„Rennt keiner virtuellen Welt hinterher, kümmert euch um euch und eure Mitmenschen!“

Ein Gespräch mit Cheyenne, die sieben Jahre als Prostituierte arbeitete, ein Jahr auf der Straße lebte und heute Flüchtlingen hilft.
Titelbild
Berliner "Frauenzentrum am Richardplatz" im Stadtteil Neukölln. Hier ist immer jemand für Frauen da, die Hilfe brauchen, wo sie unterstützt werden, ihren Weg zurück in ein normales Leben ohne Gewalt, ohne Missbrauch und ohne Angst zu finden.Foto: Verein Affidamento
Von 9. Februar 2016

Freitag, 29. Januar 2016. Heute bin ich zu Gast bei Affidamento im Berliner "Frauenzentrum am Richardplatz" im Stadtteil Neukölln. Ich stehe vor einem alten, gemütlich wirkenden, mit Efeu berankten Haus und klingele. Wenig später öffnet mir eine freundliche ältere Dame die Tür und geleitet mich in den ersten Stock, wo mich die Sozialarbeiterinnen Caroline und Stephanie bereits erwarten und mich lächelnd begrüßen.

Caroline hat ihren kleinen Sohn im Tragetuch um den Bauch geschnallt. Er ist ein bezaubernder kleiner Fratz, der mich mit seinem sonnigen Wonneproppen-Lächeln anstrahlt und mein Herz erwärmt. Von Anfang an fühle ich mich sehr wohl hier. Es herrscht eine herzliche, familiäre Atmosphäre. Ich spüre, dass diese beiden Sozialarbeiterinnen sehr viel mehr tun als nur ihren Job. Sie helfen – und zwar nicht nur während ihrer Arbeitszeit, sondern weit darüber hinaus. Viel Herzblut, Engagement und Wärme haben sie bislang in dieses Projekt gesteckt.

Während Stephanie mir einen Tee macht, setzen wir uns an den großen Besprechungstisch in einem schönen Raum mit grauen Holzbalken und viel Licht und sprechen über ihr Projekt, das Frauenzentrum. Der gemeinnützige Verein Affidamento unterstützt seit vielen Jahren Frauen in schwierigen Lebenssituationen. Er bietet ihnen Schutz, ja, ein neues zu Hause: Darunter sind Frauen, die von schwerer Krankheit gebeutelt wurden und ihre Existenzgrundlage verloren haben, Frauen, die als Flüchtlinge in unser Land gekommen sind und Schreckliches im Krieg erlebt, Frauen, die häusliche Gewalt erfahren haben, und solche, die ins Rotlichtmilieu geraten und auf der Straße gelandet sind. Caroline und Stephanie erzählen mir, dass es ihnen wichtig ist, diesen Frauen, die in ihrem Leben wenig Liebe erfahren haben, immer stark sein mussten, gekämpft haben, und jetzt mit ihren Kräften am Ende sind, einen sicheren Ort, Halt und Schutz zu geben. Sie wollen ihnen das Gefühl vermitteln, dass endlich jemand für sie da ist, sie unterstützt und ihnen dabei hilft, ihren Weg zurück in ein normales Leben ohne Gewalt, ohne Missbrauch und ohne Angst zu finden.

Eine dieser Frauen ist die 41-jährige Cheyenne. Als sie wenig später den Raum betritt, sehe ich eine ungeschminkte, natürlich schöne Frau mit langen rotbraunen Haaren und feinen Gesichtszügen. Während ich ihr gegenübersitze, spüre ich ihre anfängliche Skepsis, ihre Reserviertheit, und ich sehe, wie aufgeregt, ja, nervös sie ist. Ihren Blick hält sie starr nach unten gerichtet, traut sich nicht, mir in die Augen zu schauen. Als ich meine ersten Fragen stelle, erzählt sie mir schließlich, dass sie drei Kinder hat, keine Ausbildung, nur einen Hauptschulabschluss absolviert und seither in verschiedenen Berufen gearbeitet hat: In der Pferdepflege, im Gastronomiebereich, als Kellnerin und in der Küche. Und doch spüre ich, dass das längst nicht alles ist, merke, wie Stück für Stück die Anspannung von ihr abfällt und sie Vertrauen zu mir fasst.

Wenig später eröffnet sie mir, dass sie auch Prostituierte war. Zum ersten Mal sieht sie mir dabei direkt in die Augen, mustert mich mit scheuem, skeptischem Blick. Als sie jedoch spürt, dass ich sie nicht verurteile, sondern genauso annehme, wie sie ist, entwickelt sich zwischen uns eine herzliche, offene Gesprächsatmosphäre. Ich respektiere und schätze sie als Mensch so wie sie ist – denn trotz der furchtbaren Dinge, die sie gerade während ihrer Zeit im Rotlichtmilieu erlebt hat, ist sie eine mitfühlende Frau geblieben, die sich ihre Mitmenschlichkeit, ihre Hilfsbereitschaft und Herzenswärme bewahrt hat.

