Angriffe auf Richter zeigen die Wut der Bevölkerung über Chinas Justizsystem

Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) sieht sich als Institution, die über dem Gesetz steht
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Foto: Yongzhou für Radio Free Asia

Am 1. Juni wurden drei Richter von einem Sicherheitsoffizier der Postbank in der Provinz Hunan erschossen. Eine Woche später bespritzte ein Paar in der Provinz Guangxi sechs Gerichtsbedienstete mit Schwefelsäure. Unter ihnen befanden sich drei Richter. Es gab Verletzungen unterschiedlichen Grades

Die beiden jüngsten Fälle von Gewaltakten gegen Richter sind zum Hauptthema der angeheizten Debatten in der chinesischen Gesellschaft und im Internet geworden.

Eine überwältigende Mehrheit der Internetkommentare drückt Solidarität mit den Tätern aus und gibt an, dass der Grund für diese Attacken im ungerechten Justizsystem zu suchen sei. Man hält diese Angriffe für verzweifelte Racheakte von ganz gewöhnlichen Menschen der Gesellschaft. Es sind Menschen, die von einem korrupten Justizsystem enttäuscht sind, im Stich gelassen wurden und sich vollkommen hilflos fühlen.

Zhu Yun aus Yongzhou in der Provinz Hunan, 46 Jahre alt, war Sicherheitschef der Postbank des Bezirks Lingling. Am Morgen des 1. Juni 2010 betrat Zhu das Bezirksgericht Lingling. Er war mit einer Maschinenpistole und zwei Pistolen bewaffnet. Er ging ins vierte Stockwerk und feuerte in ein Büro, in dem Angestellte arbeiteten. Er tötete drei Richter und verletzte die anderen drei, bevor er sich selbst das Leben nahm.

Der Vorfall machte Schlagzeilen auf allen größeren chinesischen Webseiten. Auf der beliebten Webseite Tencent erschienen innerhalb von nur zwei Stunden 90.000 Einträge und 6.000 Kommentare. Die Schätzungen aller größeren Webseiten zeigten, dass 99 Prozent der Kommentare Zhus Aktionen unterstützten. Einige nannten sie „einen guten Job“ und andere bezeichneten Zhu als Helden.

Hunderte von Ortsansässigen versammelten sich am folgenden Tag vor dem Gericht und nahmen die Gelegenheit wahr, ihre eigenen Klagen über das Justizsystem zum Ausdruck zu bringen. Einige versuchten das Gerichtsgebäude zu stürmen. Sie hielten Schilder hoch mit der Aufschrift: „Zhu Jun möge in Frieden ruhen!“ Andere riefen: „Zhu Jun ist ein Held des Volkes!“ Die Polizei versuchte, die Demonstranten abzuriegeln.

Motive für den Mord

Nach offiziellen Medienberichten sei Zhus Motiv für die Morde die Tatsache gewesen, dass er an einer unheilbaren Krankheit leide und dass er mit den Regelungen bei seiner Scheidung nicht einverstanden sei.

Bei den Ortsansässigen herrschte die weit verbreitete Erklärung vor, dass Zhu in ein Manganbergwerk investiert habe und mit jemandem über die Besitzrechte in Streit geraten sei. Zhu hätte seinen Richter bestochen, doch sein Gegner hätte den Richter mit noch mehr Geld bestochen. Folglich habe Zhu den Fall und somit alles verloren.

Nach einem Bericht vom 7. Juni der „Century Weekly“ jedoch, habe Zhu ein Testament hinterlassen, in dem er ein Justizunrecht erwähne.

Hinzu kommt noch, dass mehrere größere chinesische Medien (unter ihnen die „Yunnan Information Times“ und die „Century Weekly“) berichteten, dass eine Frau namens Tang Manyun ihnen Folgendes mitteilte: Im Jahre 2006 war ihre zehnjährige Tochter, deren Pflegevater Zhu gewesen sei, entführt worden.

Drei Monate lang hielten die Kidnapper das Kind fest. In dieser Zeit wurde das Mädchen von der Gang vergewaltigt und zur Prostitution mit mehr als 100 „Klienten“ gezwungen. Doch die Polizei von Lingling tat nichts um zu helfen.

Tang erklärte, dass Zhu ihr geholfen habe, ihre Tochter zu finden und er habe ihr auch geholfen, nachher für die Familie Petitionsschreiben aufzusetzen. Viele Leute sind der Meinung, dass Zhus Motivation für seinen Angriff auf die Richter mit diesem Fall zu tun habe.

„Radio Free Asia“ (RFA) berichtete, dass die Polizei Frau Tang am Abend des 7. Juni vorgeladen und sie in Haft genommen habe. Sie wurde beschuldigt, Gerüchte verbreitet zu haben. Auch ihr Ehemann, Herr Jiang, wurde zur Polizeistation zitiert und kam erst am folgenden Abend wieder frei.

Jiang teilte RFA mit, dass der Fall ihrer Tochter, ein Fall von besonders roher Vergewaltigung und erzwungener Prostitution, zu Beginn des Jahres 2007 vor Gericht kam. Von den 15 Angeklagten erhielten zwei die Todesstrafe, zwei eine lebenslängliche Strafe, einer 16 Jahre und ein anderer 15 Jahre Gefängnis.

