektiver Mentalitäten und Grundeinstellungen zur Vorbereitung kollektiver Handlungen. Wo die Grundeinstellungen unklar, unentschlossen oder in sich widersprüchlich bzw. unrealistisch sind, kann sich auch kein entschlossenes, vernünftiges und damit Erfolg versprechendes Handeln ergeben.

Das heißt nicht, dass man nicht ganz Unterschiedliches wollen kann. Aber es gibt nichts umsonst, und jeder Weg hat Folgen, die andere Möglichkeiten verschließen. Naive Illusionen über generell segensreiche Wirkungen von Einwanderung sollten jene verloren haben, die das Buch bis an diese Stelle gelesen haben.“ (Seite 359)

FAZIT: Ein Lesevergnügen, ein Lernvergnügen, ein erschreckendes Erkenntnis-Momentum. Uneingeschränkte Leseempfehlung.

Exklusiv-Interview mit Epoch Times

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