Einige Zeit hat sie in einem Saunaclub gearbeitet, so erzählt sie mir, bis sie schließlich immer tiefer ins Rotlichtmilieu gerutscht ist. Ein Ausstieg war bald nicht mehr möglich. Sieben Jahre  lang hat sie als Prostituierte auf dem Straßenstrich, im Saunaclub, im Escort-Service und im Bordell gearbeitet. Während unseres Gespräches wird mir Cheyenne so tiefe Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele eröffnen, dass es manchmal schwer für mich sein wird, ihren Ausführungen zu folgen …

Aber nicht nur über diese Zeit in ihrem Leben werden wir sprechen, sondern auch darüber, wie sie ein Jahr lang – praktisch auf der Straße – sich und ihre drei Kinder durchgebracht hat, wie sie zu ihrem Glauben gefunden hat, warum sie heute anderen Menschen hilft und weshalb es ihr so schwer fällt, Vertrauen zu Männern zu fassen. Wir sprechen über das, was wirklich zählt im Leben. Für Cheyenne sind das: „Kinder, Liebe, Menschlichkeit und Respekt gegenüber anderen Menschen.“ Am meisten wünscht sie sich „Frieden und dass es keine Krankheiten gibt, … dass das Geld abgeschafft wird, und jeder die gleiche Chance bekommt, aus seinem Leben etwas zu machen.“ Das alles sind sehr bescheidene Wünsche, für die sie meinen größten Respekt hat.

Cheyenne, wenn du dich  selbst beschreiben solltest, was würdest du mir gern über dich erzählen? Ich hatte ein rasantes Leben, mit vielen Hochs und Tiefs, von Anfang an. Nicht einfach, aber zu meistern.

Jeder Mensch hat ganz spezielle Begabungen. Was würdest du sagen, kannst du besonders gut? Was ich eigentlich gut konnte, war tanzen und reiten. Das war meine Leidenschaft.

Und heute machst du das nicht mehr? Nein. Reiten ist ein zu teures Hobby. Damals konnte ich es sehr gut mit meiner Arbeit als Pferdepflegerin verbinden, d. h. es hat mich nichts zusätzlich gekostet. Aber jetzt habe ich dafür kein Geld.

Welche Träume hast du heute?  Meine Träume sind, dass ich gesund bleibe, dass meine Kinder einen anständigen Beruf ausüben können, dass sie glücklich sind und dass ich irgendwann einmal wieder einen Partner an meiner Seite habe.

Hast du einen guten Kontakt zu deinen Kindern? Ja, sie wohnen noch bei mir.

Wie ist dein Leben bis zu dem Punkt verlaufen, an dem du in eine soziale Notlage geraten bist? Als ich noch mit dem Vater meines jüngeren Sohnes zusammen war, war mein Leben ganz ok. Alles verlief ziemlich normal und in geordneten Bahnen. Doch dann, als unsere Beziehung in die Brüche ging und wir uns getrennt haben, bin ich ins Rotlichtmillieu abgerutscht.

Wie lange warst du im Rotlichtmillieu? Sieben Jahre.

Welche Erfahrungen hast du während dieser Zeit gemacht? Hast du es freiwillig getan? Anfangs hab ich es freiwillig gemacht. Ich hab in einem Saunaclub angefangen – weil eine Bekannte mir davon erzählt hatte und mir sagte, dass ich dort etwas für meine Kinder dazu verdienen könnte. Ich war ja alleinerziehend und wollte meinen Kindern schließlich auch was bieten. Zunächst hab ich dort auch ganz gutes Geld verdient, aber dann bin ich an die falschen Leute geraten. Der Anfang vom Ende war, als ich von einem Zuhälter zum nächsten durchgereicht wurde …

Auf was für „Kunden“ bist du während dieser Zeit getroffen? Da war alles dabei. Es waren Männer aus allen Schichten: Von ganz unten bis ganz oben.

Hat deine Arbeit im Rotlichtmillieu dein Männerbild verändert? Ja, definitiv. Früher hatte ich immer ein positives Bild von Männern, aber danach war alles nur noch negativ. Man kann sich ja gar nicht vorstellen, was Männer, die zu einer Prostituierten gehen, so alles im Kopf haben, welche perversen Wünsche und Fantasien sie haben. Aber bei mir konnten sie sich öffnen, deshalb kamen sie ja zu mir. Und wenn man das über Jahre macht, so wie ich, verliert man auch seinen Glauben an das Gute.

Bestimmt hast du viele heftige Dinge erlebt. Gibt es etwas, das du richtig abartig fandest? Ja, da hatte ich mehrere Fälle. Es war zu der Zeit, als ich als Escort gearbeitet habe. Da hatte ich beispielsweise einen Oberarzt als Kunden, der geschlagen werden wollte, richtig derb mit einem Gürtel. Ich wollte erst nicht, aber okay, dafür war ich ja da und habs dann auch gemacht. Richtig doll, bis alles rot wurde. Ich hatte Angst, ihn zu verletzen. Aber er wollte es so. So etwas hatte ich bis dato noch nie erlebt.

Wie war das für dich? Ich hatte kein gutes Gefühl. Als alles vorbei war, bin ich mit Bauchschmerzen gegangen.  Mein Kopf schwirrte und meine Gedanken kreisten eigentlich nur um eine Frage: "Wer ist nun eigentlich krank? Bist du die Kranke oder ist er krank?" Einen anderen heftigen Fall habe ich mit einem bekannten Regisseur erlebt, der mich für zwölf Stunden gebucht hatte und mit mir Sado-Maso-Spiele gemacht hat. Ich war bei ihm zuhause, in seinem Dachstudio, das er sich dort eingerichtet hat. Darin fand sich alles an Utensilien, was man sich nur vorstellen kann.

Zwölf Stunden? Hat er dich dann tatsächlich solange in diesem Studio festgehalten? Ja. Die ganze Zeit über hat er mich gequält. Ich war heilfroh, als ich nach zwölf Stunden zwar mit vielen blauen Flecken, aber dennoch heil dort rausgekommen bin.

War das ein extremer Ausnahmefall oder hast du so etwas öfter erlebt? Nein, da gab es noch einen jungen Studenten, der wollte, dass ich auf ihn uriniere. Er hat sich eine Kette mit Handschellen mit Sachen aus dem Baumarkt selbst gebastelt. Später sollte ich noch mehr machen, das möchte ich nicht alles erzählen. Ich hab das alles gemacht, weil es ja sein Wunsch war, aber für mich war das unfassbar.

Gab es irgendetwas, bei dem du gesagt hast: "Das mache ich auf gar keinen Fall"? Ich hätte niemals Kaviar-Spiele mitgemacht. Da muss man Kot essen. Aber sonst habe ich alles gemacht. Mein Motto war immer: "Augen zu und durch." Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich alles ausprobiert habe, was man im Rotlichtmilieu erleben kann. Ich hab Escort gemacht, Straße, Sauna, Puff, Bordell. Das sind ja alles ganz unterschiedliche Bereiche. Aber Escort war für mich das schlimmste.

Warum? Als ich im Saunaclub gearbeitet habe, habe ich die Männer, die dorthin kamen, gesehen und konnte selbst entscheiden: "Will ich oder will ich nicht?" Ich habe dann überlegt, wieviel Geld ich bereits gemacht hatte und ob ich es mir leisten konnte, Nein zu sagen. Außerdem war ich dort in meinem Arbeitsbereich und hab die Männer nur eine oder maximal zwei Stunden gesehen, und dann waren sie wieder weg. Aber bei den Großaufträgen, die man beim Escort bekam, war das anders. Man musste sich Mühe geben, gepflegte Konversation betreiben, und dann auch noch so tun, als wenn man beim Sex immer Spaß  hat– und das über acht oder zwölf Stunden.

Beim Escort habe ich die Männer mit den schlimmsten Fantasien kennengelernt. Man schlüpft ja als Escort-Dame immer in eine andere Person. Das ist normal, du kannst nicht so sein, wie du bist, sonst funktioniert es nicht in diesem Business. Welche Rolle von dir erwartet wird, wird vorher abgesprochen. Mit den Kunden, die mich gebucht haben, hatte ich vorher nie Kontakt. Das hat immer mein Auftraggeber gemacht, der mich dann darüber informiert hat, was der Kunde für Vorstellungen hat, aber erst kurz bevor es losging. Ich hab immer gesagt: "Ich will damit nichts zu tun haben. Erst kurz bevor es losgeht, erzählst du mir, was von mir erwartet wird und dann ist gut.“

Ich bin dann in die jeweilige Rolle geschlüpft, war beispielsweise die Stewardess Mandy, die Krankenschwester Claudia oder die Sekretärin Nadja. Alles verlief genau so wie der Kunde es sich vorstellte. Und das war für mich ganz schlimm, denn in der Regel ist es ja so: Man sieht einen Mann und weiß sofort, es passt oder es passt nicht. Aber beim Escort hast du keine Chance, du kannst nicht gehen, wenn du merkst, dass es nicht passt. Du kannst noch nicht einmal sagen: „Ich möchte nicht mehr“, denn dafür wurde ich ja bezahlt. Und dann immer mit einem Lächeln, das fand ich am schlimmsten.

Was hast du gemacht, wenn du das Gefühl hattest, dass es nicht passte? Es kam ja auch schon vor, dass mich Männer weggeschickt haben, aber das waren meist Kurzaufträge, wo ich für eine Stunde oder zwei gebucht wurde. Aber wenn du „Großaufträge“ hast, die über mehrere Stunden gehen, dann geht das nicht. Denn du fährst ja zu dem Kunden hin. Ich war in dieser Zeit viel unterwegs. Auch wenn es nicht passte, konnte ich nicht einfach wieder nach Hause fahren. Das war schon schlimm für mich.

Kannst du beschreiben, wie solche Treffen abgelaufen sind? Ja, man trifft sich meist am Hauptbahnhof und wird dort abgeholt.

Wie erkennt man sich? Die Männer haben mich erkannt. Sie wussten ja vom Foto, wie ich aussehe. Ich wusste nie, wie sie aussahen. Sie sind dann auf  mich zugekommen und haben mir einen Umschlag mit Geld in die Hand gedrückt. Von da ab war ich den Männern ausgeliefert.

Aber es waren ja auch nette Männer darunter. Einmal war ich in Hamburg. Dort sind wir dann ins Musical gegangen. In Baden-Baden hat mich mal ein Mann mit zu einem Geschäftsessen genommen, dann hat er nach dem Sex im Hotel Fußball geschaut und ich sollte noch ein bisschen Wellness machen.

