Erste deutsche IS-Rückkehrerin aus Niedersachsen vor Gericht

Vor vier Jahren trug W. noch Burka, heute ist sie die erste deutsche IS-Rückkehrerin, die sich vor einem Gericht verantworten muss.
Epoch Times9. April 2019

Weiße Bluse, schwarzes Sakko, die langen Haare zu einem Zopf gebunden: Jennifer W. sitzt auf der Anklagebank im Outfit einer westeuropäischen Frau.

Keine vier Jahre ist es her, da trug die 27-Jährige aus Niedersachsen Burka. Mit einer Kalaschnikow bewaffnet zwang sie nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft irakische Frauen in Mossul und Falludscha, sich nach den Regeln der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu kleiden.

Die vor dem Oberlandesgericht München angeklagte Jennifer W. steht für ein Phänomen, das die Ermittler der Bundesanwaltschaft mühevoll juristisch aufarbeiten. Sie gehört zu den Frauen, die aus  Deutschland in das Kampfgebiet des IS zogen, sich dort Männer suchten und ein neues Leben begannen. Jetzt ist sie die erste deutsche IS-Rückkehrerin, die sich vor einem Gericht verantworten muss.

Vorwurf: Mord durch Unterlassen

W. soll nicht einfach nur an der Seite von IS-Kämpfern gelebt haben. Durch ihre Patrouillengänge wurde sie für die Bundesanwaltschaft zum IS-Mitglied, was W. von manchen anderen Rückkehrerinnen unterscheidet: Weil diese keine aktive Rolle übernahmen, können sie in Deutschland nicht belangt werden.

Aber W. soll außerdem auch durch Unterlassen an einem von der Bundesanwaltschaft als Kriegsverbrechen eingestuften Mord beteiligt gewesen sein. Mit ihrem Mann – dem zweiten, den sie nach ihrer Ausreise 2014 heiratete – habe sie sich auf einem Sklavenmarkt eine fünf Jahre alte Kriegsgefangene als Haussklavin gekauft, sagt Anklägerin Claudia Gorf.

Die Oberstaatsanwältin schildert, wie sich das erkrankte Kind im Sommer 2015 auf einer Matratze einnässte. W.s Mann sei wütend geworden und habe das Kind ohne Wasser draußen angekettet. „Zu diesem Zeitpunkt herrschten in Falludscha Temperaturen von etwa 45 Grad Celsius“, sagt Gorf. „Qualvoll“ sei das Kind verdurstet.

Der Vorwurf lautet auf Mord durch Unterlassen. Obwohl W. den drohenden Tod des Kinds erkannt habe, habe sie nichts unternommen. So steht es in der im Dezember zum Prozess zugelassenen Anklage.

Inzwischen wiegt der Vorwurf noch schwerer, denn es steht fest, dass das Mädchen Jesidin war. Der IS verfolgte die religiöse Minderheit gezielt, Experten sehen darin einen Völkermord. Der Tod des Kinds könnte also Teil dieses Völkermords sein.

Die Frau schweigt

Am Rande des Verfahrens sagt Oberstaatsanwältin Gorf, das Geschehen erscheine von Deutschland aus so weit weg – doch tatsächlich sei es ganz nah. Warum es so kommen konnte, dass eine junge Frau aus einer katholischen Kleinstadt sich dem IS anschloss, ist ein Rätsel.

W. schweigt zum Prozessauftakt. Als der Richter sie nach ihrem Beruf fragt, schüttelt sie den Kopf. Einen Beruf hatte sie nie. Ihr Pflichtverteidiger Ali Aydin bezweifelt, dass sie eine Kriegsverbrecherin ist.

Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft beruhen im Wesentlichen auf abgehörten Gesprächen, die W. 2018 bei einem neuerlichen Ausreiseversuch in IS-Gebiet führte. Sie war in eine Falle geraten: Ein FBI-Mann war ihr Fahrer, sein Auto war vollständig verwanzt.

Aydin sagt, seine Mandantin könne schlicht übertrieben haben. Schon gar nicht akzeptieren will er, dass ihr der Tod des Mädchens angelastet wird. Sie sei in einer anderen Kultur unterwegs gewesen, in der Frauen nichts zu sagen hätten. „Wir können nicht sagen, Frauen haben da nichts zu melden – und im nächsten Absatz sagen wir, sie hätte es verhindern müssen.“

Ob W.s Verteidiger mit dieser Position durchkommt, wird sich im Prozess weisen müssen. In diesem wird auch die inzwischen identifizierte Mutter des Kinds aussagen. Die Menschenrechtsanwältin und Ehefrau von Hollywoodstar George Clooney, Amal Clooney, vertritt sie mit anderen Anwälten.

Die prominente Unterstützung hat einen Grund: Der Münchner Prozess soll weltweit der erste sein, der ein Kriegsverbrechen an einer Jesidin behandelt. Am 29. April geht das Verfahren weiter – dann hat W. das erste Mal Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen persönlich zu äußern. (afp)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion