Interview über Mo Yan, Liao Yiwu, Politik und Literatur

Titelbild
Tienchi Martin-Liao, Präsidentin des Independent Chinese PEN Center.Foto: Lea Zhou / Epoch Times
Von 22. Oktober 2012

Die chinesische Literatur steht derzeit im Mittelpunkt der internationalen Literaturszene wie nie zuvor.

Am 11. Oktober 2012 erhielt Mo Yan, stellvertretender Vorsitzender des staatlichen Verbandes der chinesischen Schriftsteller, den Nobelpreis für Literatur. Am 14. Oktober wurde Liao Yiwu in Frankfurt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Er ist der erste chinesische Schriftsteller, der diesen bedeutenden Preis gewonnen hat. Die beiden chinesischen Schriftsteller mit unterschiedlichem gesellschaftlichem Hintergrund haben eine ebenso unterschiedliche Sicht auf das moderne China.

Der eine – Mo Yan – ist ein hochrangiger Beamter innerhalb des kommunistischen Systems, der andere – Liao Yiwu – ist ein freier Dichter, der im Exil lebt. Die unterschiedliche Identität, die unterschiedlichen Schreibstile und die unterschiedlichen Themen ihrer Geschichten lösen in der literarischen Welt ganz unterschiedliche Reaktionen auf die beiden Preisgewinner aus.

Die Epoch Times sprach mit Tienchi Martin-Liao, der in Deutschland lebenden, amtierenden Präsidentin des Independent Chinese PEN Center (ICPC) über die beiden preisgekrönten chinesischen Autoren.

Epoch Times: Mo Yan und Liao Yiwu, zwei Autoren aus der VR China, erhielten nacheinander höchst renommierte internationale Preise. Worin sehen Sie den größten Unterschied zwischen den beiden Preisträgern?

Martin-Liao: Mo Yan ist ein guter Schriftsteller. Seine Sprache, Wortwahl und Storys sind sehr theatralisch und bunt. In seinen Werken gibt es Totschlag, Mord, Selbstmord, er beschreibt sowohl den Untergang eines Imperiums, den China-Japan-Krieg, als auch Chinas blutige Kulturrevolution. Die Welt, die unter seiner Feder entsteht, ist voller Gier, sie ist grausam und barbarisch. Sie spiegelt die primitivsten Verhaltensweisen von Menschen in extremen Situationen wider. Er verfügt über eine kraftvolle Sprache.

Dennoch, anders als Liao Yiwu, ergreift Mo Yan nicht das Wort für diejenigen, die sich nicht äußern können. Er ist auch nicht wahrheitsgetreu bei der Wiedergabe von Chinas wahrem Gesicht. Seine Werke sind betont theatralisch, sie wirken zuweilen wie ein buntes Musical. In manchen Situationen schreibt er auch sehr affektiert. Seine Geschichten haben oft einen reißerischen Charakter, aber ich finde, sie sind sehr fern von der Realität.

Die beiden Autoren befinden sich in völlig unterschiedlichen Lebenssituationen. Liao Yiwu ist ein Exil-Schriftsteller, er möchte zwar nicht im Exil leben, er hat jedoch keine andere Wahl. Mo Yan ist Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas, er ist stellvertretender Vorsitzender des staatlichen Verbandes der chinesischen Schriftsteller. Er genießt die Privilegien eines Vizeministers und erhält sein Gehalt vom Staat. Ich denke, in einer solchen Position kann er schwerlich Unabhängigkeit bewahren, es ist auch schwer für ihn, wahrhaftig und unbestechlich zu bleiben. Ich kritisiere nicht seine Persönlichkeit, ich möchte damit nur sagen, dass Mo Yan durch seine gesellschaftliche Position darin eingeschränkt wird, wahrheitsgetreu zu schreiben.

Epoch Times: Nachdem er den Nobelpreis erhalten hatte, betonte Mo Yan mehrmals, er sehe seine Auszeichnung als einen Sieg für die Literatur und nicht als einen Sieg der Politik.

Finden Sie, dass Literatur und Politik ganz getrennt werden können?

Martin-Liao: Literatur und Politik können nicht ganz voneinander getrennt werden. Wenn sie vollständig voneinander getrennt werden könnten, dann bräuchten wir nur noch Märchen zu lesen. Ich habe Literatur studiert, habe sehr viele internationale Werke gelesen, natürlich auch chinesische. Ganz ehrlich, manchmal habe ich die Literatur satt, ich lese dann gerne Märchen und Jugendliteratur, denn darin findet man noch Reinheit; aber es ist immerhin nur Jugendliteratur.

Literatur und Politik sind in Wirklichkeit nicht voneinander zu trennen. Aber wenn manche Werken eine starke politische Tendenz zeigen, mögen die Leser das nicht. Wenn die Literatur wiederum nur über Blümchen, Schneeflocken oder den Mond schreibt, die mit unserem Leben in der realen Welt nichts zu tun haben, hat das Ganze auch keinen Sinn. Literatur muss auf die Gesellschaft und auf die Menschen eingehen. Menschen leben in der Gesellschaft, die Gesellschaft ist verwoben mit der Politik. Literatur kann nicht von der Gesellschaft isoliert gesehen werden. Ein guter Schriftsteller kann die politischen Implikationen in der Gesellschaft subtil auf das hohe Niveau von Literatur zu bringen.

Wenn es heißt, dass nunmehr Politik und Literatur zu trennen seien, weil jetzt Mo den Literaturnobelpreis gewonnen hat, so ist das in meinen Augen Unsinn, eine Behauptung, der es an grundlegendem allgemeinem Wissen mangelt. Viele Menschen möchten Konflikte mit Chinas KP vermeiden und kritisieren Mo Yan aus diesem Grunde nicht. Ich habe ihn hier auch nicht kritisiert, aber ich finde, dass er in seinen Texten nicht wahrhaftig genug ist. Ich empfinde ihn als einen kleinbürgerlichen Schriftsteller.

Epoch Times: Nach dem Erhalt des Literaturnobelpreises betonte Mo Yan in Interviews: „Wer meine Bücher gelesen hat, weiß, dass sie kritisch sind.”

Wie unterscheiden sich Ihrer Meinung nach die Literatur von Mo Yan und Liao Yiwu hinsichtlich ihrer kritischen Haltung?

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Martin-Liao: Ich gebe auch zu, dass die Werke von Mo Yan einen kritischen Charakter haben. Seine Kritik zeigt sich durch die satten Farben der volkstümlichen Lebensweise. Sie verstecken sich oft hinter einer Maske. Mo Yan verwendet seltsame, absurde Schreibformen, um eine Welt voller Schrecken, Gewalt und Blut zu beschreiben. Solche Werke können die Menschen auch erschüttern. Ich möchte damit nicht seinen Stil kritisieren. Er kann sich natürlich dieses Stils bedienen.

Die Werke von Liao Yiwu sind im Vergleich zu denen von Mo Yan wie Strichzeichnungen, die die Realität Chinas unumwunden widerspiegeln.

Mo Yan arbeitet mit einer surrealistischen Methode, die auch als „magischer Realismus“ bezeichnet wird. In meinen Augen ist die Realität Chinas so grausam, dass ich es als heuchlerisch empfinde, diese Realität auf eine surrealistische Weise zu beschreiben. Das erscheint mir inakzeptabel.

Epoch Times: Welches Buch von Liao Yiwu würden Sie unseren Lesern empfehlen?

Martin-Liao: Sein Buch „Für ein Lied und hundert Lieder” kann das Herz sicherlich am tiefsten berühren. Eine grauenhafte Strichzeichnung – die Realität wird ohne Beschönigung gezeigt, nichts wird versteckt. Es handelt nicht nur von anderen Menschen, sondern auch von ihm selbst und zwar ohne sich selbst rechtfertigen zu wollen. Das ist eben der Unterschied zwischen Liao Yiwu und Mo Yan.

Das neue Buch von Liao Yiwu „Die Kugel und das Opium”, das die Geschichte von Leben und Tod während des Tiananmen-Massakers 1989 erzählt, ist sehr erschütternd. Nach 1989 haben nachdenkliche Chinesen eine innere Barriere, die nicht aufgelöst werden kann; denn wir alle wissen, dass die chinesische Armee damals Teile des eigenen Volks massakriert hat. 23 Jahren später müssen wir noch immer erleben, dass das Regime sich weiterhin an der Macht hält. Es zeigt der Welt eine strahlende Fassade und sonnt sich in seiner Stärke und seinem (vermeintlichen) Wohlstand. Liao Yiwu hat mit seinem Buch „Die Kugel und das Opium“ ein Zeugnis für die unschuldig Gestorbenen niedergelegt und damit hat er sicherlich die Seelen dieser Menschen beruhigt. Auf sehr schlichte und überzeugende Weise zeichnet er für die Leser die Wahrheit und die Realität. .

Epoch Times: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Lea Zhou.

 

 



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