Wie war das für dich, wenn du zu einem Kunden rausgefahren bist. Kannst du beschreiben, was für Gefühle du hattest? Ich habe immer so ein Kribbeln, ja, ein komisches Gefühl verspürt. Sobald ich im Auto saß, hab ich meine Persönlichkeit – mein eigenes Ich – weggepackt und bin in die Rolle der anderen Person geschlüpft. Im Grunde wie eine Schauspielerin. Ich hab dann in meinem Kopf einen Knopf gedrückt und mich in die andere Welt gebeamt. Dabei geholfen hat mir, dass ich immer meditiert habe. Ich hab mich damit besser darauf einrichten können, wer ich sein sollte.

Gab es auch Situationen, in denen dir das nicht gelungen ist? So etwas geht gar nicht. Natürlich habe ich mich manchmal nicht so gut gefühlt und mir war manchmal unwohl bei dem, was ich tun sollte. Aber was nutzte das? Ich musste es ja trotzdem durchziehen und trotzdem lächeln.

Haben die Männer bemerkt, wenn du „gezwungen“ rüberkamst? Ja, sie haben mich dann auch schon mal gefragt: "Sollen wir es besser lassen?" Aber in dem Moment hab ich es überspielt, denn solche Gefühle durfte ich ja nicht zulassen.

Wie sensibel und wie einfühlsam hast du diese Männer denn erlebt? Haben sie sich wirklich Gedanken darüber gemacht, wie du dich gefühlt hast? Nein, sie dachten immer, dass ich Spaß dabei hätte. Und das musste ich ja auch so rüberbringen, als ob es eine reine Spaßsache wäre. Sonst ging es nicht. Denn diese Männer wollen ja keine Frau, die keinen Spaß hat. Viele von ihnen haben mich gut behandelt. Aber man darf dabei nie vergessen, dass es um Geld ging und ein Geschäft war, wie jedes andere auch.

Ist es dir je passiert, dass du einen richtig psychopathischen Freier erwischt und abgebrochen hast? Doch, da war einer, der mich gewürgt hat. Mein Fahrer hatte mich zu ihm gebracht, denn man muss ja Schutz haben. Der Mann hatte mich wohl gebucht, weil ich seiner Ex-Freundin so ähnlich sah. Vermutlich hat er an mir all die Wut ausgelebt, die er auf sie hatte. Irgendwie hab ich es dann geschafft, den „Notknopf“ zu drücken. Das war das Signal für meinen Fahrer, der sofort hochgerast kam und den Typ von mir runtergeholt hat.

Hast du das öfter gehabt? Nein, nur einmal. Aber vielleicht erinnere ich mich auch nur heute nicht mehr daran, denn man verdrängt ja alles Negative irgendwann.

Wie sieht dein Männerbild heute aus? Ich habe kein Vertrauen zu Männern mehr. Das ist vorbei. Ich glaube, dass ich durch meine Arbeit als Prostituierte einen Knacks wegbekommen habe. Ich komme zwar nicht so rüber und erzähle auch keinem Mann, den ich kennenlerne, was ich mal gemacht habe. Aber ich habe ein sehr gestörtes Verhältnis zu Männern seither.

War der Großteil der Männer verheiratet, oder hast du diese Info gar nicht bekommen? Meist haben sie mir erzählt, dass sie verheiratet waren, ja. Und ich hab dann gedacht: "Oh Mann, das ist jetzt blöd, aber wenn es uns nicht gäbe, würden diese Männer gewiss woanders ihre sexuellen Bedürfnisse und perversen Wünsche ausleben." Ich hab großen Respekt vor allen Frauen, die als Huren arbeiten, denn es gibt so viele kranke Männer auf dieser Welt. Und wenn es Huren nicht gäbe, würden andere Frauen schrecklich darunter leiden, davon bin ich überzeugt.

Was ist Liebe für dich? Liebe ist für mich etwas sehr sehr Wertvolles.

Wie würdest du Liebe definieren? Liebe hat zwar auch mit Sex zu tun, aber sie ist viel mehr. Für mich ist wichtig: Geborgenheit, Ehrlichkeit, Zusammengehörigkeit, dass einer für den anderen da ist, dass man gemeinsam durch dick und dünn geht. Danach erst kommt der Rest, auch Sex. Leider denken heutzutage viele Menschen, wenn sie "Liebe" hören,  nur an das Eine, nur das muss stimmen und dann stimmt das andere auch. Aber das ist falsch. Für mich muss erst die Basis vorhanden sein, erst wenn man sich geborgen fühlt, absolut ehrlich zueinander ist und füreinander da ist, erst dann kann man auch eine erfüllte sexuelle Beziehung führen.

Was denkst du heute, wenn du die Wörter „Nutte“, Schlampe“ oder „Hure“ hörst? Also, für mich ist eine Frau, die in eine Diskothek geht und sich abschleppen lässt für zwei Cocktails, auch ein bisschen schlampig. Vor einer Frau hingegen, die das  beruflich macht, also vor einer Hure (denn "Nutte" ist eine Beleidigung), habe ich Respekt. Natürlich gibt es auch in diesem Gewerbe Frauen, die es machen, weil sie Freude daran haben. Manche sind auch krank und Nymphomaninnen. Aber die meisten kommen in so eine Situation, weil sie Geld verdienen müssen. Einige kennen es auch nicht anders – sie werden dort hineingeboren, oder im schlimmsten Fall „reingeschliffen“.