Jiang sagte, dass das Mädchen auch von einigen Polizeibeamten vergewaltigt worden sei. Diese hatten andere beschützt, die auch in den Fall verwickelt waren. Folglich seien noch mehrere Gangmitglieder und über 100 ihrer „Klienten“ auf freiem Fuß und stünden unter dem Schutz der örtlichen Polizei.

Nach diesen Quellen hat es den Anschein, dass die Korruption der Richter, die Zhu erfahren hat, ein überzeugenderes Motiv für seinen Angriff auf die Richter ist, als das der staatlichen Medien.

Verzweifelte Maßnahmen

Während der Fall Zhu noch das Hauptthema in der Nation war, ereignete sich am 8. Juni, also nur eine Woche später, schon wieder ein Angriff auf Richter, dieses Mal in der Stadt Wuzhou, in Chinas südöstlicher Provinz Guangxi.

„China News Service“ berichtete, dass während eines Einsatzes, bei dem ein Gerichtsurteil vollstreckt werden sollte, ein Paar sechs Gerichtsbedienstete verletzte, indem es sie mit Schwefelsäure bespritzte. Zu ihnen gehörten auch drei Richter.

Mehrere tausend Blogger reagierten sofort auf die Nachricht. Die meisten machten Chinas ungerechtes Justizsystem dafür verantwortlich und erklärten, diese jüngste Attacke auf Richter sei nur ein weiterer Fall gewöhnlicher Bürger, zu verzweifelten Mitteln zu greifen, weil von der Regierung keine Gerechtigkeit käme.

Am 14. Oktober 2009 erstach ein Mann einen Beamten der Gerichtspolizei mit einem Messer und verletzte drei weitere Menschen im Mittleren Volksgericht der Stadt Zunyi in der Provinz Guizhou. Der Mörder ist immer noch auf freiem Fuß.

Am 5. April 2006 ließ ein behinderter Mann in einem Gericht in der Stadt Guangyuan in er Provinz Sichuan Sprengstoff explodieren und tötete dabei einen Richter und sich selbst.

Am 6. Januar 2006 zündete ein Mann in einem Landgericht in Minle in der Provinz Gansu Sprengkörper, die an seinem Körper befestigt waren. Dabei tötete er fünf Menschen und verletzte 22. Er war außer sich wegen eines Gerichtsbeschlusses, der den Tod seines Sohnes betraf.

Im Jahre 2005 schickte ein Bewohner von Yongzhou ein Paket mit einer selbst gebauten Bombe an ein Gericht. Er verletzte einen Menschen und machte zwei zu Invaliden. Der Mann war zornig über eine Gerichtsentscheidung über die Verletzungen, die sein Sohn sich bei der Arbeit zugezogen hatte.

Korruption bei den Richtern breitet sich aus

Nach Aussagen der ehemaligen chinesischen Richterin Grace Li hat China kein unabhängiges Justizsystem. Die Chinesische Kommunistische Partei (KPCh) sieht sich als Institution, die über dem Gesetz steht.

Ein Gerichtsdirektor muss gleichzeitig Parteisekretär des Gerichts sein und wird überwacht von Beamten, die den gleichen Rang bei der Kommission für Politik und Gesetz des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei haben. Die Finanzen und das Budget eines Gerichts werden von örtlichen Beamten kontrolliert.

Entsprechend müssen sich die Gerichte der Partei unterwerfen und ihre richterlichen Aufgaben so durchführen, dass ihr finanzielles Überleben gesichert ist. Inzwischen stattet die Partei Richter auf allen Ebenen mit der Macht aus, sich an extremer Korruption zu beteiligen.

Li erklärte, dass auf verschiedenen Ebenen Richter wie auch auf verschiedenen Ebenen örtliche Beamte dem Wohl der Öffentlichkeit und auch deren Interessen gleichgültig gegenüberstehen. Der Grund dafür liegt in ihren eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen.

Für Macht und Geld kümmern sich Richter oft nicht um Gerechtigkeit. In Chinas Justizsystem ist Bestechung weit verbreitet und die Beamten arbeiten intensiv zusammen, um ihre Interessen zu schützen.

Seit einiger Zeit ist der Oberste Gerichtshof in Peking zu einem Ort geworden, an dem sich viele Petitionssuchende versammeln, um ihre extrem angestiegene Anzahl an Klagen vorzubringen. Wenn die letzte Möglichkeit einer Verteidigung erst einmal zusammenbricht, dann wird das Gericht zum schlimmsten und dunkelsten aller Orte. Die Benachteiligten der Gesellschaft sehen sich gezwungen, zu extremen Maßnahmen zu greifen, indem sie Gewalt mit Gewalt bekämpfen.

„Das chinesische Volk applaudiert zu den jüngsten Morden an Richtern, weil das Volk über die weit verbreitete und immer mehr anwachsende Korruption im Justizwesen und über den Mangel an Gerechtigkeit in Wut geraten ist“, fügte Li hinzu.

Originalartikel auf Englisch: Attacks on Judges Reflect Rage Over China’s Judicial System

Foto: Yongzhou für Radio Free Asia


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