Hast du seit deiner Arbeit im Rotlichtgewerbe wieder eine normale Beziehung führen können? Ich hatte ein halbes Jahr eine Beziehung, aber ich glaube, eine „normale Beziehung“ zu führen, ist für mich unmöglich. Das funktioniert nicht mehr.

Weil dein Vertrauen so nachhaltig gestört ist? Du musst wissen, ich hab in dieser Zeit, in der ich in dieser Branche war, nur Freunde gehabt, die aus diesem Umfeld kamen. Normale Männer, das ging gar nicht. Vielleicht auch deshalb nicht, weil ich "normal" immer mit "pervers" verbunden habe. Denn das hatte ich im Escort ja so kennengelernt: Jemand, der sich nach außen hin vollkommen normal gab, musste irgendwo eine perverse Ader haben, die er im Alltag nur versteckte.

Das heißt, du hattest, wenn du jemanden kennengelernt hast, dieses Bild im Kopf und hast dich gefragt: „Was könnte der jetzt für komische Fantasien haben“? Richtig.

Und das kannst du nicht mehr ausblenden? So ist es. Viele meiner Kunden waren erfolgreiche Männer, die einen hohen Posten in der Wirtschaft bekleideten und ständig unter Druck standen. Gerade sie haben meist eine komische sexuelle Neigung. Ich hab auch nie gefragt, warum sie so sind. Aber ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht …

Und wie erklärst du dir das? Weil diese Männer immer perfekt sein müssen, weil sie immer Macht ausüben konnten und es auch taten, weil andere das, was sie sagten, tun mussten, weil sie ständig Entscheidungen treffen mussten, immer unter Druck. Und irgendwann mussten auch sie mal Druck ablassen und mussten mal die Möglichkeit haben, nicht perfekt zu sein. Und das war wohl ihre Art für einen Druckausgleich zu sorgen.

Das ist eine interessante Erklärung … Ja. In diesem Gewerbe studiert man irgendwie auch Menschen. Bis heute lerne ich immer noch dazu und werde nicht schlau aus Männern. Aber wenn mich eine meiner Freundinnen bittet: „Du, Cheyenne, kannst du dir mal meinen neuen Freund ansehen?“, kann ich ihr sofort sagen, welche Neigung er hat. Meist fragen sie mich dann erstaunt: „Woher weißt du das?“ und ich antworte: „Ich kann dir nicht sagen, ob der treu ist oder nicht, aber ich kann dir sagen, was der für sexuelle Neigungen hat.“ Ich habe eben eine gute Nase dafür. Und meist stimmt es auch.

Als Escort muss man psychologisch geschult sein. Man muss Freundin sein, muss zuhören können und auch die furchtbaren Dinge, die man manchmal erfährt, erstmal selbst verarbeiten können.

Weißt du noch, mit wie vielen Männern du schon Verkehr hattest? Nein. Tut mir leid.

Hast du immer geschützten Sex gehabt? Ja, das musste so sein.

Wie lange bist du jetzt aus dem Rotlichtmilieu raus? Drei Jahre.

Könntest du es dir noch mal vorstellen? Ich war immer hin- und hergerissen. Klar, wenn man einmal da drin ist, ist es ein Teufelskreis, aus dem man nur schwer rauskommt.

War es immer „nur“ Arbeit für dich? Ja, es war immer nur Arbeit. Natürlich gibt es auch nette Männer. Gerade auf dem Straßenstrich in Nordrheinwestfalen habe ich viele nette Männer kennengelernt. Inzwischen gibt es diese Straße nicht mehr. Aber früher war sie berühmt. Dorthin kamen vor allem Bulgaren und Rumänen. Aufgemacht wurde diese Rotlichtmeile damals zur Fußball-WM. Zu dieser Zeit hatte man für Frauen auch Notrufknöpfe eingerichtet, die sie drücken konnten, wenn sie sich bedroht fühlten. Die Polizei oder das Ordnungsamt kamen dann sofort. Meist waren es Partytypen, die da zu mir kamen. Nach der Diskothek sind sie in die Parkbucht gefahren und haben mich besucht. Es war immer ein gutes Arbeiten. Keine Traumarbeit, aber angenehmes Arbeiten, weil es angenehme Menschen waren.

Berliner "Frauenzentrum am Richardplatz" im Stadtteil Neukölln.Berliner "Frauenzentrum am Richardplatz" im Stadtteil Neukölln.Foto: Verein Affidamento

Wie geht es dir seither? Mit welchen Problemen und Schwierigkeiten hast du am meisten zu kämpfen? Mit meinen Mietschulden. Selbst jetzt, wo ich eine Wohnung gefunden habe, ist es ein ständiger Kampf mit dem Amt: Mal zahlt es, mal nicht, dann gibt es eine Menge Papierkram zu erledigen, häufig gibt es neue Bewilligungsbescheide, Sanktionen, wieder neue Mietschulden. Man bekommt dann einen Brief vom Vermieter ins Haus, in dem es heißt: „Sie haben Mietschulden“, dann rennt man wieder zum Jobcenter, um das zu klären. Ein Jahr lang habe ich auf der Straße gelebt – mal hier und mal da, ich hatte nichts Festes und habe auch kein Geld vom Arbeitsamt bezogen. Durch diese Erfahrung lebe ich auch heute noch in ständiger Existenzangst.

Wirklich auf der Straße zu leben, das kann ich mir gar nicht vorstellen. Wie ist das? Also, man sucht sich abends schon eine Bleibe, wo man unterkommen kann. Wir hatten unsere Sachen in Säcken, die wir dann hin und wieder auch weggeworfen haben, weil einfach zuviel Ballast drin war und es zu anstrengend war, sie von einem Ort zum nächsten mitzuschleppen. Mit diesen Säcken waren wir unterwegs, nur mit dem Nötigsten ausgestattet.

Wie muss man sich das vorstellen, wie sah dein Tagesablauf aus? Wir hatten immer eine Wohnung, für eins, zwei oder auch drei Wochen. Aber dafür musste ich natürlich zahlen. Das heißt, das Kindergeld, das ich bekommen habe, war direkt weg für die Miete. Vom Amt bekam ich ja kein Geld. Aber ich bin arbeiten gegangen und habe von diesem Geld auch meine Kinder ernährt, Schulbücher und Tickets für den Bus besorgt und auch noch eine Freundin und deren Kinder mit durchgefüttert. Hätte ich keine Arbeit gehabt, hätte das nicht funktioniert.

Am Anfang eines Tages haben wir uns meist ein Brot gekauft und ein Paket Wurst und mussten damit dann einen Tag lang auskommen – wir waren zu siebt. Zwei oder drei Tage habe ich dann oft selbst nichts gegessen, weil ich wollte, dass meine Kinder was zu essen haben.

Waren deine Kinder mit auf der Straße? Nein, ich hab immer geschaut, dass sie untergebracht waren. Das konnte ich ihnen nicht zumuten. Eine zeitlang sind wir auch verfolgt worden.

Warum und von wem seid ihr verfolgt worden? Wir haben damals in einer Wohnung gelebt, für die wir 400 Euro zahlen mussten, was ich auch gemacht habe. Aber dann kam der Vermieter, ein Araber, plötzlich und sagte, dass wir dies und das kaputt gemacht hätten und wollte dafür Geld von uns haben. Tatsächlich hatten wir aber nichts kaputt gemacht. Aber er wollte uns einschüchtern. Selbst als wir dann eine neue Wohnung gefunden hatten, hat er uns weiter verfolgt. Meine Freundin ist mit ihren Kindern dann in ein anderes Bundesland gegangen, als es ganz schwierig wurde. Und ich stand dann da mit 500 Euro Schulden und war mit meinen Kindern weiter auf der Flucht. Aber irgendwann ging auch das nicht mehr. Und dann hat mir – durch eine glückliche Fügung – die Tochter einer Freundin die Telefonnummer von Affidamento gegeben und mir ans Herz gelegt: „Cheyenne, komm, ruf da jetzt mal an.“ Und das hab ich dann gemacht und zum ersten Mal in meinem Leben Hilfe bekommen.

Glaubst du – nach allem, was du erlebt hast – an Gott? Ja, ich bin total gläubig. Aber zu diesem Glauben habe ich erst vor zwei Jahren gefunden.

Gab es einen besonderen Auslöser? Ja, ich beschäftige mich viel mit der Welt und schaue mir Dokumentationen an. Und egal wohin man schaut: Kriege, Zerstörung, Katastrophen, Attentate und Gewalt … Es ist wirklich schlimm geworden. Aber von irgendwoher muss das ja alles kommen. Und je mehr ich mich allem beschäftigt habe, umso mehr kam ich zu dem Schluss, dass es Gut und Böse geben muss, genauso wie es Gott und auch den Satan geben muss. Ich hab dann begonnen, die Bibel zu studieren, hab viel im Internet gelesen, mir Filme bei Youtube angesehen, und dadurch zu einem festen Glauben gefunden.

Wovor hast du im Augenblick am meisten Angst? Also hier geht es mir jetzt relativ gut. Aber die Angst, vielleicht wieder irgendwann auf der Straße zu landen, die bleibt. Ich glaube, diese Existenzangst werde ich nie wieder aus meinem Kopf bekommen.

Was war das Schlimmste, das du empfunden hast, als du auf der Straße warst? Hattest du je das Gefühl, deine Würde oder deine Achtung vor dir selbst verloren zu haben? Wie haben dich andere Menschen behandelt? Man hat es mir und den Kindern ja nicht angesehen, weil wir immer gepflegt waren, und nachts auch immer eine Bleibe gefunden haben. Aber es war trotzdem die Straße, denn wir hatten nichts Eigenes. Das ist ein ganz blödes Gefühl. Man kann nicht sagen: "So, ich gehe jetzt nach Hause", man kann nicht die Tür hinter sich schließen, und einfach ankommen. Dieses Gefühl, zu Hause zu sein, geschützt und behütet zu sein, das konnte ich meinen Kindern nicht geben. Wir sind zwar immer irgendwo untergekommen, aber es war nie unser Zuhause.

Was hat das mit deinem Selbstwertgefühl gemacht? Es war ganz schlimm. Dennoch haben meine Kinder immer zu mir gestanden. Dafür bin ich ihnen auch heute noch ganz besonders dankbar. Sie haben immer gesagt: „Mama, alles ist gut. Wir machen das schon. Und es wird auch wieder bessere Zeiten geben!“

Was würde dir momentan am meisten helfen? Ich arbeite im Augenblick in einem sozialen Programm, für 1,50 Euro pro Stunde. Das heißt, ich sitze im Büro, in einer Schreibstube und versuche Flüchtlingen beim Ausfüllen von Anträgen zu helfen. Leider kommen nicht viele zu uns. Ich kann auch verstehen, warum sie nicht kommen, denn sie alle waren ja auf der Flucht oder haben auf der Straße gelebt, bis sie ins Wohnheim gekommen sind. Und jetzt müssen sie erst mal ankommen, runterkommen, sich sammeln und einfach den Kopf  frei haben,  um Anträge auszufüllen.

Macht dir diese Arbeit Freude? Ja, sie macht mir Freude, aber sie macht mich gleichermaßen auch traurig. Nämlich dann, wenn ich sehe, dass ich einem Menschen nicht helfen kann, weil es an irgendwelchen Papieren scheitert.

… und du möchtest gerne helfen … Ja, unbedingt. Aber in diesen Momenten fühle ich mich dann so ohnmächtig.

Was würdest du anderen Menschen sagen, die selbst gerade in eine Notsituation geraten sind und nicht wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen?  Ich habe mir nie Hilfe geholt und immer versucht, mich allein durchzuboxen. Aber das hilft einem gar nicht, das kostet nur Kraft und irgendwann ist die gesamte Kraft aufgebraucht.  Ich würde ihnen sagen, holt euch so früh wie möglich Hilfe. Seitdem ich in den Händen der wunderbaren Frauen von Affidamento bin, geht es mir richtig gut.  Ich weiß, dass ich hier immer aufgefangen werde, egal, was passiert, ich weiß, dass sie mich nicht im Stich lassen. Sie haben mir bei so vielen Sachen geholfen, wie zum Beispiel mit dem Amt und meinen Mietschulden. Ich bin ihnen so dankbar dafür.

Wie bist du damals in diese Notsituation geraten? Ich denke mal, dass du als Escort ganz gut verdient hast …Ja, wenn man das Geld auch bekommt. Ich habe es eben nicht bekommen. Das ist das Problem. Und dann kam dazu, dass die mich ab irgendeinem Punkt auch gar nicht mehr rausgelassen haben. Ich hätte dann den Zuhältern, für die während meiner Zeit auf dem Straßenstrich, im Puff und im Bordell gearbeitet habe, 6.000 Euro Ablöse zahlen müssen, damit sie mich freigeben. Durch einen Mann, den ich kannte, einen, der mehr zu sagen hatte, als der, für den ich gearbeitet habe, habe ich es schließlich geschafft. Sonst wäre ich wohl immer noch im Rotlichtmilieu.

Bei dir war also schon lange der Wille da, auszusteigen? Ja, aber es ging lange Zeit nicht. Ich hatte ja kaum Geld für mich. Man verdient viel Geld im Monat und ich hab gerade mal 150 EUR bekommen. Und dadurch wird man gezwungen, weiterzumachen. Die Zuhälter nehmen immer neue Aufträge an, die man dann auch erledigen muss.

Das heißt, du hattest auch gar kein finanzielles Polster? Nein. Wenn ich alles allein gemacht hätte, wäre es mir richtig gut gegangen. Aber wenn man mit Schutz und Zuhältern arbeitet, kommt man zu nichts. Man arbeitet für die Katz.

Und dieser Job macht deine Seele kaputt … Ja, er verändert dich für immer.

Als du ausgestiegen bist, hast du also erstmal vor dem Nichts gestanden? Ja, und vor allem gibt einem dieser Job das Gefühl, dass man nichts mehr anderes als das machen kann. Ich hab mich dann immer gefragt: Was soll ich jetzt tun?

Obwohl du doch so viele Dinge gut konntest – wie Reiten und Tanzen … Und du kannst offenbar sehr gut mit Menschen umgehen, du möchtest helfen … Ja, aber das musste ja erst einmal wieder in meinem Kopf ankommen.

Würdest du sagen, dass dich die Escort-Zeit so verändert hat, dass du das Gefühl hast, nichts mehr wert zu sein? Mal ja, mal nein. Es kam immer auf die Situation an. Ich  bin immer die geblieben, die ich war. Aber mein Denken und meine Gefühlsebene haben sich verändert.

Bist du härter geworden? Ja, Männern gegenüber auf jeden Fall. Ich lasse nicht mehr jeden so nah an mich ran, aber wenn es dann einer geschafft hat, dann laufe ich Gefahr, zu klammern. Das ist bei mir so ein zweigespaltenes Verhältnis. Ich höre oft, ich sei kalt. Aber ich habe einfach so große Verlustängste.

Vielleicht auch deshalb, weil du dein ganzes Leben die Erfahrung gemacht hast, dass egal, was du gemacht hast, nichts von Dauer war, dass du alles wieder loslassen musstest, dass du nie etwas Sicheres und nie Geborgenheit erfahren hast? Ja, das stimmt. Von Anfang an war mein Leben eine Katastrophe.

Wie war das in deiner Kindheit? Da habe ich bei meiner Oma gewohnt. Meine Mutter kenne ich nicht, mein Vater ist irgendwann abgehauen. Ich bin im Heim groß geworden und sehr früh Mutter geworden. Heute denke ich, dass alles vorprogrammiert war, dass mein Leben so laufen musste, wie es jetzt gelaufen ist.

Welche Bedeutung haben Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe für dich? Sie bedeuten mir sehr viel. Denn gerade heutzutage merken viele Menschen ja gar nicht mehr, was draußen wirklich passiert. Alle rennen mit ihren Handys durch die Gegend, keiner achtet mehr auf den anderen. Wir werden einfach nur noch manipuliert. Wir können gar nicht mehr anders. Alles spielt sich nur noch im Internet ab. Mit der Außenwelt ist man gar nicht mehr wirklich, sondern nur noch virtuell in Kontakt.

Man wird ein wenig autistisch … Genau. Das ist das richtige Wort. Deshalb können wir auch gar nicht mehr auf unsere Mitmenschen achten. Gefühle – so wie hier im "Frauenzentrum" – gibt es gar nicht mehr. Und wenn, dann sind es meist die Menschen, die nicht viel mit dem Internet zu tun haben. Also Menschen, die wirklich sagen können: Okay, ich bin jetzt zuhause und brauche mein Handy nicht. Diese Menschen sind noch mitfühlend, sie nehmen sich Zeit für andere, aber die meisten können das nicht mehr. Das beste Beispiel ist meine Tochter. Wenn ich mit ihr in die Stadt gehe und sage: „So, heute ist handyfreier Tag“, dann laufen wir gerade zehn Minuten …

… und sie ist schon wieder online bei Facebook? Genau. Es ist eine Sucht.

Und dabei ist Facebook nicht mehr als nur eine Parallelwelt. Wirkliche Probleme kannst du dort nicht loswerden … Das stimmt. Alle machen alles für Likes. Viele spiegeln ihren Freunden auch einen hohen Lebensstandard vor. Angeblich machen sie dies oder das, und die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Der gesamte Alltag, den sie angeblich leben, ist eine einzige Lüge. Alles wird nur zelebriert, um sich positiv zu präsentieren.

Welche Menschen haben dir in deiner Notsituation ganz besonders geholfen? Die Sozialarbeiterinnen von Affidamento. Sie haben mich aufgefangen und wieder hochgepäppelt. Alle hier sind so engagiert und man merkt irgendwann: Man ist nicht allein. Da ist jemand, der hilft und sich kümmert.

Wenn du jetzt im Radio wärst und eine Minute Zeit hättest, einen Appell an die Menschen da draußen loszuwerden, was würdest du ihnen sagen? Leute, hört auf, einer virtuellen Welt, die gar nicht existiert, hinterherzurennen, kümmert euch um euch selbst und um eure Mitmenschen! Lebt in dieser Welt, nicht in der künstlichen Matrix-Welt.

Wenn du drei Wünsche frei hättest, was würdest du dir wünschen? Frieden und dass es keine Krankheiten gibt. Ich würde mir wünschen, dass Geld abgeschafft wird und jeder die gleiche Chance bekommt, aus seinem Leben etwas zu machen.

Was ist es, das für dich wirklich zählt im Leben? Meine Kinder. Liebe, Respekt vor anderen Menschen und Menschlichkeit. Wenn ich in der U-Bahn-Station bin und jemanden sehe, dem es schlechter geht als mir, dann helfe ich – obwohl ich nicht viel habe. Denn ich sehe einen Menschen, der meine Hilfe braucht, und wenn ich auch nur wenig Geld habe, warum soll ich es ihm nicht geben? Ob ich den Euro jetzt für Schminke ausgebe oder beim Starbucks lasse, dann gebe ich es lieber dem, der es nötiger braucht als ich.

Würdest du dir auch wieder eine richtige Partnerschaft wünschen? Ja. Aber bislang hat es nicht funktioniert. Vielleicht bin ich ja beziehungsunfähig. Natürlich wünsche ich mir das. Und ich habe Angst vor Einsamkeit.

Wie müsste dein idealer Partner aussehen? Männlich müsste er sein. Es müsste jemand sein, der mich beschützen kann. Jemand der ehrlich ist, einer, der immer für mich da ist. Es geht nicht um Geld. Es geht einfach nur darum, dass ich weiß, dass ich mich bei ihm fallenlassen kann. 

Welche Rolle spielt Treue? Eine ganz große. Teilen ist nicht schön. Ich würde auch verzeihen können. Aber es würde mir sehr weh tun.

Cheyenne, ich danke dir ganz herzlich für das Gespräch!

Dr. Sandra Maxeiner, Autorin, unter anderem von "Dr. Psych" über Psychopathologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie und Gründerin des Förderkreises "Was wirklich zählt im Leben".Dr. Sandra Maxeiner, Autorin, unter anderem von "Dr. Psych" über Psychopathologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie und Gründerin des Förderkreises "Was wirklich zählt im Leben".

Unsere Gastautorin Sandra Maxeiner: "Derzeit gründen wir den Verein "Was wirklich zählt im Leben e. V." und werden mit ihm hoffentlich noch viel Gutes bewegen und Wundervolles anstossen. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir damit unseren kleinen Beitrag dazu leisten können, diese Welt etwas schöner, ja etwas l(i)ebenswerter zu machen…" 



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion